
Der Reiz von Managementmoden für Praktiker wird dadurch verstärkt, dass das präsentierte zweckrationale Organisationsmodell mit einer Reihe von attraktiven „Zutaten“ angereichert wird. Es wird ein Organisationsprinzip in den Mittelpunkt gestellt, an dem sich das Management orientieren kann. Es werden Methoden präsentiert, mit denen das Konzept in der Praxis umgesetzt werden soll. Der Verweis auf Vorreiterorganisationen dient als Beleg, dass andere Organisationen mit dem Managementkonzept ihre Innovationskraft, Effizienz und Mitarbeiterzufrieden massiv gesteigert haben. Die homöopathisch eingestreuten Verweise auf Theorien dienen dazu, das Managementkonzept als in der Wissenschaft verankert zu präsentieren.
Die Präsentationen eines Erfolgsrezeptes
Die Möglichkeiten von Organisationen, sich über ihre Struktur eine Gestalt zu geben, sind überschaubar. Sie können Entscheidungen eher dezentralisieren, um lokal angepasste Lösungen zu finden, oder zentralisieren, um die Organisation stromlinienförmig auszurichten. Organisationen können Hierarchien abflachen und dabei größere Führungsspannen akzeptieren oder eher mit steilen Hierarchien arbeiten und so eine Ansprechbarkeit der Führungskräfte gewährleisten. Man kann versuchen, Personal langfristig an die Organisation zu binden, um von ihrer Erfahrung und Loyalität zu profitieren, oder eher auf eine hohe Austauschbarkeit des Personals setzen, um eine höhere Personalflexibilität zu erhalten. Mitarbeiter können über genaue Wenn-Dann-Regeln geführt werden, so dass eine hohe Routinisierung der Arbeit erreicht wird, oder über Zielvorgaben, bei denen den Mitarbeitern in einem gewissen Rahmen die Wahl der Mittel überlassen wird. Insgesamt gibt es in Organisationen nicht mehr als ein paar Dutzend Stellschrauben, die in die eine oder andere Richtung gedreht werden können.
Bei einer Managementmode wird lediglich eines dieser bekannten Prinzipien prominent herausgegriffen und alle anderen Gestaltungsprinzipien daraus abgeleitet. Man denke an die Zerlegung des Arbeitsprozesses in möglichst kleine Pakete als Grundprinzip des Taylorismus, die Propagierung des internen Unternehmertums im Konzept des Intrapreneurships, der konsequente Abbau von Puffern im Lean Management, die Propagierung des weitgehenden Verzichts auf Formalität bei der Organisationskultur, die Ausrichtung an Prozesse im Konzept des Business Process Reengineerings oder das Ansetzen an der Rolle und nicht der Person in der Holacracy.
Dabei wird eine Stellschraube, die sich für eine spezifische Problemstellung in einzelnen Organisationseinheiten bewährt hat, als Leitprinzip für die ganze Organisation propagiert. Die Idee, bei der Teamarbeit auf einen Vorgesetzten zu verzichten und nur noch einen Sprecher zu wählen, wird im Konzept der demokratischen Unternehmung dann zum Prinzip für die gesamte Organisation hochgejazzt. Der Grundgedanke agiler Programmiermethoden, in dem statt eines über Monate oder Jahre gehenden Planungsprozesses nur noch von Woche zu Woche Ziele für die Softwareentwicklung vereinbart werden, wird im Modell der agilen Organisation dann als Leitidee für die gesamte Organisation ausgegeben. Der Gedanke, die Rollen von Organisationsmitgliedern bis ins kleinste Detail formal zu fixieren, wird an Fließbändern, in Callcentern und bei Lieferdiensten erfolgreich erprobt, in hyperformalisierten Managementkonzepten dann zum Grundprinzip für die gesamte Organisation erhoben.
Die Entwicklung von passenden Methoden für eine Managementmode
Managementkonzepte werden mit einer Vielzahl von Managementmethoden angereichert. Lean Management wird mit Methoden wie Six-Sigma, Kaizen, dem Ishikawa-Diagramm, der Shainin-Methode zur Problemformulierung, dem Value Stream Mapping, der Plan Do Check Act Methode oder der Darstellung auf Flow Boards unterlegt. Das Konzept der agilen Organisation wird mit Methoden wie User Stories, Story Mapping, Prototyping, Minimum Viable Product, Customer Journey, Timeboxing, Sprints, Kanban, Backlog, Daily Stand-up und Retrospektiven untermauert.
Die Funktion von Methoden ist, den Eindruck zu vermitteln, dass ein Managementkonzept umsetzbar ist. Die Managementmoden heben ein Organisationsprinzip hervor und bestehen sonst häufig auf wolkigen Wertformulierungen, die ohne Beiwerk den Praktiker ratlos zurücklassen würden. Das Versprechen von mehr Agilität, höherer Resilienz, größerer Responsivität, radikaler Verschlankung oder verstärkter Prozessorientierung klingt gut, lässt aber offen, wie dieses umgesetzt werden könnte. In Kontrast dazu sind Managementmethoden greifbarer. Sie können in wenigen Tagen geschult und in Workshops in Anwendung gebracht werden.
Die Zahl von Managementmethoden ist nicht mehr zu übersehen: Design-Thinking, Projektstrukturplanung, Netzplantechnik, Moderationsmethode, Stakeholder-Analyse, Meilensteintrend, Retrospektive, Scrum-Methode, Six Sigma, Kanban , „Programm Evaluation & Review Technique“, „Portfolio-Management“, „Stakeholder-Management“, „Intrapreneurship“, „Managerial Grid“, “Benchmarking”, “360-Grad-Feedback”, “One-Minute-Management“, “Brainstorming”, “Moderationsmethode”, , „Management-by-walking-around“, “Zero Base Budgeting”, “Just-in-Time”, “Qualitätszirkel”. Es hat sich inzwischen ein eigenes Buch-Genre ausgebildet, das nur darin besteht, die Methoden in immer wieder neue Formen zu sortieren und aufzubereiten.
Bei Managementmoden wird auf bekannte Managementmethoden zurückgegriffen und nur vereinzelt neuartige Methoden entwickelt. Die Promotoren von Managementmoden bedienen sich im Repertoire des bekannten Werkzeugkastens und passen die Werkzeuge lediglich für ihre Zwecke an. Bekannte Werkzeuge werden mit einigen neuen Features ausgestattet, sodass es einen Wiedererkennungswert gibt und gleichzeitig nicht das Gefühl ausgelöst wird, dass es sich lediglich um die Wiederauflage Altbekannten handelt.
Die Lobpreisung von Vorreiterorganisationen
Die Verkündigung eines Erfolgsprinzips und die Vorstellung von Managementkonzepten allein reicht nicht aus. Es braucht die Versicherung, dass die Erfolgsprinzipien auch funktionieren. Für die Etablierung einer Managementmode ist es deswegen zentral, dass sie durch Organisationen illustriert wird, die durch das Prinzip erfolgreich geworden sind. Es muss so erscheinen, als ob „reale Manager“ mit dieser Mode „reale Probleme“ in „realen Organisationen“ gelöst haben. Eine zentrale Rolle spielt bei Managementmoden die Präsentation von Vorreiterorganisationen, mit denen die Anwendung von Managementprinzipien illustriert werden kann.
Dabei gibt es zwei unterschiedliche Varianten: In der einen Variante werden als fortschrittlich geltende Organisationen herangezogen und dann die eigenen Rezepte als Ergebnis einer Analyse dieser Organisationen dargestellt. In der anderen Variante wird eine Sammlung von Erfolgsrezepten präsentiert und dann am Beispiel von Organisationen, die beim Einsatz dieser Methoden erfolgreich gewesen sind, illustriert.
Häufig erfährt man dabei nicht, auf welcher Basis die Darstellung der Vorreiterorganisationen ruht. Man weiß nicht, wie viele Gespräche in der Organisation geführt wurden, welche teilnehmenden Beobachtungen durchgeführt wurden und wie die Unterlagen der Organisation ausgewertet wurden. Stattdessen dominiert ein mehr oder minder gut gemachtes „Storytelling“. Die Vorreiterorganisationen werden in einer möglichst illustrativen Sprache präsentiert, die Darstellungen sind durch den Kampf mit dramatischen Krisen geprägt und am Ende steht immer ein beeindruckendes Happy End.
Zentral bei dem „Storytelling“ ist, dass die Geschichte des Erfolgs in einer Organisation personalisiertwird. Die Rede ist von der Entdeckung des Lean Management beim Autohersteller Toyota, durch den späteren Vorstandschef Eiji Toyoda und sein „Produktionsgenie“ Taiichi Ohno. Von Percy Barneviks Vision einer konsequent dezentralisierten Organisationsform, die der Vorstandsvorsitzende des Automatisierungs- und Energieunternehmens ABB entwickelt hat, oder von Tony Hsieh, der mit seiner Hyperformalisierung sein Unternehmen Zappos zu neuen Ufern geführt haben soll.
Bei den Geschichten über die Vorreiterorganisationen wird eine einfache Kausalbeziehung zwischen dem vermeintlichen Erfolg einer Organisation und einem Managementprinzip hergestellt. Die Effizienzsteigerungen, die Innovationskraft oder die Mitarbeiterzufriedenheit werden in einer starken Simplifizierung mit der Anwendung eines Managementprinzips erklärt. Dass auch ganz andere Faktoren – allgemeiner wirtschaftlicher Aufschwung, Wechsel im Management oder auch nur ein glücklicher Zufall – zum Erfolg der Organisation beigetragen haben könnten, wird ausgeblendet.
Die Geschichten über Vorreiterorganisationen verbreiten sich dann über ein simples Copy and Paste. In einem Managementbestseller wird eine Organisation, die von den Autoren im besten Fall durch einen kurzen Besuch und einige wenige Gespräche kennengelernt wurde, als ein Beispiel für ein propagiertes Managementprinzip gepriesen. Dann setzt ein Prozess der weitgehend ungeprüften Übernahme des Beispiels dieser Vorreiterorganisation ein. Berater, die auf eine Modewelle aufspringen, präsentieren die in einem Managementbestseller behandelte Organisation als Vorbild, häufig ohne, dass sie diese selbst aus einer eigenen Analyse kennen. Manager, die versuchen eine Managementmode in ihrer eigenen Organisation zu nutzen, stellen die im Managementbestseller behandelte Organisation als Vorbild dar, obwohl sie lediglich die Schauseite der Organisation durch eine maximal eintägige Firmenbesichtigung kennengelernt haben.
In dem Prozess der Weitererzählung einer Geschichte verfestigt sich das Bild der Organisation als Vorreiter für ein Managementprinzip. Wenn eine Geschichte so häufig erzählt wird, so der Tenor, kann sie nicht falsch sein. Der Effekt ist, dass Literatur über diese Vorreiterorganisationen über Jahre – manchmal auch über Jahrzehnte – durch die Managementdiskussionen geistert, obwohl sie häufig kaum noch etwas mit der Organisation zu tun hat, die ursprünglich einmal in dem Managementbestseller gepriesen wurde.
Die Suggestion von Wissenschaftlichkeit
Auf den ersten Blick müsste man davon ausgehen, dass wissenschaftliche Legitimation für eine Managementmode nicht nötig ist. Als Legitimation für eine Managementmode müsste ausreichen, dass die Promotoren auf die Zweckdienlichkeit und Praktikabilität der Lösungen verweisen, die die Managementmoden für grundlegende Probleme in Organisationen liefern. Letztlich dominiert bei der Verankerung von Managementmoden in Organisationen die Frage, ob sie nützlich oder nicht nützlich sind.
In der Wissenschaft steht dagegen die Frage im Mittelpunkt, ob eine Erkenntnis wahr oder falsch ist. Die Frage, ob eine wissenschaftliche Erkenntnis auch außerhalb der Wissenschaft nützt, ist zweitrangig. Wissenschaftler adressieren mit ihren Forschungen – jedenfalls in ausdifferenzierten Wissenschaften – andere Wissenschaftler. Insofern ist das Vorurteil von Praktikern, dass Wissenschaftler sich keine Mühe geben, ihre Erkenntnis „verständlich“ darzustellen, berechtigt. Demzufolge könnte der Verweis darauf, dass eine Managementmode im wissenschaftlichen Elfenbeinturm erdacht wurde, bei Praktikern Misstrauen auslösen und Zweifel an der Praktikabilität wecken.
Auf den zweiten Blick fällt jedoch auf, dass Promotoren einer Reihe von Managementmoden Wert darauflegen, dass diese durch die Wissenschaft abgesichert sind. Es wird herausgestellt, dass die Erfinder einer Mode an einer renommierten Hochschule beheimatet sind. Besonders US-amerikanische Hochschulen haben einen eigenen Geschäftszweig entwickelt, in dem Praktiker mit Professoren-Titeln ausgestattet werden, das Ansehen der Hochschule in finanziell lukrative Ausbildungen für Manager umzuwandeln, die mit wissenschaftlichen Ansprüchen der Hochschule bestenfalls nur noch lose gekoppelt sind.
Die Managementbestseller werden mit Verweisen auf große Denker und große Wissenschaft verziert. Zur Rechtfertigung der eigenen Vorgehensweise wird darauf verwiesen, dass eine „große Anzahl von Forschern – darunter Psychologen, Philosophen und Anthropologen – die Reise des menschlichen Bewusstseins genau untersucht hätten“ und damit die Grundlagen für die entwickelte Konzeption für eigene evolutionäre Organisationen entwickelt hätten.
Ein Grund für die Wissenschaftsfixiertheit bei vielen Managementmoden könnte in der Statusangst von Managern und Beratern liegen. Während die Ausbildung von etablierten Professionen wie Medizinern, Juristen oder Theologen wissenschaftlich fundiert ist und zum überwiegenden Teil an Universitäten stattfindet, hat die Ausbildung von Managern und Beratern kein vergleichbares wissenschaftliches Fundament. Diese wahrgenommene Statusdifferenz zu etablierten Professionen kann dazu führen, dass Manager und Berater gegenüber wissenschaftlichen Begründungen von Managementmoden besonders empfänglich sind.
Aus „Managementmoden nutzen. Eine sehr kurze Einführung“ (Springer VS 14,90). Die Publikation der Auszüge soll die Auseinandersetzung mit den Überlegungen zu Managementmoden ermöglichen.

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