Die Ins-Internet-Schreiberei hält noch immer viele Überraschungen parat. Zum Beispiel die, dass es bei dem, was man so nebenher lernt, tatsächlich nicht sehr oft um Inhalte geht. Ab und zu wird man von einem Wikipedia-Artikel überrascht und erfährt Dinge, die man gut erzählen kann. Viel tiefergehender sind jedoch die Hilfen zur Selbsthilfe. Ganz prägnant ist für mich immer noch die Idee der Assoziologie von Klaus. Ohne Internet wäre sie viel unwahrscheinlicher.
Sie ist vor allem immer dann wieder interessant, wenn man klassische Seminarsoziologie erlebt und sich immer häufiger langweilt, während die Klasse der Professoren, Generation 50+, in den Disput einsteigt. Denn häufig ist es kein wirkliches Streitgespräch, sondern einfach eine nette Plauderei zwischen Häppchenpausen vor einem kleinen Publikum. Dispute, Debatten und Diskussionen verschenken viele Potenziale und Zeit, weil sie sich zu sehr innerhalb der Grenzen von Interaktionssituationen verstricken: Man gestattet dem anderen, auszusprechen; man bedankt sich für Vor- und Beiträge; man hört, den Blick haltend, zu; man reagiert auf Gesagtes und schlägt Brücken zu noch Ungesagtem; man verbringt viel Zeit mit Füllworten und Überleitungen.
Gelingende Assoziologie dagegen lässt diese Rücksichten fast alle fallen. Kein Dank für vorhergehende Beiträge, keine Beachtung des Uninteressanten, keine Rücksicht auf persönliche Befindlichkeiten. Man setzt einfach eine Unterhaltung fort, ohne sich rückzuversichern, was man verstanden hat. Man führt ein Gespräch einfach fort. Im besten Sinne bestätigt sich durch diese fortlaufende Rosinenpickerei das bekannte Luhmann-Zitat, dass nur die Kommunikation kommuniziert und alles Weitere nur als Bedingung, also inhaltlich eigentlich nicht, zu berücksichtigen sei. Jeder nimmt teil und niemand interessiert sich für die Qualität von Argumenten. Man hat sich so weit wie möglich von der Idee verabschiedet, einen Konsens anzustreben. Wozu auch?
Das Prinzip kann gut gelingen. Wikipedia-Texte etwa werden seit Anfang an so geschrieben. Auch das schriftliche Mitdenken im Internet funktioniert so. Irgendwo taucht eine Idee auf, die man übernimmt, ohne sich mit dem Kontext zu befassen, aus dem man sie herausnimmt. Lange, ausformulierte Texte bleiben zurück, wenn nur ein kleiner Ausschnitt zitiert und daran angeschlossen wird. Das Twittergeschehen beruht zu einem sehr bedeutenden Teil genau darauf.
Aber das Prinzip hat Grenzen. Denn eigentlich führt Assoziologie hauptsächlich zu Inspiration. Produktion wiederum ruht auf anderen Mechanismen und Prinzipien. Es kommt sogar gerade darauf an, die Assoziologie ab und zu zu unterbrechen, um inhaltlich weitere Schritte zu gehen. Jeder kennt den Unterschied zwischen einem Seminar, das einfach so stattfindet und einem, das eine Textgrundlage hat. Kluge Studenten besuchen zum Ende ihres (geisteswissenschaftlichen) Studiums nur noch Kolloquien, weil sie Assoziologie mögen aber wissen, wo ihre Grenzen sind. Die Assoziologie (der Seminarsoziologie) beginnt mit einem allein geschriebenen Text und endet damit, dass an diesem Text alleine weitergeschrieben wird. Assoziologie ist eine Etappe guter Soziologie die, wenn sie gelingen möchte, auf einen in Einsamkeit geschriebenen Text hinauslaufen muss.
Dieser fertige Text kann dann seinerseits Ausgangspunkt oder Etappe anderer Assoziologie sein, für andere Themen und andere Soziologen. Aber nur noch Assoziologie zu betrieben, Soziologie also nur noch der Kommunikation auszusetzen und sie nicht mehr als Auseinandersetzung eines Einzelnen mit einem leeren Blatt Papier zu betrachten, das geht doch zu weit..!? Interessante Soziologie entsteht nicht aus heißer Luft, sondern wird von guten Soziologen in mühsamer Schreibtischarbeit geschaffen. Das klingt etwas romantisch. Aber mein Maßstab für gute Soziologie ist noch immer der gute Soziologe, und der zeichnet sich dadurch aus, dass er im Kolloquium nicht die ganze Zeit seinen Text verteidigt, sondern aufmerksam der Assoziologie der anderen lauscht und sich selbst Notizen macht, für später.
(Bild: Julien)
(Auch dieser Text ließ sich inspirieren und versteht sich trotzdem als eigenständige Autorenleistung.)
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