Es gibt nichts zu verbessern

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Es ist erstaunlich wie viel wir lernen, wenn schlimme Dinge passieren. Obwohl in den Medien nicht viel berichtet wird. Fast alles was wir wissen, wissen wir von einem französischen Staatsanwalt, der vom Inhalt einer Audioaufzeichnung berichtete, die er selbst nicht hörte und auf der wohl recht wenig zu hören ist. Jemand verließ das Cockpit, jemand blieb im Cockpit, jemand klopfte und hämmerte von außen gegen die Tür des Cockpits – die Zurechnungen von Taten und Unterlassungen sind aber bislang recht haltlos.

Statt Erklärungen sollen kleine Indizien Anhaltspunkte liefern. Wie beispielsweise eine medizinische Diagnose vor sechs Jahren oder ein Arztbesuch vor wenigen Tagen. Bei Phoenix war vorhin Thomas Schläpfer zu Gast. Der leitende Oberarzt und Psychiater der Universitätsklinik Bonn sagte in etwa folgendes: Dass eine Depression zu solch einem Verhalten führen soll, ist für ihn unerklärlich. Nur massenmedial ergibt die Indizienkette bisher Sinn. Ihre Plausibilisierung nährt sich aber eher aus der ständigen Wiederholung.

Diese Form der Kritik ist nicht neu, man konnte schon gestern und vorgestern davon lesen. Erstaunlich ist aber, welche Fragen derzeit nicht behandelt werden, weder in den Abendtalkshows, noch in den eher aus Verlegenheit geführten und in die Länge gezogenen Gesprächen bei Phoenix oder anderswo. Neben der Dramatik des Einzelfalls steht schließlich der gewöhnliche Alltag. Auch heute fliegen Flugzeuge, mit Piloten, die sich gegenseitig nicht mehr trauen können.

Kennen diese viele tausend Piloten die PIN-Nummern von ihren Cockpittüren, die sie nie benötigen? Ist es eigentlich ein Zeichen des Misstrauens, jemanden von der Flugbegleitung ins Cockpit zu schicken, wenn man es als Pilot verlässt? Oder ist diese neue Verteilung der Verantwortung mit Einbezug der Kabinencrew nicht auch ein Zeichen zur Beruhigung, für denjenigen, dem immer was passieren kann, unabhängig davon, was er vorhat und wie er sich fühlt? Und seit wann können sich Staatsanwälte, die wissen, wie das mediale Spiel funktioniert, zu Richtern machen?

Warum wird in den Medien eigentlich nicht davon berichtet, dass sich die Ermittler dafür interessieren, was mutmaßlich mordende Piloten bei Google suchen, in E-Mails schreiben und im Internet lesen? Mit dem Tod einer Person enden die Möglichkeiten von Aussagen längst nicht mehr. Die Persönlichkeitsrechte erlöschen stattdessen und offenbaren den digitalen Zwilling, der wahrscheinlich noch viel mehr offenbaren kann, als ein nicht mehr mögliches Gespräch.

Darüber wird nicht gesprochen, obwohl alle Beteiligten abseits der Medien längst nicht mehr so tun, als wäre 1995. Nur in den Redaktionen telefoniert man noch Nummern hinter einer Vorwahl ab, in der Hoffnung, den Satz einer Mutter einer ehemaligen Klassenkameradin abdrucken zu können. Wenn sie sagt, sie sei bestürzt, ist man mit der Arbeit zufrieden. Exklusivität ist gut, Dissonanzen sind schlecht – wem damit geholfen sein soll bleibt als Frage tabu.

Thomas Bronisch vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München ließ die Zuschauer des ARD-Mittagsmagazins heute mit folgender Überlegung zurück: Ja, es könne durchaus sein, dass ein solch spektakuläres Ereignis Nachahmer findet. Es sei aber sicherlich eine „extreme Form sich umzubringen“ und es werden „nur wenige bereit sein“ es so zu tun. – Ja, man könnte jetzt ins Grübeln geraten. Aber vielleicht kann man auch anderes sagen:

Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Flugunfall zu sterben, liegt bei 1 zu 29 Millionen. Statistisch gesehen gewinnt man somit erst zweimal mit einem Sechser im Lotto und stirbt dann auf diese tragische Weise. 1 zu 29 Millionen bedeutet allerdings nicht 1 zu unendlich. Was die Differenz bedeutet, das haben wir am Dienstag gesehen. Dennoch: Die Sicherheit in der Luftfahrt ist eine noch größere zivilisatorische Errungenschaft, als die Luftfahrt selbst. Jede weitere Änderung im System ist zwecklos, solange Menschen die Maschinen fliegen.

(Bild: Dave Heuts)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

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