Gesellschaft erfahren

Viele glauben ja, der Begriff „christliche Werte“ sei ein politischer Kampfbegriff, der benutzt wird, weil er wischi-waschi-diffus auf genau gar nix verweist aber trotzdem offensichtlich genug praktische Geschichte mittransportiert, so dass er glauben macht, er bedeute dennoch etwas. Tatsächlich ereilt dieses Schicksal der Unbestimmtheit bereits den Begriff „Integration“. Denn was soll das denn sein? Deutsch sprechen, Bratwurst essen, im Verein sein, Omas über die Straße helfen? Wer sonntags mit Vergnügen „Schwiegertochter gesucht“ guckt und überzeugt von einem deutschen Einheitskulturgedanke das Wort Integration benutzt ist schlicht dumm!

Wie man aber dennoch – klug – „Integration“ erreichen könnte: Politisch reguliertes Schaffen und Subventionieren öffentlicher Räume. Wieso kommt eigentlich eine Großstadt wie New York so gut mit Vertretern aller Nationen der Welt auf engstem Raum aus? Weil keiner über den anderen reden kann, ohne ihm täglich in die Augen gucken zu müssen: In der U-Bahn als einzigem funktionierendem öffentlichen Verkehrsmittel, dem sich allerhöchstens Millionäre entziehen können.

In Deutschland entzieht sich bereits der leicht gehobene Mittelstand (wer weiß, wer das genau ist) diesem wichtigen Teil des öffentlichen Lebens, kennt ihn quasi nur aus der Perspektive der Überwachungskameras aus den Nachrichten. Dabei wäre es sehr hilfreich, mal den brutalen, mit Migrationshintergrund belasteten Kindern in die Gesichter zu sehen, wenn sie morgens alleine sitzend ihre Taschen in die Schule schleppen, während die migrationshintergrundunbelasteten Kinder diesen Weg viel öfter in Geselligkeit absolvieren.

Kann ja sein, dass es in Berlin alles anders, schlimmer, terroristischer ist als im beschaulichen Bielefeld. Aber die Hetze, die derzeit von den Politikern (denen ich ihr verzweifeltes Kalkül verzeihe) und einigen Printmedien-TV-Ausleger-Medien betrieben wird, erinnert doch sehr an ein paar Videos, die man uns zur Belehrung im Geschichtsunterricht vorgespielt hat. Wann ist eigentlich mal einer von Spiegel-TV mit dem öffentlichen Bus gefahren? Wann hat Anne Will mit ihrem 80.000 Euro Monatsgehalt eigentlich das letzte Mal eine öffentliche Straße betreten?

(Ich weiß nicht, wies in Deutschland ist, aber mit den amerikanischen Wallstreet-Boni von in diesem Jahr 144 Mrd. Dollar, könnte man das ein oder andere ÖPV-System komplett kostenlos machen…)

(Bild: Rodrigo Basaure)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

4 Kommentare

  1. Don Gomez sagt:

    Senett, ick hör Dir trapsen…

    Trotzdem, interessante Anwendung.

  2. Gesellschaft erfahren – Anmerkung

    Integration ist wohl kaum als diffuser Begriff zu bezeichnen, denn je nach Wendung erscheint Integration Instrument der Anpassung an oder der Bereicherung bzw. Erweiterung einer bestehenden Gesellschaft. Integration als Begriff verweist aber stets darauf, dass das Leben der Anwesenden und der neu Hinzukommenden Wege finden muss, auf welchen beides zueinander kompatibel wird. Integration wäre dann vielleicht zweifach von Nöten: Einmal für die Neuankömmlinge, die in jene Gesellschaft, auf die sie treffen hinein finden (können) müssen – was nicht damit zu tun hat, dass alle Bratwurst essen. Zum Anderen für die bereits Anwesenden, die sich in die neue Situation des Zusammenlebens mit den Hinzugekommenen ebenfalls hinein finden müssen – was dann auch nichts damit zu tun hat, dass alle Pizza oder Döner essen.

    Was somit hierzulande derzeit unter dem Deckmantel einer Integrationsdebatte stattfindet, geht hieran vorbei und daran wird sich auch nichts ändern, wenn Anne Will oder andere aus den „besitzenden“ Schichten plötzlich die Frankfurter U-Bahn oder Berliner S-Bahn nutzen und dem zu Tränen rührenden einsamen Migrantenkind in die Augen blicken oder ihm gar die schwere Schultasche tragen helfen, damit es den restlichen Schulweg nicht allein zurücklegen muss (und sich ein bisschen integrierter füllt). Die Debatte so zu führen, geht wohl genauso an der Lebensrealität derer vorbei, die als neu Hinzugekommene angesehen werden, obwohl sie seit Jahrzehnten schon da sind und derjenigen, die von sich behaupten schon immer hier gewesen zu sein und daher für sich in Anspruch nehmen die Leitkultur zu definieren. Beide Bilder bleiben Lebensrealitäten und diese müssen auf andere Wege als Straßenbahnfahren in Kontakt gebracht werden. Dass beide letztlich gemeinsame Werte brauchen, ist nicht dumm und auch kein Einheitsbrei, sondern Grundvoraussetzung für das Zusammenleben in einer gemeinsamen Gesellschaft. Sich dem zu verschließen und sich stattdessen auf ein diffuses Multikulti, also ein nebeneinander verschiedenster Kulturräume und damit paralleler, unverbundener Lebenswelten, zu berufen – dass ist nicht weniger naiv wie der Gedanke einer gesellschaftlichen Homogenität.

  3. Alex E. sagt:

    Wäre ein interessantes Thema für eine Untersuchung.

    Spontanhypothese: gerade Straßenbahnen etc. könnten einer dieser berüchtigten Orte sein, in denen einige Menschen schnell mal diese so oft zitierten Überfremdungserfahrungen machen. Zumal diese Orte geschlossen sind und man kaum ausweichen kann, was innerlich negative Emotionen freisetzen kann. Es kann durchaus auch in Bielefeld mal passieren, dass um einen Menschen sitzen, die nicht Deutsch sprechen, keine ‚Benimmregeln‘ beachten, komische, ‚fremde‘ Musik aus den Handyboxen erklingen lassen und den stummen Beobachter frech oder herausfordernd anschauen, da sie ganz deutlich spüren, dass er sie innerlich nicht besonders wertschätzt und politisch inkorrekte Gedanken pflegt.

    Vielleicht nicht in der Bielefelder S/U-Bahn vom Bahnhof Richtung Uni, in der zu 95% „integrierte“ Menschen sitzen. Aber doch Richtung Baumheide/Milse etc.

    http://www.youtube.com/watch?v=F7-2sqt7ZOI

    ;-)

    Und auch wenn diese Erfahrungen der Überfremdung – z.B. in Bielefeld – vielleicht selbst für Vielfahrer der ‚Öffis‘ nur selten vorkommen, schon ein Ereignis, bei dem man grundlos von einer Übermacht Nicht-Integrierten angepöbelt wird kann Hass schüren.

    Aber zu deiner Grundüberlegung – d’accord: Auf konsequente Orte der Begegnung zu setzen, ist sicher der richtige Weg. Siehe DITIB-Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloo mit integriertem Begegnungszentrum. Vorzeigeprojekt.

  4. Stefan Schulz sagt:

    Meine Bahnfahrerfahrung ist, und ich hab auch mal in Milse gewohnt, dass man schon Abneigung und spontane Hasserfahrungen machen kann, die richten sich dann allerdings gegen einzelne Deppen. Die Verallgemeinerung fällt viel schwerer, wenn neben den jungschen Freaks auch Ältere/Andere in der Bahn sind, die nach ähnlichem Migrationshintergrund aussehen aber ebenso genervt sind wie man selbst.

    Dennoch, wenn wir in Deutschland einen Nahverkehr hätten, der so aufgestellt wäre, dass das übliche ICE-Publikum auch den Nahverkehr nutzen würde, hätten wir viel weniger Probleme mit der „Integrationsproblematik“.

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