Ich bin seit einigen Monaten in der schönen Lage, für die Zeitung Fernsehen zu gucken. Sender schicken Filme und Serien, die sie entweder selbst hergestellt haben oder in den deutschen Sprachraum durchreichen und ich sehe mir die im Mix mit tagesaktuellen Talkshows an und versuche, mir Gedanken dazu zu machen. Dabei stoße ich – und zwar egal ob es sich um deutsche politische Diskussionsendungen oder Monate alte amerikanische Serien handelt – immer wieder auf dasselbe Wunder: Wirklich gut ist das Fernsehprogramm dann, wenn es wie Literatur hergestellt wurde, wenn ein Autor oder ein Autorenteam abgeschottet an einem Werk arbeitet, es unter Vermeidung äußerer Einflüsse nach dem eigenen Entwurf produziert um am Stück dem Publikum vorsetzt. Beziehungsweise, wenn der Zuschauer nur zuschaut, wenn Menschen intensive Gespräche führen, während diese ein bisschen vergessen, dass alles vor Publikum stattfindet.
Es wirkt geradezu unangenehm und bemüht, wenn das Fernsehen plötzlich beginnt, auf ihre Zuschauer zu hören, die dann bei „ZDF-Login“ auch noch „Nutzer“ genannt werden oder bei „hart aber fair“ die banalsten Selbstverständlichkeiten in knappsten Formulierungen in die Runde werfen. Als hätte ich nicht selbst das Internet in der Hand und würde nachgucken, wenn mich die Meinung der anderen Zuschauer interessiert. Fernsehen soll ein paar Grenzen einhalten. Ein zugegebener Maßen rein normativer, fordernder Satz. Aber jeder versteht das, man höre sich nur einmal an, wie Richard Gutjahr hier über Fernsehserien spricht. Das gelobte „House of Cards“ ist das Paradebeispiel für das neue Fernsehen, weil es zum einen gar nicht aus dem Fernsehen kommt, also auf keine wochenweise Episoden-Fortentwicklung mit Werbeunterbrechung angewiesen ist, sondern im 12h-Block serviert wird. Erst durch ihre unbeirrte Produktionsweise, sagt Gutjahr, kommen Serien wie „House of Cards“ oder „Boss“ auf ihr Niveau, das nicht nur unterhaltend, sondern welterklärend sei.
Kleiner Bogen zu den anderen Welterklärern – den Journalisten: Richard Gutjahr meldet sich auch in der Spiegediskussion zum nächsten Journalismus zu Wort, mit einer bemerkenswerten Einsicht, nämlich alle vorherigen Einsichten in Welterklärerei zu vergessen. Journalisten haben sich, schreibt er, nach dem Geschmack der Leute zu richten – und zwar nicht irgendeinem Geschmack, sondern dem, der jetzt gerade, in dieser Sekunde, vorherrscht; Zeitungen seien dafür in ihre einzelnen Textportionen aufzuteilen und so zu verkaufen; beziehungsweise, soll erst einmal der schreibende Journalist in Vorleistung gehen und mit Spenden in lousy-penny-Höhe ein Gefühl dafür entwickeln, in welchem Rahmen sich dann Paywalls eignen.
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Seit ein paar und noch für ein paar Wochen, die ich im FAZ.net Newsroom bin, habe ich einen dritten Bildschirm auf dem Tisch, der mir in 10, 30 und 240 Minuten-Schritten das Leserinteresse an der Zeitungswebseite anzeigt. Auf einem weiterem Bildschirm kann ich mich noch etwas genauer darüber informieren, was die Leser lesen und eine kleine Tachonadel zeigt an, wie viele Leser es jetzt gerade insgesamt sind. So kann man eine Zeitung machen, aber wenn das der digitale Journalismus sein soll, den nun fast alle Spiegel-Diskussionsbeitragenden fordern, dann sollten sie auch dazu sagen, wer dafür der Journalist sein soll.
Da online eh jeder nur einen Klick vom nächsten entfernt ist, reicht es doch eigentlich, ein einziges Angebot zu haben, das sich vollständig dem Bedürfnis nach „instant gratification“ (Gutjahr) des Lesers verschreibt: Beispielsweise Bild.de. Dort ließe sich durch eine kleine Abo-Modifikation in 10-Cent-Schritten der Tag bewältigen: Schreiende Überschriften, die dann im Text halten, was sie versprechen. Alles schön einfach umgesetzt, so dass man sich nicht ärgert, wenn man mal 10 Cent fehlinvestierte, weil man sofort im nächsten 10-Cent-Text ist, der diesmal die geforderte Gänsehaut liefert. Alles was nicht trägt, also nicht gelesen wird, findet nicht mehr statt.
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Vielleicht ist die Zeit gekommen, mal ein Missverständnis aufzuklären: Heute wird so viel Zeitung gelesen, wie nie zuvor. Es gibt auch mehr aktive Abonnements als beispielsweise zu Zeiten der so aufgeklärten 70er Jahre. Man hat sich heute aber auch daran gewöhnt, alles kostenlos zu bekommen, auch, weil man den nicht kostenlosen Teil gar nicht mehr zu sehen bekommt, wenn man allein mit Bildschirmen in der Medienwelt unterwegs ist. Viel von dem Ärger – die Kommentatoren fordern ja fast einhellig mitreißenden, ehrlichen, weltzugewandten, überraschenden Journalismus – ließe sich schon dadurch vermeiden, dass man sein Urteil über Journalismus nicht allein aus dem Eindruck ableitet, den man durchs Surfen über Webseiten gewinnt.
Welterklärender Journalismus ist dann wirklich gut, wenn er ein Stück weit vergisst, dass er für ein Publikum gemacht ist. Es ist nicht Bezos, der bei Vorstandssitzungen einen Stuhl für den imaginären Kunden freilässt das richtige Leitbild für den Journalismus, sondern Jobs, der Dinge entwickelte, ohne sich nur einen Funken dafür zu interessieren, was andere Menschen und erst recht was alle anderen Menschen darüber denken. Die gedruckte Zeitung funktioniert noch so, weder in Konferenzen noch am eigenen Schreibtisch zeigen Tachonadeln die (so messbare?) journalistische Echtzeitleistung an. Vor allem aber lässt sich eine Printredaktion nicht reinreden, wann sie welchen Text online zu stellen hat. Sondern sie wägt die Längen aller Text einander ab, bis dann eine Zeitung fertig ist.
Selbstorganisation, gelenkt durch eine Hierarchie in der sich wie von selbst Mechanismen und Kriterien einspielen, die journalistische Ansprüche und Leser-Befriedigungen ausbilden und abwägen.
Und dazu gehört noch ein anderes Missverständnis: Zeitungen bedienen zwar als Massenmedien Massenmärkte, aber letztlich kümmern sie sich um ein Publikum, das sich mit dem (journalistischen) Format Zeitung einverstanden erklärt. Die überregionalen Tageszeitungen in Deutschland wollen nicht auf Biegen und Brechen alle Menschen erreichen, sondern einen ausgewählten Ausschnitt des Gesamtpublikums. Beim Lesen der Sixtus/Gutjahr/Knüwer-Ideen frage ich mich manchmal, warum sie nicht einfach sagen: „So eine Tageszeitung, die ist gar nichts für mich. Das ist das Ding der ausgeruhten Interessierten, die sich pro Tag ein Stündchen Zeit nehmen am Stück Zeitung zu lesen, nicht weil sie einzelne Überschriften toll fanden oder 12 Uhr Mittags von einem Thema erfahren haben, das sie bis 12:30 aufgeklärt haben wollten. Sondern die einfach einmal am Tag wissen wollen, was der Fall ist – die vor allem einsehen, dass es ihnen gar nichts hilft, wenn sie von einem Zugunfall eher erfahren als die Rettungskräfte, die auch das Unfall-Video weder in Zeitlupe noch als Dokument ansehen und die auch nicht minütlich über den Sachstand der Vorverurteilung des Bahnpersonals aufgeklärt werden wollen.“
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Stellt sich nun die Frage, wie es alles zusammenpasst. Denn auch Gutjahr schaut sich „The West Wing“ komplett an und nicht als Highlight-Sammlung bei Youtube. Was bei mir zu der Erkenntnis führt: Zeitunglesen erfordert Planung, Zeit und Geld – ist aber nicht so unterhaltsam wie Seriengucken. Das scheint ein Knackpunkt in unserer superbequemen Gesellschaft zu sein. Aber Abhilfe kommt, schon allein, weil dank Digitalisierung die Zeitung nicht mehr ans rückenquälende Riesenformat gebunden ist.
(Bild: Evgeni Zotov)
Anmerkung: Da es mir manchmal passiert, schärfer gelesen zu werden, als ich formulieren wollte: Ich schätze die Arbeiten von R. Gutjahr im und für das Blogosphäreninternet über alle Maßen, komme so auch in Gespräch hin und wieder positiv auf ihn zu sprechen. (Für Knüwer und Sixtus gilt das aber ganz und gar nicht!)
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