Heute Morgen bin ich beim autopoiet über eines der vielen, tollen Dirk Baecker Interviews gestoßen und habe mein geplantes Vormittagewerk mal wieder über den Haufen geworfen. Was aber doppelt entschuldigt werden kann, weil man seine Zeit mit Dirk Baecker nie verschwendet und es überdies inhaltlich darum ging, von der europäischen Tugend des Planumsetzens Abstand zu gewinnen. ;-)
Über Sebastians Ausführungen stieß ich dann auf eine sehr interessante Aquarienmetapher. Fische kennen ihr Lebensmittel, das Wasser, nicht. Über diese Idee wurde ich wieder erinnert, wie sehr Sprichworte, die für gewöhnlich wenige Worte (in Tweetdimension) umfassen, unsere Gesellschaft und individuelle Lebenssituationen beschreiben können – wenn man in der Lage ist, sich den Rest hinzuzuersinnen. Stichworte: Fisch, Strom, Richtung. Damit ist die Grundlage gelegt, um alles sagen zu können.
Eine andere interessante Idee ist die seit Jahrhunderten verwendete Metapher des Phänomens: Bücher verschlingen. Auch in diesen zwei Worten steckt beinah alles drin. Individuum, Handlung, Welt, Inkorporation / Verinnerlichung / “Einverleibung“ / Lernen, Trieb/Vernunft, Eros/Thymos, … Ich wollte das mal für einen Artikel hier ausschlachten, doch es ist eigentlich nicht notwendig.
Sind es nun die großen, aktuellen Bücher, die uns die Welt erklären oder doch die kleinen, alten Sprichworte? Am Ende gilt wohl die alte Regel, dass die Welt nur per Improvisation bewältigt werden kann, dass gelingende Improvisation aber doch wieder eine exklusive Kunst der Virtuosen ist. (An dieser Stelle nun die üblichen Hinweise auf Improvisationen von Luhmann und Baecker. Und auch auf den tollen Herrn @schlenzalot.)
(Bild: lepetitNicolas)
… oder mit Monsieur Jullien selbst:
Das Potential der jeweiligen Situation als Ressource betrachten, schauen ob ihre Entwicklung Früchte trägt, ob sie generell tragfähig ist (so wie man im Französischen auch von einem profitablen Markt spricht: „porteur“), oder im direkten Zitat ein „[…] anderes Bild, das heute auch schon üblich ist: wenn man sagt ‚surfen‘.“ Dazu braucht es imho dann weniger Virtuosität (denn der Virtuose ist eine Variante des hḗrōs, ein Grieche sozusagen…) als Opportunismus – ein Wort, das im Deutschen leider negativ konnotiert ist.
Peter Sloterdijk sagt (in diesem von mir schon vertwitterten Gespräch http://www.videoportal.sf.tv/video?id=dd79097c-e446-4d97-81cf-627cbd2fc52c) am Ende auf die Frage, was man von Philosophen für seinen Alltag lernen könne: (sinngemäß) Wer ‚Alltag‘ sagt, missachtet das Angebot der Situation.
Sowas sagen, improvisierend, nur opportunistische (oder, um es positiv zu konnotieren: romantische oder romantisierende) Virtuosen. ;-)