(Der Krieg beschäftigt alle, auch mich. Obwohl mir dazu nichts besonders Soziologisches einfällt, missfallen mir manche Formen des Argumentierens. Daher an dieser Stelle ein eigener Beitrag.)
Ich frage mich ja, ob die Kanzlerin früh morgens am Telefon sitzt und mithört, wenn in Afghanistan kritische Kampfeinsätze mit deutscher Beteiligung laufen. Als Deutschland sich im Kosovo-Einsatz erstmalig in der Nachkriegszeit militärisch im Ausland engagierte, so erfuhr man nachträglich durch Doris Schröder-Kopf, blieb Gerhard Schröder nachts wach, verfolgte die Einsätze im Kanzleramt mit und schloss den Tag erst ab, als alle deutschen Piloten wohlbehalten zurückkehrten.
Es ist nicht so lange her, da war Krieg eine derartige Alltags-Ausnahme, ein empirischer Sonderfall, den man nur mit einer aufwendigen Semantik der „allerletzten Mittel“ noch fassen konnte. Das hat sich in den letzten 10 Jahren geändert. Die Bundeswehr ist weltweit aktiv und einige Einsätze werden inzwischen, der Realität angemessen, als Krieg bezeichnet. Man ist sogar soweit, sich zu wundern, dass Deutschland nicht mitmacht, wenn ein „Kriegseinsatz erforderlich“ ist.
Der Begriff „Krieg“ wurde nicht nur, wie häufig mit Zug zu unangebrachter Pointe berichtet, aus versicherungstechnischen Gründen nicht verwendet, sondern weil er in weiten Bevölkerungskreisen eine Reaktion auslöst, die der politischen Unterstützung nicht förderlich ist. Mittlerweile ist es aber wieder gängige Praxis, zwischen historischen und politischen Kriegen zu unterscheiden. Die Ersten sind die Schlimmen, Destruktiven der Vergangenheit, die nie vergessen werden sollen. Die Zweiten sind die Guten, Konstruktiven der Gegenwart, die der Welt Demokratie und Wohlstand bringen.
Diese Idee der Unterscheidung destruktiver und konstruktiver Kriege hat sich inzwischen behauptet und führt aktuell zu einem interessanten Gleichnis. Denn die Japaner haben das gleiche Semantikspielchen mit der Atomkraft vollführt. Sie bauten zum einen das „Hiroshima Peace Memorial Museum“ um an die destruktive Kraft der Atomkraft zu erinnern, entschieden politisch, sich niemals direkt oder indirekt an eigenen oder fremden Atomwaffenprojekten zu beteiligen und begannen gleichzeitig mit der Planung des ersten Atomkraftwerks um die Atomkraft konstruktiv zu nutzen.
Man kann sich, beim Thema Libyen, natürlich über das Tagewerk der Politik wundern, doch lässt es die aktuelle Situation auch zu, einmal mit mehr Abstand die Lage zu betrachten. Denn wieder wird versucht eine konstruktive Sache (das Vertreiben eines Despoten, das Bringen von Demokratie, das Abwenden von Leid) herbeizuführen mit dem einzigen Werkzeug, dass per Definition nur eines sein kann: substanziell destruktiv.
Es gilt wieder die Idee, dass man konstruktive Politik per destruktivem Krieg machen könnte. Es gilt aber auch eine andere Idee, die u. a. Helmut Schmidt oft in Interviews explizierte: Alle Außenpolitik ist Interessenpolitik. Es bietet sich an, beinah verschwörungstheoretisch zu fragen, was die Involvierten derzeit in den Kriegseinsatz treibt oder warum gerade nicht für Krieg optiert wird.
Neben den Vermutungen sind aber auch Feststellungen zulässig: Jeder hat ein politisches Interesse, sich in Libyen zu engagieren. Allein die 2% des Welt-Öls sind eine nicht zu unterschätzende Sachlage. Zudem wird, meiner Ansicht nach, noch unterschätzt, was der „Arab Spring“ für die europäische Wirtschaft bedeutet, allein, weil dort gerade die Aussicht besteht, zahlreiche „Kommandowirtschaften“ abzulösen und sowohl Produktionsstädten als auch Konsummöglichkeiten zu erschließen – auch wenn das etwas Langfristigkeit erfordert.
Also, wenn schon Interessenpolitik, dann doch wenigstens nicht ganz so destruktiv wie ein Krieg. Wer in der Lage ist, einen Marschflugkörper zu entwickeln, in Serie zu bauen und einzusetzen – was grob Überschlagen mehrere Millionen Dollar pro Schuss bedeuten kann – sollte in der Lage sein, seine Interessen zu formulieren und Ziele zu erreichen, ohne vorher alles in Schutt und Asche zu legen.
Auf der anderen Seite wird die Welt aber in BIP-Zahlen beobachtet und jeder abgeschossene Marschflugkörper und jedes zerstörte Gebäude bedeutet natürlich ein großes Plus in der Jahresbilanz.
(Bild: Martin Gommel)