Greg Smiths Goldman Sachs Schelte
Am 14. März erschien in der New York Times ein Artikel, in dem der ehemalige Investmentbanker Greg Smith mit seinem wiederum ehemaligen Arbeitgeber, Goldman Sachs, abrechnete. Der Vorwurf, den Smith Goldman Sachs macht und der daraufhin für weltweites Medienecho sorgte, ist simpel: Die Investmentbank versucht losgelöst von Fragen moralischer Integrität Gewinn zu machen und nimmt dabei in Kauf, dass Produkte verkauft werden, die wissentlich keinen Nutzen für den Kunden haben. In der Negativfassung dieser Aussage formuliert, könnte man sogar meinen, die Produkte haben nicht nur keinen Nutzen, sondern richten darüber hinaus auch Schaden an. Von einem herzlosen Verhältnis zu den Kunden, die „abgezockt“ werden, ist die Rede. O-Ton: “It makes me ill how callously people talk about ripping their clients off”. Letztere würden firmenintern sogar nur als “Muppets” (Deppen) adressiert. Smiths Kalkül, so seine Selbstdarstellung, ist dabei die ultimative Selbstaufopferung verstanden als Kündigung und Inkaufnahme des Risikos auf lange Zeit keinen Job mehr an der Wall Street zu bekommen, um die von ihm hoch geschätzt Investmentbank Goldman Sachs zu einem Kurswechsel zu bewegen.
Tags darauf folgte dann ein weiterer Hauptartikel in der New York Times, der den öffentlichen Tadel der Geschäftspraktiken von Goldman Sachs zum Inhalt hat. Der öffentliche Aufschrei ist groß. Thematisiert werden aber auch andere Motive als die Selbstaufopferung für das größere Gut: mit 500.000$ pro Jahr gehörte Smith – in Relation zu Goldman Sachs Gehältern gesprochen – offensichtlich nicht zu den Großverdienern. Auch hatte Smith als Exekutive Director eine Stelle, die von weiteren 12.000 anderen Mitarbeitern der insgesamt 33.000 Mann starken Firma ebenfalls bekleidet wird[1]. Das Unterstellen unlauterer Motive wie simple Rache aufgrund beruflicher Stagnation wird somit vielleicht nicht offen angedeutet, aber zumindest doch insinuiert. Und auch die Frage, welche Moral man einem Arbeitnehmer zurechnen kann, der seiner Firma – und sei es aus „guten“ Motiven – öffentlichen und mittelfristig wahrscheinlich auch finanziellen Schaden zufügt, drängt sich auf.
Was aber kann man nun soziologisch aus diesem Geschehen ziehen? Zunächst mal die grundsätzliche Anmerkung, dass es – wiederum soziologisch betrachtet – Zeitverschwendung ist, über die „wahren“ Motive von Hr. Smith zu diskutieren. Man kennt sie schlicht nicht und selbst Hr. Smith kann sich als glücklicher Mensch schätzen, sollte er sie denn kennen. Sehr wahrscheinlich scheint dies nicht zu sein. Lenkt man den Blick also in der Folge von der Person weg[2] und auf die massenmediale Diskussion hin, so fällt zunächst auf, dass vor allem im Moralschema argumentiert wird. Es geht um den guten Mitarbeiter, der gegen die unredlich agierende Firma vorgeht. Gleichzeitig ist aber auch sofort erkennbar, dass das beobachtungsleitende Moralschema gut/schlecht paradoxieträchtig ist: die moralisch gute Handlung, verwerfliche Geschäftspraktiken anzuprangern, hat schlecht Folgen – sowohl für die Firma, in deren Interesse Smith seinen Artikel verstanden wissen möchte als auch für ihn selber: Stichwort Arbeitslosigkeit. So bleibt es dem Beobachter überlassen, welche Bewertung er zu Grunde legen möchte: ist Smith nun ein Märtyrer, der das Wohl seines Arbeitgeber über seine eigene ökonomische Absicherung stellt, oder aber fügt er aus Naivität und unlauteren Motiven (Bekanntheit) seinem ehemaligen Arbeitgeber Schaden zu?
Fragt man nun aber nach dem Grund für diese Unentscheidbarkeit, so kann man sicherlich großformatig ansetzen und auf eine Moderne verweisen, die ihren inhärenten Zusammenhalt im Sinne eines einheitlichen Wertehorizontes verloren hat. Verschiedene Wertsphären sedimentieren sich nebeneinander, so dass, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, politische, wissenschaftliche oder wirtschaftliche Rationalität nicht mehr zu integrieren sind. Und auch die Moral bietet keine Hilfe mehr, seit man festgestellt hat, dass unter dem Aspekt einer offenen Zukunft betrachtet, auch moralisch gute Handlungen schlechte Folgen haben können. Gleichzeitig muss in Rechnung gestellt werden, dass als direkte Folge dieser gesellschaftlichen Entwicklung jeder Sinn seinen Gegensinn evoziert: wenn niemand mehr weiß, was allgemeingültig richtig ist, weil alles, was kommuniziert wird, aus den verschiedensten Blickwinkeln, die alle ihre Legitimation im Sinne ihrer Faktizität haben, wiederum beobachtet werden kann, gibt es keinen Grund mehr, an getätigten Aussagen nicht zu zweifeln.
Verlässt man nun diese nur angedeutete Abstraktionslage wieder, so kann man zunächst als Ergebnis festhalten: alles, was kommuniziert wird, kann wiederum beobachtet werden und wird somit dem Zweifel ausgesetzt. Aufrichtigkeit, um Niklas Luhmann zu zitieren, ist schlicht und ergreifend nicht mehr zu kommunizieren. Gerade im Kontext der Massenmedien aber, um einen Artikel Klaus Japps zu paraphrasieren, ist die Unterscheidung von Herstellung und Darstellung nicht aus der Gesamtrechnung zu tilgen. Man kann immer, egal bei welchem Thema, fragen, ob die Herstellung einer Aussage – in diesem Fall die Idee Smiths besagten Artikel zu schreiben – ihrer Darstellung (es geht um das Wohl der Firma) entspricht. Und weder noch so hehre Motive noch eine vermeintliche Eindeutigkeit der Sachlage, können die Beobachtung der Kommunikation mit dieser Unterscheidung verhindern, geschweige denn kontingente Interpretationen einfangen.
Was aber ist Greg Smith nun für ein Mensch? Ein Gutmensch, oder jemand, der die maximale Publicity sucht, weil er auf ein Thema (das Diskreditieren von Banken) aufspringt, das aktuell wohl massenmediale Aufmerksamkeit wie kein zweites erregt?[3] Immerhin muss Griechenland schon vor der Staatspleite stehen, um die Banken aus dem Leitartikelblick der großen deutschen Tageszeitungen zu drängen. Und selbst hier sind sie wieder Teil des Themas. Zurück zu unserer Frage: sie ist zu entscheiden. Man kann es im Prinzip machen wie man will: je nachdem woran man glauben möchte. Man muss es halt entscheiden. Und wie man nach Heinz von Förster weiß, ist zu entscheiden so oder so nur, was unentscheidbar ist. Dass 2+2 4 sind, ist keine Entscheidung. Ob ich aber an die tiefe Moralität einer Person glaube oder diese als Nestbeschmutzer stigmatisiere, weil ihr das Committment zum Arbeitgeber abgeht, ist sehr wohl eine Entscheidung.
Man muss sich hier von der Idee verabschieden, man könne ein eindeutiges Urteil fällen. Anders formuliert bietet die Moderne uns die Möglichkeit die zu Grunde liegende Paradoxie, dass Gutes gleichzeitig Schlechtes sein kann, in jede Richtung aufzulösen. Gerade wenn man mitbeobachtet, dass moralische Aussagen anfällig für Fragen ihrer intrinsischen Motivation sind.[4] Somit bleibt es dem Beobachter überlassen, wie er sich entscheiden und was er im Sinne des „Sensemaking“ daraufhin als seinen „inneren Glauben“ ausflaggen möchte: den ungebrochenen Optimismus, dass es gute Motive immer noch gibt, oder einen tiefen Pessimismus gegenüber den Beobachterverhältnissen der Moderne.
Auch diese Argumentation, so muss man wohl zwangsläufig im Sinne der Systemtheorie urteilen, kann man anders sehen. Ändern tut dies allerdings nichts.
Literatur:
Japp, Klaus Peter, 2010: Risiko und Gefahr. Zum Problem authentischer Kommunikation. In: Büscher, Christian/Japp, Klaus Peter (Hrsg.): Ökologische Aufklärung. 25 Jahre „Ökologische Kommunikation“. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Luhmann, Niklas, 1984: Soziale Systeme. Frankfurt am Main: Suhrkamp
v. Förster, Heinz, 1993: Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Weick, Karkl E., 1995: Sensemaking in Organizations. Thousand Oaks: SAGE Publications
[1] Auch wenn sich hier die Thematisierung wohlklingender Stellenbeschreibungen, hinter denen sich operativ nichts verbirgt, unnachahmlich anbietet, soll es darum an dieser Stelle nicht gehen. Der Gedanke an die Kleider, die Leute machen, ist nichtsdestotrotz ein sich aufdrängender. Trotz des „Exekutive Director“ hatte Smith noch nicht einmal Personalverantwortung. Etwas, dass man in kleineren Unternehmen jedweder Branche auch ohne solche einen klingende Stellenbeschreibung haben kann.
[2] Die, um dies der Vollständigkeit halber anzumerken, ja eh nur als massenmediales Schema auftaucht.
[3] Und wurde der Artikel von der New York Times bezahlt? Und wenn wie gut?
[4] Und hier soll nur angedeutet werden, dass Motive sich nicht extramundane Eingebungen bilden, sondern auch dem Wechselverhältnis von Kommunikation und Denken unterworfen sind. Für welche Seite man theoretisch hier auch immer optiert – ob man die Kommunikation der Motivbildung vorgelagert betrachtet (Systemtheorie) oder vice versa (Handlungstheorie): das Bedingungsverhältnis an sich ist nicht wegzudiskutieren.
Schöner Artikel, Danke!
Diskussionen, in denen die Moralkeulen geschwungen werden, haben seit den letzten Jahren (vielleicht auch seit Beginn der Krisenzeiten; nur ne Korrelation oder Kausalität?) einen inflationär steigenden Anteil.
Wenn jemand mit Moral hantiert, aber in der Zwickmühle seiner Befangenheit steckt, wie hier in diesem schönen Beispiel, dann wird der angestoßene Sachverhalt in der Diskussion (sowohl öffentlich als auch privat) schnell sekundär, es geht dann Primär nur noch um seine Motive – diese werden dann zum entscheidenen Diskussionsstoff. Es bilden sich 2 (oder auch mehr) Fronten die sich gegenüber stellen und dann eher seine Motive als seine, wie in diesem Fall, Tatsachen, diskutieren.
Gewinner dieser Diskussionen ist dann nicht derjenige der die besseren Argumente hat, sondern es wird derjenige sein der in dem Moment in dem seine Motive ans Licht kommen, auf der „richtigen Seite“ stand.
Also, bis du zu dem Zeitpunkt z.B. an dem ein Buch darüber von ihm erscheint und jeder mal wieder merken muss, das jemand, der seine Moral in den Vordergrund gestellt hat, leider doch nur sich mit dieser für seine Selbstinszenierung schmücken wollte….;)
Das zieht sich auch in politschen Lagerdiskussionen genau so durch, einfaches Beispiel hier die FDP, denn sebst wenn die sogar mit Moral (auch wenns nur die Moral des Marktes und nicht die einer Gesellschaft war) argumentiert, schafft sie es mit 15% und mehr in den Bundestag; wenn dann jeder herausfindet was die Motive der Moral waren („Mövenpick“-Steuer, spätrömische Dekadenz, usw…), dann ist das Scheitern groß = das gute daran: wer die Moralkeule schwingt, hat damit ein heißes Eisen in der Hand;)
(hoffentlich entspricht der comment eurem anspruch, denn bildung ist das was mir noch fehlt…)