Die Versprechungen von Managementmoden

Beim Einsatz von Managementmoden werden die Gestalter von Organisationsprozessen mit der Aussicht auf eine bessere Zukunft geködert. Es wird ein „schönes Bild“ der Organisation gezeichnet, das durch einen Veränderungsprozess erreicht werden könnte. Managementgurus zeichnen mit grobem Strich die Konturen schlanker Unternehmen, agiler Organisationen oder wissensbasierten Systemen und Beratungsfirmen und stellen gegen das entsprechende Entgelt die Farbelemente zur Verfügung, mit denen jede Organisation sich dann auf der Basis der Vorlagen ihr eigenes Bild einer verlockenden Zukunft malen kann.

Letztlich bauen alle Managementmoden auf einer „Ästhetisierung“ der Organisationszukünfte auf. In diesem Prozess der „Ästhetisierung“ wird mit Hilfe von umfassenden Konzeptpapieren, originellen Organigrammdarstellungen oder bunten Netzplänen ein Bild einer möglichen besseren Organisation gezeichnet, das sich von der alltäglich erlebten Realität positiv abhebt. Die durch Managementmoden gezeichneten Bilder einer möglichen Organisation bedienen die Sehnsucht von Managern nach stimmigen und harmonischen Gesamtkunstwerken, ohne sich jedoch dem Vorwurf einer Diskrepanz zwischen der eigenen Realität und diesem Bild auszusetzen. Im Gegenteil: Die Diskrepanz zwischen der realen Dynamik, Vielfältigkeit und Ambiguität der Organisation und des harmonischen und schlüssigen Gesamtbildes, dient zur Rechtfertigung von den durch das Management getriebenen Veränderungsprozessen.

Die Managementkonzepte basieren auf einer Konstruktionsform, die in der Wissenschaft als zweckrationales Organisationsmodell bezeichnet wird. Als Ausgangspunkt wird immer von einem „Urzweck“ – die Produktion von Geschirrspülern, die Errichtung von Hotelgebäuden, der Verkauf von legalen (oder auch illegalen) Drogen oder die Durchsetzung strengerer Grenzwerte für Feinstaub – ausgegangen. Ganz gleich, was als „Urzweck“ der Organisation angesehen wird – ihre Existenzberechtigung wird nur in dessen Erfüllung gesehen. Die Promotoren von Managementkonzepten versprechen, über die geeigneten Hebel zu verfügen, um diese „Urzwecke“ zu präzisieren, zu modifizieren, zu operationalisieren und anzupassen. Diese Managementkonzepte basieren – bei aller Variation im Detail – auf der gleichen Bauart.

Die Dramatisierung gesellschaftlicher Herausforderungen

Zur Rechtfertigung einer neuen Managementmode dient die Darstellung dramatischer gesellschaftlicher Veränderungen. Die Welt werde immer komplexer, die Entwicklungen seien immer schwerer einzuschätzen und die Prognosen basierten auf immer unsichereren Annahmen. Es ist die Rede von einer zunehmenden Verknappung der Rohstoffe, einer wachsenden Gefahr durch terroristische Anschläge und regional begrenzter Kriege, einer Zunahme von Naturkatastrophen, einem drohenden Öko-Kollaps, einer Erhöhung von Staatsverschuldung, Verknappung der Ressource Zeit und einer wachsenden sozialen Ungleichheit, die Organisationen vor völlig neue Herausforderungen stellten.

Dabei wird anerkannt, dass im klassischen Industriezeitalter das alte Organisationsmodell aus „Vorhersagen und Kontrollieren“ gut funktioniert habe. In der Vergangenheit hätten Organisationen „durch Vorausplanung, zentrale Kontrolle und das Vermeiden von Abweichungen von der Strategie“ sowohl „dauerhafte Stabilität“ als auch „wachsende Erfolge“ erzielen können. Die Idee hätte darauf basiert, „im Vorhinein das ‚perfekte‘ System“ zu entwickeln, um Spannungen zu vermeiden. Aber in der postindustriellen Welt, so das übliche Argument der Verfechter von Managementmoden, stände man jetzt grundlegend „neuen Herausforderungen“ wie „wachsender Komplexität, zunehmender Transparenz, größerer Verbundenheit auf allen Ebenen, kürzeren Zeithorizonten, ökonomischer und ökologischer Instabilität“ gegenüber.

Die Zeitdiagnosen der Promotoren von Managementmoden sind dadurch gekennzeichnet, dass sie hervorheben, dass es nie so grundlegende gesellschaftliche Veränderungen gegeben hat wie jetzt. Egal ob man eine Managementmode aus den frühen 1920er Jahren nimmt, aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, aus den durch den Öl-Schock geprägten 1970er Jahren, den durch das Ende des Kalten Krieges bestimmten 1990er Jahren, die durch starken Zufluss von Risikokapital dominierte Zeit vor der Jahrhundertwende oder die 2010er Jahre – immer wird hervorgehoben, dass es nie eine Zeit gegeben hätte, in denen die technischen Umwälzungen, die wirtschaftlichen Herausforderungen und die sozialen Verwerfungen so grundlegend gewesen sind wie jetzt. Auch wenn zugestanden wird, dass es auch früher schon grundlegende Veränderungen gegeben hat, wird immer suggeriert, dass man gerade jetzt in besonders turbulenten Zeiten lebt, die dringend eine Reaktion von Organisationen verlangt. Ein gewisser Alarmismus scheint zwangsläufig zur Präsentationsform von Managementmoden zu gehören.

Die Notwendigkeit revolutionärer Veränderungen

Die klassischen Organisationsmodelle, so die übliche Dramatisierung bei der Propagierung von Managementkonzepten, hätten „nicht die Beweglichkeit, die in dieser Umgebung der schnellen Veränderung und Komplexität“ nötig sei, und würden die für die Herausforderung notwendige „Begeisterung und Kreativität der Mitarbeiter“ nicht entfachen können. „Die heutigen Organisationen“, so der allgemeine Tenor, seien „veraltet“. Wer an den veralteten Organisationsprinzipien festhalte – so der monoton wiederholte Tenor der Promotoren von Managementmoden – riskiere die „Strafe des Untergangs“.

Gefordert wird nicht weniger als eine revolutionäre Veränderung in der Art und Weise, wie sich Organisationen strukturieren. Managementgurus, Organisationsberater und auch manche Organisationswissenschaftler zögern nicht, von der „Notwendigkeit für eine Revolution“, einer „echten Revolution“ (oder gar einer „Kulturrevolution“) zu reden und zu schreiben. An das Management gerichtet erscheinen „Regieanweisungen für Revolutionäre“, „Manifeste für Business Revolutionen“ und „Handbücher für eine Managementrevolution“. Präsentiert werden Managementmoden als ein „revolutionäres Management-System für eine volatile Welt“. Angesichts der Forderung im Managementdiskurs nach einer „permanenten Revolution“ wären, so die Feststellung von Beobachtern, Leon Trotzki oder Mao Zedong „grün vor Neid“ geworden.

Weil sich das Wort „Revolution“ auch im Management irgendwann abzunutzen drohte, wurde es in vielen Organisationen durch das Wort „Disruption“ersetzt. Unter Disruptionen werden Innovationen verstanden, die innerhalb von kurzer Zeit existierende Produkte, Dienstleistungen oder Technologien verdrängen. Aus Angst, solche disruptiven Trends zu verpassen, ernennen Organisationen inzwischen „Chief Disruption Officer“, regelmäßig rufen Wirtschaftsmedien die „Disrupter des Jahres“ aus, Kongresse bezeichnen sich inzwischen als „Disruption Potential“, und gewöhnliche Beratungsfirmen gönnen sich den Zusatz „The Disruption Consultancy“.

Sowohl der Begriff der „Revolution“ als auch der Begriff der „Disruption“ kombiniert die Angst, den vermeintlich dramatischen Herausforderungen nicht gewachsen zu sein, mit einer Lösung – nämlich selbst ein revolutionärer Vorreiter zu werden. Der alte Gedanke des Ökonomen Joseph Schumpeters, einer Notwendigkeit „schöpferischer Zerstörung“ als Basis für Fortschritt, wird hier in neuer Fassung als Anforderung an Organisationen formuliert.

Das Lösungsversprechen der klassischen Organisationsprobleme

In Organisationen entstehen aufgrund von Arbeitsteilung zwangsläufig Probleme. Wenn die Mitglieder nicht mehr um einen Küchentisch passen, muss die Arbeit aufgeteilt werden. Es entstehen dadurch in der Organisation Subeinheiten, die sich auf einzelne Aufgaben konzentrieren. Sie bilden zwangsläufig eigene lokale Rationalitäten aus, durch die die Perspektive der Sorgen und Nöte anderer Einheiten immer mehr aus dem Fokus geraten. Abstimmungsschwierigkeiten, Koordinationsprobleme und Machtkämpfe sind das unvermeidliche Resultat der Arbeitsteilung.

Die Erfinder und Promotoren von Managementmoden versprechen, dass sie einen Weg gefunden haben, genau das zu verhindern. Sie wecken die Hoffnung, dass sie ein Modell entwickelt hätten, mit dem Organisationen sich von „Grabenkämpfen, Bürokratie und Konkurrenz“, von „Stress“, „Burnout“ und „Resignation“ und „von großspurigen Verhalten an der Spitze und der erschöpfenden Arbeit auf der unteren Ebenen“ befreien können. Sie versprechen ein Modell entwickelt zu haben, das „die Arbeit produktiv, erfüllend und sinnvoll macht“, dass „beseelte Arbeitsplätze schafft“, in denen sich Talente „entfalten können“ und „Berufungen wertgeschätzt werden“.

Es handelt sich dabei um eine Idealisierung der Zukunft bei gleichzeitiger „Schlechtmachung“ der Vergangenheit. Veränderungsprojekte, Change-Prozesse und Reformen sind in dieser Form Defizienzbeschreibungen vor dem Hintergrund der Annahme, dass man es besser machen könne. Die Vergangenheit wird negativ dargestellt, damit die Zukunft besser sein kann. Die faktische Realität wird mit kontrafaktischen Idealen aufgepumpt, um die Hoffnung zu nähren, dass sich die Organisation irgendwann einmal in die Richtung dieser Ideale bessern lässt und alle Mitarbeiter vom „Guten, Wichtigen und Richtigen“ überzeugt sind.

Diese Diskrepanz zwischen „Ist-Zustand“ und „Soll-Zustand“ wird in vielen Veränderungsprozessen als ein zentraler Motor eingesetzt. Die Energie entsteht dadurch, dass die Masterpläne, Visionen und Sollzustände attraktiver, einfacher und einleuchtender wirken als die problematische, komplexe und chaotisch wahrgenommene Realität. Es wird suggeriert, dass Organisationen durch den Beratungsprozess zu einer schlüssigeren, konsistenteren und letztlich rationaleren Funktionsweise kommen, von der am Ende auch alle Mitarbeiter profitieren können. Die Veränderungsprojekte sind in ihren guten Absichten nur schwer zu widerlegen, weil der „Härtetest ihrer Vorhaben“ noch aussteht.

Das Fortschrittsmodell in Managementmoden

Auf dem Weg zu revolutionären Management-Systemen arbeiten die meisten Managementmoden mit einem mehr oder minder simpel aufgebauten Fortschrittsmodell. Organisationen entwickeln sich in diesen Fortschrittsmodellen weg von einem durch einen alles bestimmenden Boss gekennzeichneten Modell des Rudels, über ein durch Regelhaftigkeit gekennzeichnetes Modell der Armee oder ein vorrangig an Effizienz ausgerichtetes Modell der Organisation, hin zu einer durch eine Kombination aus klassischer Hierarchie und hoher Selbstständigkeit gekennzeichneten Konzeption der Familie, bis sie schließlich zum Inbegriff des aus selbst organisierenden Einheiten bestehenden Netzwerkes werden.

Solche Modelle von sich permanent zum Besseren evolvierenden Organisationsformen lassen sich problemlos mit der Entwicklung von Führungsrollen kombinieren. Auf die Vorstellung des Big Boss mit strikter Hierarchie folge, so die Erzählung, die Idee der Kombination der klassischen Top-down-Führung mit geteilter Führung. Nach der Ausbildung der geteilten Organisationslenkung komme dann das Prinzip der demokratischen Führung, nach dem Mitarbeiter ihre Chefs selbst wählten, um in der durch absolute Gleichheit aller Mitglieder gekennzeichneten führerlosen Organisation zu enden.

Manchmal werden die Entwicklungsstufen zusätzlich mit Farben hinterlegt, um die Verortung noch einfacher zu gestalten. Auf eine durch impulsiven Führungsstil geprägte magentafarbene Organisation würde ein durch formale Führung dominiertes bernsteingelbes System folgen, welches durch ein leistungsorientiert geprägtes oranges Gefüge abgelöst werden würde. Auf dieses folge dann eine durch Partizipation gekennzeichnete grüne Organisation, die in der Endstufe in eine durch ganz neue Formen der Zusammenarbeit geprägte blau-grün schimmernde Unternehmung münden würde.

Von Beratern werden solche Fortschrittsuggestionen von Managementkonzepte in Reifegradmodelle operationalisiert. Unter Labels wie „People Capability Maturity Model“, “Organisational Project Management Maturity Model” oder “Quality Management Maturity Grid“ werden Instrumente entwickelt, mit denen der Eindruck vermittelt wird, als ob sich Organisationen „objektiv“ danach beurteilen lassen, welchen „Reifegrad“ sie in einer Dimension erreicht haben. Auf der Basis umfangreicher „Assessments“ lassen sich dann „Road Maps“ aufstellen, mit denen Organisationen den nächsten „Level“ erreichen sollen. Organisationen wird dabei der Eindruck eines Defizits vermittelt, gleichzeitig wird aber aufgezeigt, wie sie dieses Defizit reduzieren können. Auch wenn die Einstufung in einen Reifegrad hochgradig konstruiert sind, wird in den Organisationen allein durch den Vergleich mit vermeintlichen „reiferen“ Organisationen ein Handlungsdruck produziert.

Die mehr oder minder expliziten Fortschrittssuggestionen haben für Managementmoden eine wichtige Funktion. Jede Managementmode droht, ein Versagen des Managements zu signalisieren. Schließlich haben diese das in der Managementmode propagierte Prinzip noch nicht eingeführt und damit ihre Organisation einem Risiko ausgesetzt. Durch die Darstellung des Prinzips als nächste Stufe in einem Fortschrittsmodell werden die Manager jedoch beruhigt; so handelt es sich bei der Adaption der Managementmode doch lediglich um das Nehmen der nächsten Stufe in der Entwicklung einer Organisation zu etwas (noch) Besserem.

Die Herausstellung des Nutzens – für das Individuum und für die Gesellschaft

Soziale Prozesse sind in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass das, was einer Gruppe nutzt, einer anderen Gruppe schadet. Wenn die Gehälter gekürzt werden, geht dies auf Kosten der Arbeitnehmer, für die Arbeitgeber hat dies jedoch wegen der Kostenersparnis Vorzüge. Wenn Automobilkonzerne erfolgreich durchsetzen, dass die Grenzwerte für Stickoxide hochgesetzt werden, hat dies für sie Vorteile, weil sie Kosten für die Abgasreinigung sparen – für die Stadtbewohner bringt dies jedoch gesundheitliche Nachteile in Form von vermehrtem Vorkommen von Asthma, Schlaganfällen oder Herzinfarkten mit sich. Viele Vorteile kann man nur deswegen erzielen, weil man die Nachteile externalisiert – also auf andere abwälzt. In der Spieltheorie wird dies als Nullsummenspiel bezeichnet. Der Gewinn des einen kann nur durch den Verlust eines anderen erzielt werden.

Im Gegensatz zu der Auffassung, dass der Nutzen der einen der Schaden der anderen ist, versprechen Managementmoden, dass mit ihrer Hilfe diese Nullsummenspiele unterbrochen werden können. Von der Umsetzung ihres zentralen Prinzips in Organisationen würden, so das Versprechen, letztlich alle profitieren. Die Mitarbeiter würden glücklicher werden, die Organisationen effizienter, die Kunden wegen einer besseren Qualität der Produkte zufriedener. Die Kommunen wären Nutznießer der innovativeren Organisationen, die Umwelt würde weniger belastet werden und die Welt insgesamt eine Bessere werden. In der Spieltheorie wird dies als Win-win-Situation bezeichnet. Der Gewinn der einen stellt auch einen Gewinn für andere dar.

Bei den Managementmoden wird diese Vorstellung einer Win-win-Situation besonders dadurch deutlich, dass die Glücksversprechen sich nicht nur auf die Mesoebene der Organisation beziehen, sondern auch auf die Mikroebene jedes einzelnen Individuums. Es ginge bei dem Konzept, so das Versprechen, nicht mehr nur um die Steigerung der Effektivität, Effizienz und Innovation in einer Organisation, sondern auch darum, dem einzelnen Menschen Wachstumspotenziale zu ermöglichen.

Aber auch die Gesellschaft insgesamt hätte, so dass immer wiederholte Versprechen, von einer Managementmode einen grundlegenden Nutzen. Unternehmen mit einer klassischen Organisationsform wären, so die übliche Präsentation einer Managementmode, durch eine „ungesunde Autonomie“ geprägt und würden ihre „Verantwortung gegenüber der breiteren Welt“ ignorieren. Ihre Managementkonzepte hätten jedoch das Potenzial, „ohne irgendwelche chaotischen Revolutionen“ unsere klassische Vorstellung von nationalen Regierungen in eine neue Art von „weltweit integrativer Machtstruktur zu transzendieren“. Es würde eine „neue Art von integriertem Nervensystem und Entscheidungsfindungs-Nexus für die Welt“ entstehen. Am Ende stünde, so mehr oder minder explizit das Versprechen jedes Managementkonzepts, eine bessere Welt – mit mehr Wohlstand, weniger Umweltverschmutzung und weniger Konflikten.


Aus „Managementmoden nutzen. Eine sehr kurze Einführung“ (Springer VS 14,90). Die Publikation der Auszüge soll die Auseinandersetzung mit den Überlegungen zu Managementmoden ermöglichen. 

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