Managementmodelle sind darauf angewiesen, sich als etwas Neues zu präsentieren. Wird ein Managementkonzept lediglich als konsequente Fortsetzung bereits bestehender Konzepte dargestellt, erregt es nicht die nötige Aufmerksamkeit. Neue Modelle sind deswegen gezwungen, sich gegenüber den Konzepten zu positionieren, die vorher in Organisationen propagiert wurden. Integrative organische Organisationsmodelle werden mechanischen, segmentierten Organisationsmodellen gegenübergestellt; innovative, wandlungsfähige Organisationskonzepte werden mit den rigiden, bürokratischen Organisationsmodellen kontrastiert.
Bei der Darstellung ist wichtig, dass die neuen Modelle nicht zu harsch gegen die alten abgegrenzt werden. Weil die Adressaten mit einem Konzept arbeiten, von dem das neue Modell abgehoben werden soll, darf die Abgrenzung nicht zu einer Publikumsbeschimpfung ausarten. Verfechter eines Managementkonzepts argumentieren deswegen, dass das alte Modell seine Berechtigung gehabt habe, aber nicht mehr an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden könne. Kein Manager müsse sich schuldig fühlen, dass er bisher an den alten Prinzipien festgehalten hätte, aber die Umweltbedingungen von Organisationen hätten sich so grundlegend verändert, dass ein Beharren auf diesen zu einem Niedergang der Organisation führen würde. Damit wird das bisher verwendete Modell der Adressaten gewürdigt, ihnen werden aber gleichzeitig zwingende Gründe für eine Umstellung angeboten.
Welche Kontrastfolie nutzte Reinhard Höhn, einer der führenden Staatsrechtler Hitlers, bei der Propagierung seines Führungsmodells in der NS-Zeit und inwiefern schloss er bei der Vermarktung des von ihm entwickelten Harzburger Modell in der Bundesrepublik an diese an?
Schon in der NS-Zeit verwendete Höhn die autoritäre Führung als Kontrast für sein Führungsmodell. Diese hätte im absolutistischen Staat unter Friedrich dem Großen in Preußen oder Louis XIV in Frankreich ihre radikalste Ausprägung erhalten. Die Nationalsozialisten hätten mit der Tradition des absolutistischen Staates gebrochen und eine Form der Führung entwickelt, die die Gefolgschaft viel stärker einbinden würde.
In einer an Karl Marx erinnernden Argumentation geht Höhn in seinen Schriften davon aus, dass es früher so etwas wie eine klassenlose Urgesellschaft gab. Der „germanische Staat“ hätte, so Höhn, aus einem „System von Gemeinschaften“ – der „Gemeinschaft der Familie, der Sippe, der Hundertschaft, des Stammes“ – bestanden. Alle Funktionen, die man in der Moderne dem Staat zuschreibe, – das Treffen politischer Entscheidungen, die Durchsetzung des Rechts oder die Führung von Kriegen – hätten früher in der „Gemeinschaft der freien Männer stattgefunden“. „Staat und Gemeinschaft“ seien unzertrennlich gewesen. In dieser Gesellschaft sei der „germanische Mensch noch „ganz von der Gemeinschaft erfaßt“ gewesen und hätte nur im „Geist“ der Gemeinschaft seines Stammes handeln können. Der „Gemeinschaftsgeist“ sei für ihn „Grundlage seines Lebens“ gewesen.
Langsam hätten sich Staat und Gemeinschaft aber immer mehr getrennt, und diese Trennung sei im absolutistischen Führerstaat „bis zum letzten gesteigert“ worden. Der „absolute Staat“ war für Höhn in seinen Schriften während des Nationalsozialismus Ausdruck eines „Machtapparates“, der von dem Fürsten für „seine persönlichen Zwecke“ geschaffen worden sei und nur am Rande „gemeinschaftsmäßige Funktionen“ erfüllt habe. Gegenüber gestanden hätten sich dann „auf der einen Seite der Fürst“ als autoritärer Führer und „auf der anderen Seite der Untertan“, ein zum Gehorsam verpflichteter Leibeigener.
Der Liberalismus hätte, so das Höhn‘sche Fortschrittsnarrativ, zwar die Stellung des Untertans gehoben, aber – ähnlich wie der Marxismus – am „Charakter der Auffassung des Staates“ nichts geändert. Das Bürgertum würde den Staat – ähnlich wie im Absolutismus – als ihm entgegenstehend wahrnehmen und fordern, dass dieser möglichst „wenig in die Rechte des Bürgers eingreifen darf“. Es mache den staatlichen Apparat zum streng kontrollierten „Diener des Bürgers“. „Dem Staat gegenüber“ habe der Bürger, so die Darstellung des Liberalismus durch Höhn, „nur Forderungen und Rechte“. Das Ideal sei das eines „Nachtwächterstaates“, der den „Bürger vor Schaden“ bewahren solle.
Das Fortschrittsnarrativ führt er fort, indem er hervorhebt, dass zwar auch im „Dritten Reich“ Staat und Gemeinschaft „noch nicht wieder dasselbe“ seien, der Staat im Nationalsozialismus angesichts „der Rückkehr zu neuen Gemeinschaftsformen“ inzwischen aber ganze andere Zwecke erfülle. „Nicht mehr etwa dem Fürsten und seinen Interessen, auch nicht den einzelnen, nebeneinanderstehenden Menschen, wie in der Auffassung des liberalen Bürgertums“ dient der Staat, sondern er sorge dafür, dass das „Volk zur Volksgemeinschaft in blutmäßiger- und artmäßiger Verbundenheit“ werde. Der Zweck des Staates liege – hier zitiert Höhn Hitler – in der „Erhaltung und Förderung einer Gemeinschaft physisch und seelisch gleichartiger Lebewesen“.
In der Nachkriegszeit übernahm Höhn bei der Propagierung seines kooperativen Führungsmodells aus der NS-Zeit die Abgrenzung vom autoritären Führungsstil. Hierbei verwendet er ein schon zur Zeit des Nationalsozialismus bekanntes Argumentationsmuster. Der „absolute Staat mit seinem „Heer und Verwaltungsapparat“ habe über Jahrhunderte „als Leitbild für die Formen der Menschenführung“ gedient. Er habe die „ständischen und feudalen Bindungen“ der frühen Neuzeit durchbrochen und an dessen Stelle ein „einseitiges Gehorsamsverhältnis“ gesetzt. Aus dem „Gefolgsmann“ der Feudalgesellschaft sei im absoluten Staat ein „Untertan“ geworden, aus einem „gegenseitigen Treueverhältnis“ sei ein „einseitiges Gehorsamsverhältnis“ entstanden, und als Gegenleistung für ihre Gehorsamkeit hätten die „Untertanen“ auf den „Schutz“ durch den Fürsten vertrauen können. Der Fürst hätte ihnen für ihre Unterwerfung eine „väterliche Fürsorge“ angedeihen lassen, zur absolutistischen Herrschaft sei ein „patriarchalisches Element“ hinzugetreten.
Der autoritäre Führungsstil habe nicht nur die Politik, sondern besonders auch die Wirtschaft geprägt. Die „absolutistisch-patriarchalische Führung“ habe sich auf dem „adligen Gutshof“ finden lassen, in dem „der Gutsherr“ „den Platz des Fürsten“ eingenommen habe. Die Führung im „handwerksmeisterlichen Betrieb“ habe sich „nach dem absolutistisch-patriarchalischen Prinzip“ gerichtet, das durch die „fachliche Überlegenheit gegenüber den Untergebenen“ noch verstärkt worden sei. In den Handelsunternehmen habe ein „Herr-im-Hause-Standpunkt“ geherrscht; der Eigentümer habe „als absoluter Herr“ seine Angestellten nach dem „Befehls- und Gehorsams-Prinzip“ geführt. Nicht zuletzt seien auch die Fabriken, die zu Beginn der industriellen Revolution entstanden waren, durch das „absolutistisch-patriarchalische Prinzip“ geprägt worden, weil das Eigentum dem „Fabrikherrn“ die „gleiche Stellung“ gegeben habe, wie sie der „Fürst im Staat, der Offizier im Herr, der Gutsherr auf seinem Hof und der Handwerksmeister in seinem Betrieb besaß“.
Laut Höhn würde man in der Nachkriegszeit zwar nicht mehr von „Befehl und Gehorsam“ sprechen, aber an den „überkommenden Formen der autoritären Führung“ habe sich nichts geändert. Veränderungen seien vor allem nur in sprachlicher Form geschehen, indem etwa von „Befehl von Anordnung“ statt von „Gehorsam von der Durchführung von Anordnungen“ gesprochen werde.
Ein autoritärer Führungsstil sei, so Höhn, nicht mehr der Zeit angemessen. Das „Mitwissen und Mitdenken“ der Organisationsmitglieder sei zentral für den Erfolg von Organisationen in einer sich permanent verändernden Umwelt. An die Stelle der „autoritären und patriarchalischen Führung, die ihren berechtigten Ursprung im militärischen Bereich oder der staatlichen Verwaltung vergangener Zeiten hatte“, müsse eine kooperative Führung treten, in der ein Organisationsmitglied nicht „nur gegebene Anordnungen ausführt“, sondern „mit eigener Initiative und übernommener eigener Verantwortung“ „mitarbeitet“.
Beim Blick auf die Kontinuitäten in Reinhard Höhns Argumentationsstrategie darf nicht übersehen werden, dass die Abgrenzung vom autoritären Führungsstil schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzte. Seit den 1920er Jahren entstanden bereits in den Vereinigten Staaten Arbeiten, in denen deutliche Kritik an einem patriarchalischen, selbstherrlichen Führungsstil geübt wurde. Auch die in Deutschland publizierten Arbeiten zur Werksgemeinschaft nutzten die Abgrenzung gegen den autoritären Führungsstil. Die Nationalsozialisten schlossen mit ihrer Kritik im Absolutismus und der Propagierung von Gemeinschaft letztlich an diese Traditionslinie an.
Dass sich die Nationalsozialisten auch von Formen autoritärer Führung abgrenzten, wurde in der Forschung lange Zeit übersehen. Man ging zunächst davon aus, dass das in der nationalsozialistischen Bewegung und später im NS-Staat etablierte Führerprinzip eine autoritäre Führung impliziere. Diese Sichtweise wurde zusätzlich dadurch verstärkt, dass soziologische Analysen den Erfolg des Nationalsozialismus mit einer tief verwurzelten Autoritätsgläubigkeit des deutschen Volkes erklärten.
In der Nachkriegszeit griff Höhn eine Stimmung auf, in der, nicht zuletzt unter dem Eindruck des Nationalsozialismus, die Akzeptanz autoritärer Führungsstile weiter erodierte. In den USA hatten sich durch Studien zur Gruppendynamik Stimmen durchgesetzt, die einen demokratischen, kooperativen Führungsstil als dem herrschsüchtigen, autoritären Führungsstil überlegen ansahen. In Deutschland etablierten sich diese Ansätze erst zeitverzögert.
Auszug aus Stefan Kühl „Führung und Gefolgschaft. Management im Nationalsozialismus und in der Demokratie“ (Suhrkamp 2025, 24,- Euro).
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