Sportliche Unendlichkeit

Der Sport verändert sich. Jüngst zog sich der Österreicher Felix Baumgartner einen Raumanzug an, stieg in eine kleine Kapsel und ließ sich von einem absurd großen Ballon auf 40 Kilometer Höhe ziehen. Von dort sprang er zurück auf die Erde. Die körperliche Herausforderung für Baumgartner bestand witziger Weise darin, sich so wenig wie möglich zu bewegen. Springen, und dann still halten. Baumgartner gilt als Extremsportler, er selbst sah den Sprung aus der Stratosphäre als eine Herausforderung, wie er sich vielen stellte. Hat Baumgartner mit seiner Aktion nun die Grenze des Sports überschritten, oder noch weiter verschoben?

An dieser Frage kann lange geknabbert werden. Sie zeigt, dass es keine eindeutige Definition von Sport gibt. Was Sport im Kern ausmacht, das wissen wir, doch wo sind seine Grenzen? Es erinnert an die Unterscheidung von Obst und Gemüse — man hat die Unterscheidung nur im Gefühl. Wer weiß schon, dass Obst aus der Blüte wächst und Gemüse in jedem Jahr neu gesät werden muss?

Baumgartners Sprung war eine Herausforderung, bei der er selbst aber tatsächlich nur wenig zu verlieren hatte. Wäre er länger als sechs Sekunden getrudelt, wäre ein kleiner Schirm aufgegangen, um ihn zu stabilisieren. Wäre er bewusstlos zur Erde gefallen, hätte sich in der Höhe von 1500 Metern der Fallschirm für die Landung geöffnet. Baumgartners Schicksal hing fast ausschließlich von Technologie ab. Sensoren haben registriert was passiert, alles weitere wäre ohne weiteres Zutun von Baumgartner auch passiert.

So ist es allerdings nicht gekommen. Baumgartner hatte seinen Sturz unter Kontrolle. Er gilt nun als Held. War es ein sportlicher Sieg? Konkurrenz hatte Baumgartner nicht, es war kein Wettkampf. Er sprang Rekorde, die zuletzt für über 50 Jahren aufgestellt wurden und fiel dem übertrumpften Rekordhalter Joe Kittinger nach seinem Sprung in die Arme. Baumgartner wurde weniger Rockstar als Sportstar. Und bezeichnend ist wohl, dass beide Begriffe gegeneinander ausgetauscht werden können.

Der Astronaut Ulrich Walter, der für Servus-TV einen halben Tag im Fernsehstudio saß, war auch nach Stunden noch voll Euphorie für den „Teufelskerl“ Baumgartner. Und er gab damit dem Publikum, dass nicht ganz wusste, was von dem Sprung zu halten sei, emotionale Orientierung. Der Astronaut werde wohl wissen, wo die Grenze zwischen einem irren und einem waghalsigen Vorhaben ist, beziehungsweise, könne er unterscheiden zwischen einem Wahnsinnigen und einem Genie.

In dieser Hinsicht war es ein recht sportliches Event. Denn mehr noch als einen Sportler, braucht es heute einen Experten und ein Publikum, das eigentlich keine Ahnung von dem hat, was es sieht. So funktioniert auch die Formel 1, Radsport, Rodeln und die Leichtathletik. Die Sportler braucht es nur am Rande, sie sind die Konflikt- und Schicksalsträger, die letztlich Nähe herstellen. Um sie geht es nur, weil es ohne sie nicht ginge: Irgendwo muss das Geld herkommen.

Mit dem Sport hat sich ein sehr merkwürdiges Phänomen in der Mitte der Gesellschaft etabliert. Sport versteht jeder: Personen kämpfen nach bekannten Regeln gegeneinander. Der vierjährige Trainingsmarathon wird allerdings komplett ausgeblendet, was zählt ist die Bestzeit im Finale, die vor den versammelten Augen der Welt erkämpft wird.

Dieses Prinzip des Sports wird demnächst auf eine harte Probe gestellt. Denn bald, schon in vier Jahren, wird zwar immer noch alles auf Olympia hinauslaufen. Aber schon in diesem Jahr wurde Olympia auch per Youtube übertragen, auf unzähligen Kanälen, ohne Moderation, ohne Experten – in dafür grenzenloser Vielfalt. Der Sport steht kurz davor, seine alles verbindende Einheit zu verlieren, mit HD-Bildern aus dem Weltraum.

Vielleicht also, um hier eine Pointe zu bemühen, werden letztlich nur noch die Felix Baumgartners wahre Sportler sein, weil sie nicht nur Einzigartiges machen, sondern mit ihrem Quatsch auch die einzigen sind.

(Bild: My Private Geek)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

2 Kommentare

  1. Frank sagt:

    Wozu war der Sprung von Felix Baumgartners eigentlich gut, bzw. nützlich?

  2. Stefan Schulz sagt:

    Nützlichkeit, was für eine unnütze Kategorie.

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