Wenn ich das Wort „Terror“ höre, denke ich dabei nicht an Flugzeuge, Karikaturen und Männer mit Bärten, sondern an das Gutenberg-Gymnasium. Das steht auch nicht in der großen weiten Welt, die nur durch das Fernsehen, Youtube und Twitter zu erreichen ist, sondern in Erfurt. Der Junge, der damals die Schule stürmte und sechzehn Menschen erschoss, war so alt wie ich. Es ist nicht schwer, zu verstehen, was die Morde bedeuten. Robert Steinhäuser fühlte sich um seine Biografie betrogen, also tötete er aus Rache und er hinterließ hunderte Opfer, an einem Tag, an dem sie einen der wichtigsten Schritte in ihrer Biografie gehen wollten, sie schrieben gerade ihre letzte Abiturprüfung.
Das war im April 2002. Social Media war damals so wenig erfunden wie beim 11. September ein paar Monate zuvor. Und das war ein großes Glück, niemand schrieb sich mal eben seine Furcht und seinen Frust von der Seele. Es stand außer Frage, dass für diejenigen, die es brauchten, Therapien zur Verfügung standen. Und damit waren auch unsere Lehrer in Jena gemeint, die viele der getöteten Kollegen aus ihrem Studium kannten. Und es war ein Angebot für Eltern, die Angst um ihre Kinder hatten, zuweilen mehr, als die um sich selbst. Der Anschlag hat diejenigen, die Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere trugen, am stärksten getroffen – Lehrer und Eltern.
Es ist nun absolut keine Frage, dass Journalisten die Anschläge in Paris anders wahrnehmen als der Großteil der Bevölkerung. Und mir stellt sich, da ich die vergangenen Jahre auch in einer großen (im ersten Stockwerk schusssicher gebauten) Redaktion gearbeitet habe, dieselbe Frage wie damals. Was bedeutet es, wenn diejenigen, die Verantwortung tragen, am stärksten getroffen sind? Nachwuchsjournalisten posten auf Twitter nun geballte Fäuste von Neugeborenen, die denselben Namen tragen wie die angegriffene Zeitung – als Symbol für „HOPE“. Edelfedern twittern, die Angriffe seien der 11. September Frankreichs – ohne mit einem weiteren Wort zu erklären, was das bedeuten soll. Die Morde werden schon nach wenigen Stunden zurückgedrängt, weil allerorts dargestellt werden muss, dass die Pressefreiheit, das Abendland und wir alle angegriffen worden seien.
Ich habe mir ein bisschen Arbeit gemacht und mal den gestrigen Fernsehtag zusammengestückelt. Sechs Minuten aus dem Mittagsmagazin mit Sowi Sabrina Schmidt und der abendlichen „Was nun?“-Sendung mit dem Innenminister.
Das sind keine Interviews, das ist Diagnostik und Therapie im Schnellverfahren für beteiligte und zusehende Journalisten. Und ehrlicherweise gilt das Gesagte nicht nur für den Umgang mit der muslimischen Bevölkerung. Die Anschläge in Paris zeigen, dass uns der Journalismus mit der Unterscheidung von islamischen und islamistischen Leben beschäftigen muss. Das solidarische Vorzeigen und Lachen über Karikaturen kann nicht die ganze Reaktion sein. Zusätzlich zeigt Pegida, dass uns der Journalismus sogar mit dem generellen Alltag in Deutschland und Europa viel tiefgreifender beschäftigen muss.
Um nur ein konkretes Beispiel aufzugreifen: Schön und gut, dass „Zeit Online“-Chef Jochen Wegner uns darüber informiert, dass seine „Redaktion eine Glaswand hat“. Terroristische Scharfschützen könnten in Berlin auf der Lauer liegen und Redakteure am Arbeitsplatz ermorden. Aber, das ist die alltägliche, interessante, journalistische Frage: Was sehen die Berliner Kollegen, wenn sie vom Bildschirm aufblicken und durch ihre Glaswand in die Gesellschaft schauen? Wie weit reicht der Blick? Geredet wird nur mit der Prominenz gern. Man kann nun hoffen, dass Thomas de Maiziere die kommenden Tage viel Zeit hat, um mit Journalisten zu reden, vielleicht hören einige mehr zu als Bettina Schausten und Peter Frey.
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