Watchblog als Zeugnis

(Tag 1, Tag 2, Tag 3, Tag 4, PDF-Version aller Tage) Eine Woche Zeit, das scheint nicht unbedingt viel zu sein um große Dinge zu klären. Aber das Setting ist dann doch etwas Besonderes: Wo sitzt man schon zusammen, zu ungefähr zwanzigst, führt eine abendfüllende Diskussion am Kamin und sieht sich schon am Morgen in ähnlichem Setting (Konferenzglaskasten) wieder, tags drauf noch mal, noch mal und dann noch mal? Vom Frühstück bis zum Abendessen, gefüllt mit Diskussionen und jeden Abend so eine Runde. Der erste Tag unserer „Einen Woche Zeit“ ist abgehakt, wir kennen uns jetzt. Ab morgen geht‘s darum, uns nicht zu langweilen. Das könnte einfach fallen, weil wir morgen mit dem Thema von heute noch mal von vorne beginnen: Wem hat „Münkler-Watch“ was gebracht und was weiß – der Punkt ist morgen neu – Patrick Bahners darüber zu sagen?

Im Kosmos des Internets, da fand die Aktion statt, ist alles bereits antike Geschichte. Im Kosmos der Universität, wo die Aktion auch stattfand, ist sie aber immer noch aufregend: Menschen, womöglich Studierende, führen Mitschriften zur Vorlesung ihres berühmten Professors. So weit, so artig. Doch die Schriftstücke mit eigenen Urteilen zu versehen und einem unbeschränkten Publikum zur Verfügung zu stellen – das ging doch einigen zu weit. Allen voran Herfried Münkler, der sich bis dahin gern im Scheinwerferlicht und als Gast in wichtigen deutschen Amtsstuben – also auch weit weg von Studierzimmern – sah, plötzlich aber auch die Frage aufgezwungen bekam, ob er nicht nur Professor, sondern auch Chauvinist, Sexist oder gar Rassist sei. Das war unverschämt und des Ignorierens würdig. Aber in ungeduldigen Zeiten, in denen Antworten eh keine Rolle spielen, kratzt es doch am Gemüt des Betroffenen und der sich Betroffenfühlenden. Für wen war die Vorlesung denn da? Wurde sie missbraucht? Gibt es eine inneruniversitäre Öffentlichkeit mit Vertraulichkeitsrechten? Noch nie haben sich Studenten getraut, eine Vorlesung zu stören, indem sie geschlossen die Bühne besetzten. Auch nicht überliefert ist, ob jemals ein Publikum geschlossen ein Hörsaal verließ. Ein paar Schritte zu gehen hätte Eklats ausgelöst und Geschichtsbücher gefüllt. Doch sie wollte bislang niemand gehen.

Stattdessen: Aufregung wegen eines Blogs mit ein paar Textstücken, durch die sich der Abgehandelte vielleicht sogar geehrt fühlte. Welcher Professor bekommt schon seine eigene Nachtkritik, sofern er nicht nebenbei erwähnt wird, weil er auch anwesend war, als sich Politiker bei Anne Will stritten? Hier war es plötzlich ganz anders. Kränkungen spielten eine Rolle, schon durch die Vermutung, dass Kränkungen eine Rolle spielen könnten. Die Prominenz des Professors war also nicht ganz unwichtig. Münkler zu kritisieren, weil man weiß, dass man so auf seiner Reputation mitsurfen kann, hat eigentlich nur als Kunstaktion Sinn. Offenbaren darf man sich nämlich nicht. Der Trick funktioniert nur, wenn man selbst unscheinbar bleibt, sich also anonym dem „Der will doch nur … !“-Vorwurf entzieht. Das rückt den Angesprochenen dann umso mehr ins Rampenlicht, das er sich in diesem Einfall mal nicht ausgesucht hat. Und vom wissenschaftlichen Disput (akademischer Mehrwert alter Schule) können wir erst recht nicht sprechen, da wir nur einen Professor in Monolog und Selbstverteidigung sprechen sehen.

Um was geht‘s? „Münkler-Watch“, ist das ein Kommentar, eine Kritik oder eine Konfrontation? Protest? Wenn ja, an wen? Wir kamen in der Diskussion vom Hölzchen aufs Stöckchen, füllten mit ihr wahrscheinlich die Agenda der Woche und blieben natürlich uneins. Münkler, der Professor, wirkt über die Universität hinaus. Ok. Den Rucksack der Professur nimmt er dabei überallhin mit. In der Universität ist er dadurch wiederum mehr als bloß ein Professor. Doch wie holt man das alles in eine Diskussion, in der Argumente – also benennbare Inhalte – zählen und auch die Prämisse schwer im Raume liegt, personale Aspekte seien im Akademischen ohnehin Gift? Die Protokolle über Münklers Vorlesungen beinhalten mehr als inhaltliche Zusammenfassungen und anargumentierte Urteile. Doch wie bekommt man das zu fassen? Welche Rolle spielt die Performance wenn jemand wie er inhaltlich an außeruniversitäre Kritik anschließt, um sie augenscheinlich einzufangen und doch gleichzeitig bewusst zu stimulieren? Hier wird kalkuliert, geprobt und entgrenzt. Die Vorlesung ist eine raumgebundene Veranstaltung. Wer nicht dabei war, hat sie verpasst. So galt es bis das Internet kam. Jetzt ist die Frage, was prüfungsrelevant ist. Und all das findet natürlich den Weg ins Internet. In manchen Fächern eben mit scharfem Kommentar und ohne Passwort.

Doch warum sind diese Mitschriften immer nur für die Prüflinge relevant? Warum nicht mal den Prüfer mit ins Feuer stellen? Der Gang durch die Universität hört ja nicht auf, nur weil mit dem Erreichen der Professur die Karriere formal stillsteht. Welche Formen der Kritik lehrt uns „Münkler-Watch“? Die Ergebnisse guter Lehre, die dazu befähigt eigene Urteile zu fällen, macht vor den Lehrenden selbst keinen Halt – das ist paradox. In der Hinsicht ist ein eigenes Watchblog ein gutes Zeugnis für Professoren. Und es kränkt trotzdem. Es fehlt die Tradition, diese Form der Beobachtung mitlaufen zu lassen. Vor allem fehlt aber die Übung unter Professoren, sich beobachten zu lassen. Professoren besuchen keine Veranstaltung ihre Kollegen und sie fertigen sich von ihren eigenen keine Dokumente an. Sie wissen nicht was gute oder erfolgreiche Lehre ist. Sie wissen nicht einmal, was sie selbst für eine Lehre geben. Sie kritisieren stattdessen unaufmerksame, des Sprechens unwillige Studenten, die sich nur noch für die PowerPoint-Präsentationen als angeeignete Mitschriften interessieren – dabei ist diese Form der Weitergabe vorbereiteter Materialien für Professoren selbst von großer Erlösung. Sie entlastet von der Bewusstwerdung und Gestaltung der Elemente, die eine Vorlesung (auch) angenehmer machen könnten.

Ob wir solche oder ähnliche Einwürfe diese Woche mehr als bloß formulieren können ist aber noch nicht entschieden. Das Ziel des ersten Abends, Asymmetrien einzuhegen, wurde auch dadurch schnell erreicht, dass weniger Professoren da sind als angekündigt waren. Wir haben uns jedenfalls warmgelaufen für die Nachkommenden, morgen also nochmal: Münkler-Watch, diesmal dann mit Patrick Bahners.

Worum geht es hier? Vom 27. Nov. bis 01. Dez. trafen wir uns zu Einer Woche Zeit im Gut Siggen kurz vor Fehmarn. Thema: Exit/Voice in Universitäten?

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

1 Kommentar

  1. Franz sagt:

    Münklerwatch habe ich damals einfach zur Kenntnis genommen, ohne mich weiter dafür zu interessieren, obwohl man – wie man an deinem Text sieht – in diesem Zusammenhang spannende Fragen aufwerfen kann. Bin auf den weiteren Verlauf gespannt.

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