Was ich will

Irgendwie haben ja alle recht. Sowohl Werner D’Inka, der meint, dass es im Internet nur „das Geschwätz“ gibt. Wie auch Richard Gutjahr, der sich fragt, warum sich Zeitungsmacher wie Supermarktbesitzer verhalten, die zum einen keine Kasse in Betrieb haben und zum anderen ihre gesamte Wahre eh einfach zum Mitnehmen auf die Straße stellen.

Doch weder ist Geschwätz ein maßgebendes Kriterium, noch passt der Supermarktvergleich. Womit man wirklich was anfangen könnte, ist das eigene Erleben und tatsächliche Verhalten. Mich wundert beispielsweise, weshalb Spiegel Online nicht einfach 5 Euro im Monat kostet und die Texte für alle anderen auf der Seite nicht einfach nur angeteasert werden, damit jeder sieht, was er gerade verpasst. Spiegel Online hat es nun mal wirklich geschafft, im 90-Minuten-Rhythmus ein Angebot zu schaffen, für das sich Menschen interessieren, weil sie auch den Boulevard schätzen, wenigstens im Grundsatz über die Politik auf dem Laufenden bleiben wollen und hin und wieder inhaltlich überrascht werden möchten. Spiegel Online ist inhaltlich und technisch für den kleinen Bildschirm gemacht, denn wir heute alle benutzen, der inzwischen mit einer HD-Auflösung mehr anzeigen kann als Papier.

Nun – mit einem Brückenschlag der ideologischen Überlegungen: Journalismus als demokratische Stütze, mit hoher Vielfalt, Trag- und Reichweite – warum macht das nicht jede Zeitung so? Süddeutsche; F.A.Z. (bei der ich, hier angemerkt, Volontär bin); NZZ, für die sich viele interessieren; Freitag und Frankfurter Rundschau, die ja für viele sehr wichtig zu sein scheinen. In all diesen Zeitungen wird rund um die Uhr gearbeitet, die Texte purzeln im 5-Minuten-Takt durch die Intranetze, spätestens 18:00 Uhr liegen alle geschrieben, korrigiert, gestaltet und kuratiert vor. Warum dauert es noch weitere 3 bis 12 Stunden, bis diese Texte, für die sich so viele interessieren, veröffentlich werden?

Wenn es nach mir ginge, ich würde jeden Text sofort nach Fertigstellung veröffentlichen. Wer bereit ist 20 Euro im Monat (10 Euro für unter 30-Jährige) zu zahlen, bekommt sie alle. Das restliche Publikum bekommt Überschrift, Unterzeile, Vorspann, eventuell erste Sätze und die Wortzahl des Gesamttextes als Information. Das Wichtigste: Jeder Text bekommt sofort eine URL!

So wie Richard Gutjahr habe ich auch private Feldstudien betrieben. Die ergaben: Zeitungen auf Papier bleiben wichtig, für diejenigen, die in eigenen Uni- und Unternehmensbüros arbeiten, lange mit dem Zug fahren, sonntags Zeitung lesen wollen, usw. Aber, die wichtigere Beobachtung: Menschen spielen so gern mit ihren Mobiltelefonen, so viel Programm können die vielen Apps gar nicht bieten, um sie auszulasten. Schon jetzt wird unfassbar viel mehr gelesen als vor der iPhone-Revolution. Nur kommt der ganze Lesestoff von der redaktionellen Kostenloskultur und der engagementgetragenen Blogosphäre, der man tatsächlich noch das größte Geschwätz verzeiht, wahrscheinlich, weil es alles so freiwillig und kostenlos ist. Wer etwas liest, ist selber schuld.

Was das Internet braucht, sind Lesegebühren. Als die Studiengebühren eingeführt wurden, gab es das Argument, dass ab jetzt die Studenten Forderung stellen dürfen, weil sie ja zahlten. Nun haben Studenten die Universitäten natürlich nicht vollständig finanziert. Für den Journalismus aber wünschte ich mir, dass dieses Argumentationsmodell der Verantwortung des Bezahlten plus Anspruch des Bezahlers funktionieren würde. Ein allein über Leser und deren Zahlungen finanzierter Journalismus – absolut freiwillig und frei von Werbung.

Das alles hätte mit dem Wechsel von Papier zum Bildschirm zu tun, ginge aber auch darüber hinaus. Es würde jetzt in die Zeit passen und es wären gar nicht so viele grundsätzlichen Neuerungen notwendig. Es müssten nur die ruhenden Potenziale genutzt werden:

1. Das angesprochene Zeitproblem. In allen Tageszeitungen liegen von 14 Uhr an bis spätestens 18:00 Uhr (fast) alle Texte, Bilder, Layout- und Strukturentscheidungen vor. Und ab dann gehören sie veröffentlicht. Das heißt, dass am Ende des Tages trotzdem eine vollständige Zeitung erscheinen muss, auch wenn sie für einige dann nur noch dazu dient, nachzuschauen, wo welcher Text jetzt eigentlich einzuordnen ist. (Warum erkennt man im Internet bei keiner Zeitung, welche digitalen Texte nun Aufmacher und Leitartikel oder doch nur Meinungslückenfüller und Zwischenruf sind?)

2. Wichtiger aber, als die kleinen technischen Anpassungen: Eine Zeitung (die Institution) soll sich als Dienstleister, statt als Produzent verstehen, was sie ja ist, und es so zeigen. Der Leser spielt eine Rolle, sei es inhaltlich als Leserbriefschreiber, oder strukturell als Anspruchsteller. Es verwundert mich auch nach mehr als einem Jahr F.A.Z.-Mitarbeit immer noch sehr, welche Macht der einzelne Leser über die Zeitung hat, wenn er nur einen vernünftigen Brief schreibt, und wie wenig Effekte der gesellschaftliche Strukturwandel auf die Zeitungen hat. Es erinnert mich immer wieder an die Fakultät für Soziologie in Bielefeld, in der die klügsten Gesellschafts- und Organisationsversteher arbeiten, den verdutzten Studenten aber stets aufs Neue vormachen, dass akademisches Wissen alleine auch nichts nützt. Auch wenn Appelle an Vernunft hier ein wenig albern erscheinen, ein bisschen mehr Rationalität kann man sich wünschen. Texte müssen auffindbar und twitterbar sein, in gängige read-it-later-Dienste integrierbar sein, usw.

Eigentlich ist das alles gar nicht so kompliziert. Nur bei einer Sache bin ich mir unsicher, aber die wiederum soll ja über die Ideologie (dass es linke und konservative; staatstragende und fröhlich-junge Zeitungen gebe) bestens aufgefangen werden: Jede Zeitung muss es schaffen, Profil und Vielfalt überzeugend zu vereinbaren. Denn das Rosinenpicker-Bezahlmodell, nach dem man sich aus jeder Zeitung das für einen Beste heraussucht und in Stückchen bezahlt, wird nie funktionieren. Die journalistischen Institutionen brauchen mehr Verlässlichkeit und Planungshoheit. Solange die (piratenartige) Idee im Publikum vorherrscht, die Vielfalt könne nur über den gesamten Zeitungsmarkt hinweg erreicht werden, ist es schwierig. Früher gab es den Begriff der „Hauszeitung“, für die man sich entscheidet und bei der man bleibt. Ohne dieses Prinzip macht es alles wenig Sinn, weil eine Zeitung aus mehr besteht, als aus einzelnen Texten*.

*Ergibt sich aus dem Text, aber ich merke es explizit an: Dieses „soft Paywall“ Modell, nach dem jeder noch n Texte lesen darf, bevor er zahlen soll, ist bescheuert. 1. Weil Redaktionen entscheiden müssen, welchen Text sie freigeben möchten. 2. Weil der Leser von Anfang an merken muss, was er nicht bekommt, wenn er nicht bereit ist zu zahlen. 3. Weil es technisch kompliziert, teuer und sinnlos ist, da jeder heute mindestens drei Lesegeräte hat.

(Bild: Gregor Gruber, vor über drei Jahren.)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

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