Es ist eigentlich eine gute Idee, den Kampf der Libyer um Demokratie und die Landtagswahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt für die Überleitung in den TV-Nachrichten zu verknüpfen. Immerhin sterben auf der einen Seite Menschen beim Kampf um ein Recht, dass auf der anderen Seite, beinah mehrheitlich, aktiv ignoriert wird.
Aber, die Idee der Demokratie verweist auf einen sozialen Genotyp, von dem sich nicht einfach ein Phänotyp abkoppeln lässt. Die demokratische Mitbestimmung, die politische Mandatierung von Institutionen statt Personen, die Möglichkeit des Entzugs politischer Amtsmacht und Anderes sind nur die eine Seite der Medaille. Gegenüber der Legitimität steht die Souveränität. Beim Betrachten dieser Seite ergäbe sich eine ebenfalls interessante Möglichkeit TV-Nachrichten überzuleiten.
Es ist nämlich auch eine gute Idee, den Kampf für eine volkssouveräne Regierung in Libyen und die Tatsache einer souveränen Regierungsentscheidung in Deutschland, sich an keinem weiteren Krieg zu beteiligen, in Beziehung zu setzen.
Man kann beide Dinge, die demokratische Legitimität und die staatliche Souveränität, thematisch entkoppeln und unabhängig voneinander problematisieren – doch die so gewonnenen Argumente hielten keinem anspruchsvollen Widerspruch stand. Legitimität und Souveränität sind die zwei Seiten der Medaille, die das einzige politische Sozialmodell darstellt, das sich evolutionär und als moralisch-gut behauptet hat: der (demokratisch verfasste) Rechtsstaat.
Der Rechtsstaat, den wir nur als Demokratie kennen, auch wenn er nicht zwingend auf Wahlen angewiesen ist, ist die einzige Staatsform, die das Problem der Gewalt nachhaltig lösen kann: mit politischer Macht, der stetigen Androhung von negativen Sanktionen, deren Umsetzung jedoch der absolute Ausnahmefall bleibt. Die einfachste Definition von Demokratie ist dabei folgende: Demokratie ist, wenn die kollektive Bindung einer politischen Entscheidung vorher vorbereitet, statt nachher durchgesetzt wird. Das bedeutet: Der demokratisch verfasste Rechtsstaat ist das einzige politische Sozialmodell, dass Entscheidungsstrukturen und Entscheidungen voneinander strukturell entkoppelt und jeweils, durch inhaltliche (politisierte) Themen und (politisierte) Probleme, operativ wieder zusammenführt.
Dadurch gewinnt der Rechtsstaat vergleichsweise viel Kapazität für Strukturen und Inhalte. Weil die Struktur, auf der er beruht, das Recht, beinah nichts inhaltlich festlegt – nur ein bisschen von dem, was auf jeden Fall verboten ist, wird expliziert. Der Rest ist, wenn nicht „motivlos akzeptiert“ wird, Verhandlungssache für die der Rechtsstaat politische und juristische Verfahren (Bürger vs. Bürger, Staat vs. Bürger, Bürger vs. Staat) bereithält.
Eine demokratische Regierung ist immer legitim und souverän. Sie ist strukturell legitimiert um inhaltlich souverän zu entscheiden. Die inhaltliche Souveränität, auch bekannt als „Kapazität für kollektiv bindendes Entscheiden“ ist die Zielsetzung des ganzen theoretischen und praktischen Unterfangens Legitimität zu erzeugen, zu begründen, zu erklären und zu verstehen.
Bis hierhin handelt es sich um eine soziologisch nüchterne, absolut unhistorisierte Feststellung. Und so ist auch die Feststellung, auf die alles hinauslaufen soll:
Es ist ein bisschen paradox, einen demokratischen Staat zu einem „demokratisierenden“ Gewaltmitteleinsatz zu überreden, während alle Argumente die dafür mobilisiert werden, seine souveräne Entscheidung dieses Staates infrage stellen.
(Der eigentliche „Bündnisfall“ betrifft nämlich weniger die inhaltlichen Abmachungen zwischen Staaten, sondern viel mehr die strukturelle Abmachung, wie passiv auch immer, zwischen Bürgern. Etwas romantisch, aber so formulierbar.) (Es handelt sich hierbei um kein Argument für oder gegen irgendwas, sondern nur um eine Anmerkung.)
(Bild: Eric E Johnson)