Kleine Gehälter, große Fragen

Es geht ums Urheberrecht, doch die Bedürfnispyramide muss von Grund auf neu gebaut werden.

Es ist doch sehr widersprüchlich. Nun haben wir die Weblogs, Twitter, Podcasts, Youtube und – ganz neu – Google+Hangouts On Air, endlich lässt sich von allen alles überall sagen. Endlich ist das Echtzeitinternet keine Utopiechiffre mehr und dann entschuldigt sich Max Winde heute zum Einstieg in seinen F.A.Z.-Artikel dafür, dass auch er noch etwas zum Thema Urheberrecht beitragen möchte.

Schade, er müsste es nicht. Denn zum einen ist Max Winde ein durch Pritlovemspro-Gegenwind gehärteter Argumentierer, ein (inzwischen nicht mehr so) verkannter Twitterakrobat und obendrein ein Auskenner in den wilden Zeiten. Zum anderen aber brauchen wir eine fortlaufende Diskussion, die gerade nicht auf eines abzielt: einen status cuo.

Die Idee, dass eine so wichtige gesellschaftliche Debatte wie die zum Urheberrecht geführt wird, um einen Konsens oder Kompromiss zu erzielen, ist irrsinnig. Bei vielen gesellschaftlichen Konflikten, und bei diesem ganz besonders, kommt es gerade darauf an den Konflikt am Laufen zu halten. Es ist das besondere und schützenswerte, die individuelle Freiheit garantierende Merkmal unserer modernen Gesellschaft, dass es gerade keine Instanz gibt, die solch einen Konflikt entscheiden kann und darf. Man muss es der Sachlage angemessen pathetisch fassen: Zur Freiheit, überhaupt zu diskutieren, gehört die Zulassung der Argumente der anderen. Nur so bleiben sie Argumente und werden keine Befehle.

Man kann es so philosophiehistorisieren, man kann aber auch ganz in der Gegenwart bleiben und auf Sascha Lobo hinweisen: Das Internet kennt keinen wahren, statischen, eindeutigen Zustand. Es ist, wie es ist und wir wissen, dass und wie es auch anders sein könnte; schon morgen. Das Reden über das Internet bestimmt seinen Zustand, das Engagement des Einzelnen bestimmt seinen Gehalt. Wir müssen also über alles Reden, das Geld, die Freiheit, den Beitrag und den Nutzen des Einzelnen.

Weil wir jetzt auch Piraten haben, lautet meine derzeitige Lieblingsfrage zum Thema ungefähr so: Wenn wir die Kulturproduzenten und Kulturkonsumenten gegeneinander setzen, erhalten wir eine Ratio von ungefähr 1 zu 99. Wenn es zwischen beiden einen Konflikt gibt, wie lässt der sich eigentlich demokratisch lösen? Sebastian Nerz sagte im März, damals noch als Piratenbundesvorsitzender, auf diese Frage: „Wir müssen schauen, wie wir die Kulturproduzenten schützen können. Wir müssen sie einbinden.“ Aber wie das Schützen aussehen kann und wie Künstler einzubinden sind, die ja absichtsvoll Künstler und keine Politiker sind, sagte er nicht.

Das enttäuscht mich nicht nur, sondern es macht mir ein wenig Angst. Meine last.fm-Musikstatistik sagt, dass ich ca. vier Stunden am Tag Musik höre. Musik ist mir so wichtig, dass ich dafür Geld ausgebe. Das reicht aber nicht, sie muss allen so wichtig sein. Darf ein Lied, das uns ein Leben lang begleitet, billiger sein als ein Snickers an der Tanke? Nein, darf es nicht, weil es mehr wert ist. Und: Gerade über Musik möchte ich mit niemandem diskutieren. So wichtig Konflikte sind, Musikgenuss kann man durch akademisches Gelaber zerstören. Ich möchte, dass sich Profis das Hirn über gute Musik zerbrechen und mich gerade nicht mit der Herstellung, sondern nur mit dem Ergebnis konfrontieren. Darin liegt der Sinn des Bezahlens. Dass wir das Musikmachen selber auch nicht besser könnten, ist erst die zweite Wahrheit.

Das gilt so auch für die Politik. Ich möchte nicht, dass Johannes Ponader als Bundespolitiker von Arbeitslosengeld II lebt, während der Showmaster neben ihm ein sechsstelliges Monatsgehalt bekommt. Die Piraten diskutieren bei jedem Parteitag, also alle halbe Jahre, darüber, ob sie ihren Mitgliedsbeitrag anheben oder nicht. In Neumünster hoben sie ihn, nach über einer Stunde Diskussion mit unzähligen Wortmeldungen um einen Euro auf vier Euro im Monat an. Man kann seine Zeit kaum ertragloser verschwenden. Die Freiheit des Internets und die Vielfalt der Künste rettet man so nicht. Die Gesellschaft bleibt von der Diskussion um den Piratenmonatsbeitrag gänzlich unbeeindruckt.

Ich hoffe, es wird noch viele Diskussionsbeiträge zum Thema Urheberrecht geben. Es gibt noch zu viele ungehörte Produzenten und Konsumenten. Und weil Klaus sich freut, wenn ich hier journalistische Produktionszusammenhänge offenbare: Wenn alles klappt, unterhält sich demnächst jemand von der F.A.Z. mit Bruno Kramm. In Neumünster hat er sich kurz Zeit für ein Gespräch genommen und ich war überrascht, welche unausgeleuchteten Winkel zum Thema Urheberrecht es gibt. Nur wird man die Debatte einmal ganz neu aufrollen müssen. Selbst das Internet, das Recht und das Geld müssten als Problembezüge erst einmal abgeblendet werden. Hinter dem Thema Urheberrecht schlummern die wahren Probleme, die Fragen aller Fragen.

(Bild: Stefan Schulz)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

1 Kommentar

  1. […] war sehr froh, gestern in einem lesenswerten Blogbeitrag von Stefan Schulz auf sozialtheoristen.de darin bestätigt zu werden, dass noch nicht alles gesagt ist zu […]

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.