Was nicht passt, wird passend gedacht.

Uni-Seminare haben ja die große Eigenart auszuufern. Dass das aber nicht das Problem sondern die Lösung für Verständnis ist, wird meistens übersehen. Man muss zwar Themen portionieren, sequenziell vorgehen und pragmatisch Grenzen festlegen. Von dieser Vorgehensweise sollte man sich jedoch nicht vorgaukeln lassen, dass der gefasste Plan der beste und die Abweichung von ihm kontraproduktiv sei. Zu Seminaren gäbe es bestimmt Interessantes zu finden, die folgenden Textstellen zu Texten lagen aber gerade parat. Daher, hier ein paar Begründungen und Sichtweisen von Luhmann, weshalb es an prägnanten Stellen sinnvoll ist, gerade keine Lehrbücher zu schreiben oder zu lesen.

„(…) Die eine Seite zieht aus einer komplexen Sachlage mit aller Vorsicht gewisse Schlüsse. Die andere stützt ihre Anschlussoperation nicht mehr auf die Sachlage, sondern nur noch auf die Schlüsse. Wenn hinzukommt, dass das Abgabeprestige gar nicht auf Wissen beruht, sondern auf Auflösevermögen, wird gerade Verständlichkeit zum Problem, und man möchte sich Sprachformen wünschen, die ein hinreichendes Maß an Vorbehalten mitvermitteln und ein zu rasches Verstehen verhindern. Sonst gerät die Soziologie tatsächlich in die Situation einer ideenpolitischen Vorherrschaft, die ihr übel bekommen würde.

(Luhmann, Niklas: „Unverständliche Wissenschaft – Probleme einer theorieeigenen Sprache„, in: Soziologische Aufklärung 3, VS Verlag, Seite 199)

„Die Selbstständigkeit ist also einer der großen Vorteile, und die Systemtheorie kann das durch ihren Relativismus nur begünstigen, denn man muss ja immer von einer Systemreferenz ausgehen. Dazu gehört auch die Ironie in der Präsentation der Systemtheorie selbst. In allen Büchern ist irgendein heimlicher Unsinn drin, der nicht immer entdeckt wird, aber auch in den Vorlesungen kommt viel dieser Art vor, um eine Orthodoxierung des Lehrguts zu vermeiden. Das geschieht in der Absicht, zur Reflexion anzustoßen oder zum Weiterdenken anzustoßen, ohne irgendwie zu zügeln. Abgesehen davon aber liegt es mir auch vom Naturell her.

(Luhmann, Niklas: Antwort auf die Frage, ob es sich bei der Systemtheorie um eine absichtlich begründete Schule handelt. In: „Universität als Milieu“, Seite 103)

„(…) Wiederum andere Anforderungen stellt das Lesen wissenschaftlicher Texte. Ich denke hier an sprachlich formulierte Texte, also nicht an Texte, die in der Geheimschrift der mathematischen oder logischen Kalküle abgefasst sind. Auch Wissenschaftler müssen, wenn sie publizieren wollen, Sätze bilden. In der dafür notwendigen Wortwahl herrscht jedoch ein für die meisten Leser unvorstellbares Maß an Zufall. Auch die Wissenschaftler selbst machen sich dies selten klar. Der weitaus größte Teil der Texte könnte auch anders formuliert sein und würde auch anders formuliert sein, wenn er am nächsten Tag geschrieben worden wäre. Die Füllmasse der Worte, die zur Satzbildung erforderlich sind, entzieht sich jeder begrifflichen Regulierung.

(Luhmann, Niklas 2000: „Lesen lernen“, in: ders., Short Cuts, Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 150-157)

Es gibt also keinen Grund zu sagen: Man habe noch nicht ausreichend verstanden und könne daher nichts sagen. Oder etwas übertrieben pointiert ausgedrückt: Wer sagt, noch nicht verstanden zu haben, hat tatsächlich nocht nicht verstanden. Verstehen im Sinne der 1:1 Nachbildung von Wissensinformation im eigenen Kopf gibt es manchmal einfach nicht. Wodurch man den Begriff ersetzen kann, ist mir dabei auch unklar.

Für Texte gilt: Text einfach mal Text sein lassen und dessen Gegenstand ernst nehmen. Für Seminare könnte gelten: Es gibt nicht für alle wichtigen Aspekte eines Seminares eine gute Planung und Vorbereitung. Oftmals müssen die Anwesenden ihre Vorstellungen über Seminare Vorstellungen sein lassen, und einfach das beste aus der gegebenen Situation machen. (Weils passt: Ein Hoch auf die neue Unilandschaft Tretmühle.)

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