Für alle dieselbe oder keine!

Kurze Vorrede: Bei Spiegel Online äußern sich Jungjournalisten zu ihrem Medienkonsum. Cordt Schnibben bat mich, mir das mal anzusehen. Da ich auch Jungjournalist bin, äußere ich mich an dieser Stelle auch:

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Stefan Schulz: Das mit dem Papier verstehe ich auch nur selten…

Stefan Schulz: Es ist wie verrückt. Seit zehn Jahren, seit ich zu studieren begann, lese ich regelmäßig Zeitung, aber das Prinzip mit dem Frühstück habe ich immer noch nicht verstanden. Wenn ich morgens um sieben aufstehe, dann doch nur, weil zu dieser Zeit meine Töchter aus den Betten springen und nicht, weil zwei Etagen tiefer jemand Papier in meinen Briefkasten gesteckt hat. Während meines zwanzigminütigen Arbeitsweges höre ich 50 Minuten Podcasts – ja, das ist kein Rechenfehler, sondern Magie – so wie fast alles, was das Podcasting betrifft, zauberhaft ist. Ich höre mehr als 30 Sendungen, täglich rund 4 Stunden, in denen ich meinen Körper für bestimmte Erledigungen brauche, mein Gehirn aber mit aufmerksamen Zuhören beschäftigen kann. Da Google seinen RSS-Reader abschaltete, habe ich jüngst meine RSS-Lesestrategie überarbeitet. Ich sehe/lese heute den Output von 250 Feeds, das macht mich nahezu zufrieden – ich habe selten Anlass zu glauben, etwas Interessantes verpasst zu haben. Twitter per App und den Rest per Flipboard konsumiere ich den ganzen Tag über. Zwischendurch lese ich per Späterlesen-Dings ausführlicher, was mir zuvor wichtig schien.

Abends 21 Uhr allerdings will ich Zeitung lesen, und zwar die von morgen, zu einer Zeit, da die Kinder schon schlafen und der Tag insgesamt vorüber ist. Wehe, meine Zeitung beginnt je damit, mich zu fragen, für was ich mich interessiere!!! Ich will die Zeitung, die alle anderen auch haben, von der ich weiß, dass sie auch die Kanzlerin liest und die mir verspricht, mich nur mit Wichtigem zu versorgen – mit dem, was mir Ahnung und Orientierung gibt. Mir ist schnurzegal, welcher Autor welches Texthäppchen schrieb, ob er privat („nur die eigene Meinung“) twittert oder bei Facebook Links sammelt. Ich will auch nicht gebeten werden, textweise meine Meinung über die Arbeit von Journalisten abgeben zu wollen. Der Gedanke, dass mich meine Zeitung namentlich begrüßt und mir Abwechslung und Überraschung, womöglich noch zeitraubend und mehrere Sinne ansprechend (Video), verspricht, bedeutet für mich Horror. Zeitung ist nicht gediegene Weltflucht, sondern das anstrengende Gegenteil. Eine Zeitung als Unterhaltungsmedium, das es mir einfach macht, brauche ich nicht. Eine Zeitung, die es allen recht machen will, will ich nicht.

Stefan Schulz (30) studierte Soziologie in Bielefeld, hatte Spaß mit diesem Blog hier und schreibt seit rund zwei Jahren für die F.A.Z., anfangs als Hospitant, heute als Volontär. In Zukunft möchte er Journalismus als Beruf machen.

Nachtrag: So etwas versteht sich natürlich fast von selbst… Die Retter sind die Zerstörer.

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

3 Kommentare

  1. Aleks sagt:

    Da schließe ich mich vollumfassend an!

  2. Sehr schön: Reduce to the relevant. So lese ich auch Zeitung: Was bleibt denn nach einem redaktionellen Prüfprozess noch übrig? Was findet Verstärkung und Betonung? Manchmal auch ärgerlich: „Die berichten ja gar nicht über …“
    Dennoch ist die Osmose nicht aufzuhalten: Die redaktionellen und nicht-redaktionellen Sphären fließen ineinander und sind gegeneinander „parasitär“. Und die Redaktionen müssen wohl auch „gesprächiger“ werden, damit sie ihre Themen sozusagen bei sich behalten können. Sonst werden sie „beklaut“ und der weitere Prozess findet ohne sie woanders statt. Und die durchschnittliche Zeitung wird an Sachkenntnis oft, wenn nicht meistens, von Beiträgen im Netz übertroffen.

    (Nebenbei: The Government Wants To Define Who Qualifies As A Journalist http://wp.me/p1FaB8-3GmJ )

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