Was die Debatte über Anwesenheitslisten über die Situation an den Hochschulen aussagt
Working Paper 1/2018
An den Hochschulen wird kaum eine Debatte so emotional geführt wie die über Anwesenheitslisten, diese Blätter, mit dem zu Beginn oder zum Ende einer Veranstaltung überprüft wird, wer anwesend und wer abwesend ist. Der Grund für die hitzige Debatte liegt in der Symbolik der Listen als Ausdruck für die Anwesenheitspflicht in Vorlesungen, Seminaren und Übungen. Das Herumgeben der Listen signalisiert den Studierenden, dass man ihnen nicht zutraut, aus eigenem Antrieb in die Veranstaltungen zu kommen. Die Anwesenheitslisten sind aus Sicht der Studierenden der an den Hochschulen institutionalisierte Zweifel an ihrer Lernbereitschaft.
Wegen dieses Symbolcharakters eignen sich Anwesenheitslisten gut für politische Mobilisierung. Sie sind ein kampagnenfähiges Thema für die Studierendenvertreter, weil die Studierenden bei jedem Seminartermin erneut damit konfrontiert werden. Ministerien, die vielfach selbst durch die Verschulungseffekte der Bologna-Reform überrascht wurden, können durch das Verbot von Anwesenheitslisten kleine Oasen der Freiheit an den Hochschulen verordnen. Hochschulleitungen können ein politisch durchgesetztes Verbot von Anwesenheitslisten gut überwachen, weil Betroffene den Einsatz der Anwesenheitsliste lediglich an die Hochschulleitung melden müssen. Und für die massenmediale Berichterstattung eignet sich die Auseinandersetzung über Anwesenheitslisten, weil sich an ihrem Beispiel das Thema von Freiheit und Zwang auch denjenigen Personen vermitteln lässt, die nie eine Hochschule von innen gesehen haben.
Die Illusionen der Freiheit
Auf den ersten Blick ist die Abneigung gegen Anwesenheitslisten nachvollziehbar. Im Unterschied zu Schulen, an denen die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler am Unterricht in letzter Konsequenz durch den Einsatz von Staatsgewalt, sprich: Polizei, durchgesetzt wird, galt in Hochschulen lange Zeit, dass Studierende selbst entscheiden können, wie sie sich das Wissen im Fach aneignen. Insofern können sich die Gegner von Anwesenheitslisten auf die Tradition der Freiheit des Lernens berufen, die lange Zeit als ein zentrales Merkmal von Hochschulen hochgehalten wurde. In Anbetracht des heutzutage real existierenden Hochschulalltags wird mit dieser Kritik jedoch deutlich, dass die Gegner der Anwesenheitslisten sich mehreren Illusionen hingeben.
Eine erste Illusion ist, dass man auf Anwesenheitspflichten verzichten kann, weil durch die spezifisch deutsche Interpretation der Bologna-Erklärung festgelegt wurde, dass die in jedem Modul erworbenen Fähigkeiten über Multiple-Choice-Klausuren, mündliche Prüfungen oder schriftliche Ausarbeitungen abgefragt werden müssen. Wenn man am Ende das erworbene Wissen überprüft, dann müssten die Lehrenden, so das Argument der Gegner von Anwesenheitslisten, nicht die physische Präsenz in den Veranstaltungen sicherstellen. Das unterstellt aber, dass die in einem Semester vermittelten Fähigkeiten kondensiert in einer Prüfung abgefragt werden können. Das mag für einige Fächer mit stark standardisierten Wissensbeständen wie Jura oder Medizin noch zutreffen, in vielen anderen Fächern werden häufig implizit Fähigkeiten vermittelt, die am Ende gar nicht über Prüfungen abgefragt werden können.
Die zweite Illusion besteht im Argument, dass es die unterforderten Genies seien, die zu Hause bleiben. Angesichts der teilweise epidemischen Abwesenheit von Studierenden in einzelnen Veranstaltungen hätte man es allerdings mit ziemlich vielen Genies an den Hochschulen zu tun. Es ist jedoch eher umgekehrt. Es sind die leistungsschwächeren Studierenden, die ohne Anwesenheitspflicht den Veranstaltungen fernbleiben, weil sie Angst haben, dass ihre Defizite in den Veranstaltungen aufgedeckt werden könnten. Die Abwesenheit erhöht dann die Wahrscheinlichkeit, dass diese leistungsschwachen Studierenden die veranstaltungsbezogenen Leistungen nicht erbringen können und am Ende am Studium scheitern.[1]
Eine dritte Illusion ist, dass Studierende nicht regelmäßig an den Veranstaltungen teilnehmen, weil sie Kinder betreuen, Angehörige versorgen oder für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Präsenzpflichten seien, so das Argument, für solche Studierenden eine unnötige Härte. Das würde aber bedeuten, dass Mütter und Väter kleiner Kinder, Studierende mit kranken Eltern und Studierende ohne Finanzierung durch Eltern, BAföG oder Stipendien überproportional den Veranstaltungen fernbleiben. Es gibt jedoch keine Studie, die diese Annahme stützt. Im Gegenteil: Lehrende können sehr schnell feststellen, dass es die von ihren Eltern finanzierten kinderlosen Studierenden, die aus Lustlosigkeit nur unregelmäßig zu den Veranstaltungen kommen, genauso gibt wie die Studierenden, die trotz eigener Kinder, zu pflegender Angehöriger und Berufstätigkeit bei jeder Sitzung anwesend sind.[2]
Aber ist angesichts dieser Illusionen die Einführung von verpflichtender Teilnahme an den Veranstaltungen die Lösung?
Unterlaufen von Anwesenheitspflichten
Bei der Verwendung der Anwesenheitslisten bildet sich ein interessantes Phänomen aus – das Auftreten von „Phantomstudenten“. Wenn man einen Namen von der Anwesenheitsliste aufruft, um die Meinung einer bisher eher passiven Studentin zu erfahren, kann es passieren, dass diese gar nicht reagiert; nicht etwa, weil sie durch die Frage inhaltlich überrascht wurde oder weil sie durch die direkte Ansprache der Professorin in eine Schockstarre verfallen ist, sondern weil die Person gar nicht anwesend ist. Beim ersten Auftreten – oder sollte man besser „Nichtauftreten“ sagen – dieser Phantomstudenten fällt es schwer, sich zu erklären, wie die Namen von Personen, die gar nicht anwesend sind, auf eine Liste geraten können.
Aber glücklicherweise helfen Studierende dann gerne ihren durch Phantomstudenten verwirrten Professoren. Man erfährt, dass es angesichts der Anwesenheitskontrolle inzwischen eine eingeübte Praxis unter Studierenden sei, Anwesenheit zu simulieren, wenn sie an einer Veranstaltung nicht teilnehmen können. Es gehört inzwischen an deutschen Universitäten zu einer hilfreichen Fähigkeit, die Unterschriften mehrerer Kommilitonen kopieren zu können, um diese bei deren Abwesenheit in die Anwesenheitslisten einzutragen. In einigen Studiengängen gibt es gut organisierte „Fälscherstaffeln“, bei denen – im wechselnden Turnus – immer nur ein Student oder eine Studentin zu einer Veranstaltung geht, um jeweils gleich für eine Reihe weiterer Kommilitonen zu unterschreiben.[3]
Wenn die Lehrenden dann als zusätzliches Druckmittel das Einreichen von Exzerpten für jede Sitzung zur Pflicht machen, bilden sich wiederum neue Ausweichstrategien aus. Studierende bemerken, dass diese Aufgaben der Überwachung der Anwesenheit dienen, und reagieren mit dem Einstellen von aus dem Internet herauskopierten „Blindtexten“. Lehrende berichten von großen Überraschungen, wenn sie in der zehnten oder elften Woche einmal die eingereichten Exzerpte sorgsam lesen. Die Studierenden haben sich darauf eingestellt, dass diese zur zusätzlichen Kontrolle der Anwesenheit dienenden Arbeitsaufgaben nicht gelesen oder auch nicht kommentiert werden, machen sich daher auch keine Mühe damit oder machen gleich einen sogenannten „Guttenberg“.
Selbst in Überwachungspraktiken begabte Lehrende werden feststellen, dass sie trotz einzelner Siege über besonders auffällige Drückeberger am Ende diese Kontrollkämpfe verlieren werden. Die Kreativität von Studierenden beim Erfinden von Wegen, diese Kontrollen zu unterlaufen, wird immer größer sein als die Kreativität von Lehrenden im Erfinden neuer Wege der Kontrolle. Anwesenheitslisten sind deswegen ein stumpfes Schwert, um das Leistungsniveau von Studierenden anzuheben.
Wie soll man mit dem Phänomen der regelmäßigen Abwesenheit von Studierenden umgehen?
Abwesenheit als Krise
Die Abwesenheit von Studierenden ist zu allererst ein Krisensymptom. Schließlich wird niemand zu einem Studium gezwungen. Und im Prinzip ist allen Studierenden klar, dass ein Studium ohne Anwesenheit in Vorlesungen, Seminaren oder Übungen wenig Sinn macht. Irgendetwas muss im Argen liegen, wenn Studierende regelmäßig nicht an Veranstaltungen teilnehmen.
Dabei wäre es soziologisch naiv, die Verantwortung für dieses Problem bei einzelnen Lehrenden zu personalisieren. Selbst die rhetorische Spitzenkraft einer Universität kann ihre im Audimax begonnene Grundlagenvorlesung nach ein paar Wochen in ihr Büro verlegen, wenn sie weder mit Klausuren noch mit Anwesenheitslisten drohen kann. Und selbst eine ausgezeichnete Hochschullehrerin kann beobachten, wie sich während des Semesters ihre Veranstaltungen leeren, wenn in anderen Veranstaltungen über Prüfungen der Druck auf die Studierenden erhöht wird. Das Problem der Abwesenheit von Studierenden ist also nicht vorrangig ein Problem der Qualität der Lehrenden, sondern liegt vielmehr in der Gestaltung der Studiengänge selbst.[4]
Ein erster Grund ist, dass die Hochschulen aufgrund der leistungsorientierten Mittelzuweisung den Anreiz haben, ihre Studiengänge mit Studierenden überlaufen zu lassen. Die Anregung, Studienbewerber stärker auf ihre Eignung hin zu überprüfen, wird von den Universitäten inzwischen regelmäßig mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass ein damit verbundener Rückgang von Bewerberzahlen eine Reduzierung von Zuschüssen und den Abbau von Stellen nach sich ziehen würde. Das führt dazu, dass Studienanfänger gerade im Bachelorstudium schnell ausgeprägte Entfremdungserscheinungen zeigen. Anwesenheitslisten gelten dann nicht selten als das Mittel der Wahl, um sie trotzdem noch in den Veranstaltungen zu halten und sie letztlich irgendwie zu einem Studienabschluss zu führen.
Ein zweiter Grund ist, dass die Bologna-Reform zu einer Vervielfältigung von Massenveranstaltungen geführt hat, in denen viele Studierende von den Lehrenden mit PowerPoint-gestützten Foliengewittern überzogen werden. Diese Renaissance der Massenvorlesung hängt in der Regel nicht mit didaktischen Überlegungen zusammen, sondern damit, dass mit dieser Veranstaltungsform durch einen einzigen Lehrenden sehr viele Studierende ihre vorgeschriebenen Leistungspunkte „erwerben“ können. Die Veranstaltungsform der Massenvorlesung produziert aber zwangsläufig Anonymität zwischen Lehrenden und Studierenden. Die Lehrenden können die Studierenden nicht per Namen identifizieren, und die Studierenden können sich deswegen darauf verlassen, dass niemand ihre Abwesenheit bemerkt, geschweige denn bedauert.
Ein dritter Grund ist eine Einzwängung von Studierenden in enge Prüfungskorsetts. Mit dem Bologna-Prozess ist es in vielen Fächern zu einer erheblichen Erhöhung der Prüfungslast gekommen. Es gibt Universitäten, an denen Studierende neben den regelmäßig in den Veranstaltungen zu erbringenden Schreib- und Präsentationsleistungen pro Semester mehr als sechs für die Endnote relevante Prüfungen in Form von Klausuren, Hausarbeiten oder Literaturberichten erstellen müssen.[5] Diese Prüfungsinflation ist eher ungewollt im Zuge der Einführung der Modulstruktur an den Universitäten entstanden. Die in einem Modul erworbenen Leistungspunkte dürfen – so jedenfalls die Interpretation in den meisten Hochschulen – den Studierenden nur gutgeschrieben werden, wenn das Erreichen des Lernziels durch eine Prüfung nachgewiesen wurde. Durch die Anzahl der Module eines Studiengangs wird also quasi automatisch festgelegt, wie viele Prüfungen in diesem Studiengang absolviert werden müssen. Effekt dieser Prüfungsinflation ist, dass Studierende durch die in einer Veranstaltung anstehenden Prüfungen faktisch aus den anderen Veranstaltungen getrieben werden, wenn dort nicht über Anwesenheitslisten versucht wird, sie wenigstens körperlich in den Veranstaltungen zu halten.
Statt auf das Problem der Abwesenheit mit dem eher brachialen Mittel der Anwesenheitsliste zu reagieren, gäbe es eine Alternative. Man könnte chronische Abwesenheiten – oder Anwesenheiten, die nur über Anwesenheitslisten durchgesetzt werden können – als ein Zeichen dafür sehen, dass irgendetwas in dem Studiengang nicht stimmt. Weswegen entfremden sich Studierende schon so früh gegenüber ihrem eigenen Studiengang? Was führt dazu, dass nicht wenige Studierende schon nach wenigen Monaten vorrangig damit beschäftigt sind, Strategien zu entwickeln, mit denen sie mit möglichst wenig Aufwand einen Studienabschluss bekommen können? Wie kommt es, dass selbst in Studiengängen mit einem guten Lehrenden-Studierenden-Proporz Studierende in der Anonymität verschwinden?
Druck ohne Anwesenheitslisten
Je nach Studienfach kann das Problem der strukturellen Abwesenheit auf vielfältige Weise gelöst werden: Eine sorgfältige Auswahl der Studierenden, bevor sie zu einem Studiengang zugelassen werden, nicht vorrangig durch Eingangsprüfungen, sondern dadurch, dass sich Interessenten durch vor der Einschreibung zu erledigende kleine Aufgaben selbst darüber klar werden, ob ihnen das Studienfach zusagen wird; Verzicht auf aufgeblähte Studienpläne mit sechszehn oder gar zwanzig Präsenzstunden pro Woche, die Studierende – wenn sie ihr Studium denn ernst nehmen – faktisch zu Abwesenheiten in Veranstaltungen zwingen; Reduzierung der verpflichtenden Seminare und Erhöhung von Wahlveranstaltungen, für die sich Studierende entscheiden können; das Vorschreiben weniger, aber dafür kleinerer Veranstaltungsformate, die dann nicht mehr, wie an der Schule, zwei Stunden dauern dürfen, sondern deutlich länger sein können.
Eines ist dabei klar: Alle diese Maßnahmen reduzieren nicht den Druck in Sachen Anwesenheit, sondern erhöhen ihn, denn in kleineren und längeren Veranstaltungen kennen die Lehrenden die Namen ihrer Veranstaltungsteilnehmer und sprechen sie persönlich an, und somit entsteht zwangsläufig eine Anwesenheitserwartung. Es wird ja allgemein bemerkt, wenn jemand fehlt. Der soziale Erwartungsdruck, anwesend zu sein – oder eine gute Begründung für Abwesenheit zu liefern – wird deutlich erhöht und entfaltet mehr Wirkung als die als Drohinstrumente nur begrenzt tauglichen Anwesenheitslisten. Aber diese Form von im Seminar durch Face-to-Face-Kontakt aufgebautem Anwesenheitsdruck steht den Hochschulen besser an als eine über das bürokratische Instrument der Listen durchgesetzte Anwesenheitspflicht.
Stefan Kühl ist Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld. Er forscht zurzeit über brauchbare und unbrauchbare Illegalität in Organisationen. Eine ausführliche Analyse findet sich in Der Sudoku-Effekt. Hochschulen im Teufelskreis der Bürokratie. Bielefeld 2012: transcript.
[1] Zur Korrelation zwischen Anwesenheit in Veranstaltungen und Leistungen siehe die Meta-Studie von Rolf Schulmeister: Abwesenheit von Lehrveranstaltungen. Ein nur scheinbar triviales Problem. Hamburg. 2015, 15ff.
[2] Wer einen detaillierten Überblick über die Literatur zu diesem Thema haben möchte, sei auf ebd., 5ff., verwiesen.
[3] Siehe zu den „Fälscherstaffeln“ die ethnographische Studie von Frederic Schuft: Praktikumseinrichtung: Universität Bielefeld; Praktikumstätigkeit: Studium. Bielefeld. 2011.
[4] Siehe ausführlich dazu Stefan Kühl: Der Sudoku-Effekt. Hochschulen im Teufelskreis der Bürokratie. Bielefeld. 2012.
[5] Siehe dazu Susanne Draheim und Tilman Reitz: Währungsreform. Die neue Ökonomie der Bildung. In: Neue Sammlung 45 (2005), S. 3–13, hier: S. 7.
„Die zweite Illusion besteht im Argument, dass es die unterforderten Genies seien, die zu Hause bleiben“. Dieser Aussage ist zunächst einmal zuzustimmen, doch werden hier zwei „Gruppen“ von Studenten außen vor gelassen, die meiner Meinung und meiner Erfahrung als Student nach, von nicht unerheblicher Bedeutung sind.
1. Die Studenten, die relativ viel arbeiten müssen, um sich das Studium (ggf. mit Wohnung, Auto, etc…) zu finanzieren und daher Veranstaltungen fernbleiben müssen, da sich die Vorlesungen mit der Arbeitszeit überschneiden – oder die Nachtschichten arbeiten und daher nicht am nächsten Morgen um 8:00 Uhr gut gelaunt im Hörsaal sitzen können.
2. Die Studenten, die für sich herausgefunden haben, dass sie lieber und v.a. effektiver lernen, wenn sie zu Hause am eigenen Schreibtisch oder in der Bibliothek sind, wenn sie sich Literatur selbst organisieren und nicht den Vorgaben eines Dozenten oder Professors folgen müssen.
Der Typ Student aus Punkt 2 sollte meiner Meinung nach keineswegs gezwungen werden, Zeit zu investieren, die er nicht effektiv nutzen kann. Der Student aus Punkt 1 könnte nur gefördert werden, wenn der Wohnraum in großen Universitätsstädten ein wenig günstiger, die Löhne ein wenig höher und die Studiengebühren ein wenig niedriger wären. Also ist nicht nur Bildung, sondern im weitesten Sinne auch Sozialpolitik ein Thema.
Diesen Aspekt vermisse ich in dem ansonsten gut geschriebenen Text.
Ich bin wahrscheinlich viel zu spät dran, um hier noch sinnvollerweise zu kommentiere, tue dies ab trotzdem.
Mit einigen Punkten in Ihrer Argumentation bin nicht d’accord, auch wenn ich als Student ebenfalls gegen Anwesenheitspflichten bin.
Für mich wirkt es so, als sei Ihr Kernargument gegen Anwesenheitspflichten vor allem die Tatsache, dass diese nicht wirkungsmächtig seien. Dieses Argument wird vor allem durch Eindrücke aus Vorlesungen gestützt, auf Anwesenheitspflichten wie in Seminaren wird hier aber gar nicht eingegangen, obwohl das Format bzw. die zu erwartende Teilnehmer*innenzahl einen sehr starken Einfluss auf die Wirkungskraft einer Anwesenheitspflicht haben wird. Das Phänomen der „Phantomstudenten“ kommt in Seminaren a ~30 Teilnehmer*innen natürlich nicht so oft vor, da die Lehrkraft die Teilnehmer*innen schnell persönlich kennt und auf einem Blick überprüfen kann, ob alle 30, oder nur 20 von 30 gekommen sind. Letzteres gilt aber auch für Vorlesungen mit einer Teilnehmer*innenzahl.
Außerdem denke ich, dass die Qualität der Lehrveranstaltungen einen höheren Einfluss auf die Abwesenheit ausübt als hier im Text beschrieben. Zumindest aus meiner sehr eingeschränkt-subjektiven Erfahrung findet sich hier doch ein beachtenswerter Zusammenhang wieder. Bei fehlender Anwesenheitspflicht kamen bei einem m.M.n. eher schlechten Seminar nach wenigen Wochen nur noch 1/3, bei einem wesentlich besseren sind bis zum Ende mehr als 2/3 geblieben, ähnliches galt für einige Vorlesungen. Eine fehlende Anwesenheitspflicht übt also auch den nötigen Druck auf die Lehrkräfte aus, ihre Lehrkräfte interessant zu gestalten, ein wichtiges Argument, was in diesem Text zur Gänze fehlt (auch wenn zugegebenermaßen die Studis natürlich die Qualität bzw den Wert einer Lehrveranstaltung nicht immer richtig ein-/ wertschätzen können).
Allerdings stimmt es wohl, dass Prüfungsleistungen ebenfalls einen sehr wichtigen Faktor für die Abwesenheit darstellen, was sich schnell bei Vorlesungen ohne jegliche Prüfungsleistung bemerkbar macht.
Außerdem finde ich Ihren Punkt zur „dritten Illusion“ sehr problematisch. Selbst wenn es so ist, dass Studierende mit Kindern, Pflegefällen oder ohne ausreichender finanzieller Unterstützung nicht überproportional von Lehrveranstaltungen fern bleiben, wird das Argument, dass solche Studis durch Anwesenheitslisten nicht noch weiter belastet werden sollten, nicht entkräftet. Denn hier ist doch vor allem der Einzelfall entscheidend und nicht (nur) die qualitativen Daten: Oder soll dem Studierenden, der wirklich einen Pflegefall betreuen muss und es deshalb nicht zu der Vorlesung schafft, das Studium bzw die Erbringung von Prüfungsleistungen nicht dennoch ermöglicht werden?
Wie gesagt, mit dem Ergebnis würde ich übereinstimmen, nicht aber mit der Argumentation.
Über eine Antwort würde ich mich wirklich sehr freuen!