Echtzeitgesellschaft mit Nullintelligenz

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Wollte Dirk von Gehlen seine Strohpuppenkampfkunst in seinem eigenen Maß auf eine nachvollziehbare Ebene heben (oder besser retten), hätte er nicht von „Gesprächskonsum“ gesprochen, sondern von Zahnbürstenredsamkeit. Niemand kommt doch ernsthaft auf die Idee, Datensparsamkeit – ein völlig akzeptabler Begriff – mit einem selbst erzwungenem Schweigegelübde – eine völlig bescheuerte Idee – zu verbinden. Ich habe sowas jedenfalls noch nirgends gelesen. Worüber man aber nun immer häufiger stolpert – ein völlig richtiges Verb – sind Personen, die die digitale Welt nicht nur retten, sondern noch besser retten wollen und dabei ganz neue Gegnerschaften begründen.

Von Gehlens Idee (um im Subtext auch an seinen Modus von Weltrettung anzuknüpfen), statt von Daten von Gesprächen, Briefen und menschlichen Dialogen zu sprechen, spielt den politischen Ideen, allmählich eine akzeptierte semantische Decke über das Unrecht zu legen, in die Hände. Was könnte heute falscher sein, als unseren Datenverkehr als besondere Art von Brief- und Wortwechsel zu beschreiben? Was dagegen könnte denn heute wichtiger sein, als zu verstehen, was Daten sind und bedeuten? Die analoge, unschuldige Welt ist digital geworden. Und das bedeutet dem Namen nach: zählbar.

Nur ist Zählbarkeit keine Domäne des Menschen, sondern die der Maschinen. „Der dumme Computer ist nach wie vor in der Lage, mangelnde Intelligenz durch enorme Schnelligkeit“ zu kompensieren, sagt dazu Dirk Baecker, um danach darüber zu sprechen, wie man damit umgehen soll, dass dem, was uns Computer heute sagen, enorme normative Kraft zugeschrieben wird, ohne dass wir wissen, wie uns geschieht, weil wir nicht einmal verstehen, wie die Technologie funktioniert, geschweige denn, was sonst noch dahinter steckt. (Das erwähnte Gespräch bald in der F.A.Z.)

Big-Data ist nicht einfach nur ein hippes Schlagwort, sondern die Manifestierung der über Jahre forcierten Idee der Informationsgesellschaft. Und Data-Mining ist nicht nur der mythische Name der „Wem das gefällt, der mag auch…“-Regel, sondern es gibt den Maßstab dafür vor, was wir in unserer Wissensgesellschaft als Intelligenz bezeichnen. Wir haben nun einmal nicht die analoge Welt aus Gesprächen, Briefen und Worten in eine digitale Version übertragen, die wir nur – wie Dirk von Gehlen sagt -, auch so nennen müssen, um sie zu verstehen. Sondern wir haben die analoge Welt – die echte und allmählich den Ideenschleier darüber -, gegen die digitale Welt eingetauscht. Was wir heute Metadaten nennen, ohne zu wissen, wann sie anfallen und wer sie wie liest, ist aussagekräftiger, entlarvender als Gespräche, Briefe und Worte. Was man mal wirklich klar sagen (und akzeptieren) muss: Die Geheimdienste haben die neue Gesellschaft verstanden. Es stellt sich jetzt nicht (nur) die Frage, wen wir mit welchen Gedankenspielen über was aufklären müssen, sondern, wie man eine verlorene Welt zurückerobert.

(Bild: Mario Klingemann)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

5 Kommentare

  1. Diese Zurückeroberung gelingt meiner Einschätzung nach, wenn wir uns darüber klar werden, was das Fernmeldegeheimnis schützt – und das ist meiner Meinung nach eben (auch) Datenproduktion.

    Bin aber gerne bereit mich von anderen Vorschlägen überzeugen zu lassen. Habe in dem Text aber keinen gefunden …

  2. Klaus sagt:

    Schweigegelübde.

  3. Dave sagt:

    “Der dumme Computer ist nach wie vor in der Lage, mangelnde Intelligenz durch enorme Schnelligkeit” zu kompensieren, sagt dazu Dirk Baecker […]

    Ein merkwürdiger Vergleich, da Intelligenz selbst doch durch einige Intelligenzmodelle als hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit definiert wird.

    • Stefan Schulz sagt:

      Ja-gut,-aber solange das „Denken“ durch die Limitierungen einer Variable mit zwei Werten festgelegt wird, lässt sich mit Geschwindigkeit nicht viel intelligentes erreichen. Kommt natürlich drauf an, auf welche Begriffsmagie man sich einlässt. Tausche im Zweifel „Intelligenz“ mit „Kreativität“ und versuche die Kritik erneut.

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