Die „Würde“ des Amts ist doch allen egal. Es geht nur um die Person Wulff. Viele mochten sie nie und mittlerweile wissen alle, dass es niemanden (mehr) gibt, der von ihm noch etwas hält oder erwartet. Man weiß auch, warum er nicht zurücktritt. Weil völlig unklar ist, was er danach tun sollte. KT Guttenberg hielt es mit 400 Millionen Vermögen nicht zuhause aus, S Berlusconi, der Medien und Milliarden beherrscht, will unbedingt zurück in die Politik. Was sollte Christian Wulff aus Osnabrück noch in der Welt wollen, ohne Amt? Alles hatte er wegen seinen Ämtern. Nun behält er es. Aber was nützt es ihm? Er kann es für kein anderes Amt mehr verlassen, es ist sein letztes und er glänzt nicht mehr darin.
Wulff stellt in seinem Interview fest, dass er sein Verhältnis mit den Medien ändern muss. Er möchte sie als Mittler mehr einbinden. Er hat erkannt, dass dies wichtig ist, in einer Demokratie. Mit Medien meint er die Bild-Zeitung und mit seinem Verhältnis zu den Medien seinen dämlichen Anruf einer Mailbox. Guten Morgen, Herr Präsident! Wer 2012 „Medien“ sagt, sollte eigentlich was anderes meinen: Twitter und so weiter. Denn, das was im Internet passiert, ist ein guter Indikator für ganz andere Vorgänge, auf die Wulff mit seinem Privatsphären-Gerede implizit verweist.
Es ist diese grundlegende Überforderung. Nicht der Einzelne ist überfordert, sondern die Gesellschaft selbst. Sie bietet Kommunikationswege, von denen niemand weiß, wie sie zu benutzen sind und welche Folgen ihre Benutzung hat. Man ist sich nur sicher, dass man sie nutzen muss. Erst einmal behilft man sich mit Humor – aber, das kann man sicher sagen, nur aus Verlegenheit.
Jeder Halbsatz von Wulff ist Anlass für das nächste Mem; inzwischen hat er Angst vor öffentlichen Terminen (Weihnachtsansprache, Sternsinger, …). Das Prinzip der öffentlichen Person muss ziemlich neu gedacht werden. Wenn jede persönliche Regung nicht nur mit Gedanken, sondern mit sofort für alle & von allen einsehbaren Assoziationen begleitet wird. Wulffs Interview wurde veröffentlicht und kollektiv transkribiert, also zitierfähig und verlinkbar gemacht, als es fast noch unausgesprochen war. Jetzt, da es gerade im TV lief, ist es schon allen bekannt, die Perlen sind bereits karikiert und die Meinung ist kollektiv gebildet.
Es ist also wirklich fast egal, was als Nächstes sachlich passiert. Die Urteile sind gebildet und um Würde geht es überhaupt nicht mehr. Früher, als auf die Würde eines Amtes per Siegel verwiesen wurde und die Person schon deshalb kaum eine Rolle spielte, weil sie abwesend und optisch unbekannt war, da funktionierte es noch. Heute jedoch geht es nur noch um Personen. Und wenn eine Person öffentlich verbrannt ist, dann ist egal ob und welches Amt sie hat.
Vielleicht geht es einmal so weit, dass die Eigenschaften einer Person sich auf ein Amt vererben – umgekehrt, alt hergebracht, funktioniert es nicht mehr.
(Bild: Jose Carlos Norte)
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