Nachtrag zur Facebook- und Twitterindustrie

Sascha Lobo hat recht. Mein zuletzt vorgetragener Vergleich von Twitter und der Bahn hinkt. Denn man weiß natürlich, was ein Zug macht und man darf seine Bürgerrechte während der Fahrt behalten, während Online Social Networks es bei einem vagen „möglicherweise“ in ihren AGB belassen und den ihnen ausgelieferten User fordern. Der „Zugriff auf die Datenbank des Denkens und Fühlens“ soll per Marktwirtschaft geschehen und das Scharnier zwischen Individuum, Organisation und Gesellschaft sind die AGB. Warum?

Es gibt dafür keine gute Erklärung. Twitter verkauft keine Software oder Server, sondern Inhalte. Diese jedoch hat Twitter nicht selbst geschaffen. Twitter glückte die „Erziehung der User zur immateriellen Arbeit 2.0“ (Mark Cote und Jennifer Pybus beschreiben es hier). Warum soll alles Twitter gehören, nur weil es in irgendeinem AGB-Text steht, für den sich niemand interessiert?

Die Prüfungsfrage zu dieser Problemstellung lautet: Was ist der Unterschied von Gemeinschaft und Gesellschaft? Schon vor hundert Jahren lautete eine Antwort: Gemeinschaften haben Satzungen, Gesellschaften haben Gesetze. Während zu Gemeinschaften nur Menschen gehören, die einer Satzung explizit zustimmen, gehören zur Gesellschaft grundsätzlich alle. Die Gesetze gelten, unabhängig davon, was der Einzelne von ihnen hält.

Twitter ist, so meine gestrige Feststellung, inzwischen weit mehr als nur eine Gemeinschaft (Organisation, Unternehmen). Twitter ist ein besonderer Teil der Gesellschaft geworden. Natürlich ist alles soziale Teil der Gesellschaft, aber der Verlust von Twitter würde einen spürbaren Unterschied bedeuten. Twitter ist, wie Facebook auch, nicht mehr beliebig austauschbar.

Das ist zum einen ein organisationaler Erfolg, aber damit verbunden ist nun eben auch ein gesellschaftliches Risiko. Und der folgende Vergleich liest sich in einem Satz krass, aber er ist wohldurchdacht: Mit Twitter sollte man gesellschaftlich umgehen wie mit Atomkraftwerken (und vielen anderen Einrichtungen, die Organisationen betreiben). Die Organisation darf über ihre Form in der Gesellschaft nicht allein entscheiden. Wenigstens der Rahmen dessen, was in AGB stehen darf muss auch politisch entscheidbar sein. Der derzeitige Rechtsrahmen ist unbestimmt und kaum exekutierbar. Das eigentliche Problem ist jedoch, dass man gar nicht weiß, wei man die nötige gesellschaftspolitische Diskussion überhaupt führt. Expertensitzungen in Parlamentsausschüssen helfen bislang kaum.

Per allmächtigen AGB soll die Profitabilität von Unternehmen gesteigert werden, die die Idee des Begriffs Produktion nicht kennen. Verwunderlich, dass man den heute nur noch vulgär verwendeten Begriff „Industrie“ noch nicht den Online Social Networks angehangen hat.

(Auch hier handelt es sich um einen Gedankengang, aus dem sich keine Meinung ableiten lässt.)

(Bild: Oldwoodchuck)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

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