Von der Verklärung der Informalität zur Hoffnung auf Formalität

Zur grundlegenden Umstellung einer Führungskonzeption

Nach dem Niedergang des NS-Staates war unklar, welche Führungsmodelle in der Bundesrepublik Deutschland als akzeptabel angesehen werden würden. Das klassische autoritäre Führungsmodell hatte an Akzeptanz verloren, aber es war unklar, welches Modell die an die Idee der Gemeinschaft angelehnte Führungskonzeption der Nationalsozialisten ablösen würde.

In dieser Situation bot Höhn mit seiner „Führung im Mitarbeiterverhältnis“ ein Konzept an, dass es dem Management ermöglichte, modern zu erscheinen, ohne Gefahr zu laufen, die hierarchische Kontrolle in den Organisationen aufzugeben. Die bis ins Detail ausgearbeitete Steuerung über Zielvorgaben räumte den Mitarbeitern Freiheiten ein, hielt aber gleichzeitig die zentrale Steuerung der Organisation über eine systematische Verkettung der Ziele zusammen. Das Modell schmiegte sich so gut an die Vorstellungen in der frühen Bundesrepublik an, weil es versprach, zur Ausbildung demokratischer Staatsbürger beizutragen, ohne die Organisationen selbst zu einer demokratischen Veranstaltung gleichberechtigter Mitglieder werden zu lassen.

Historiker werten die Rückgriffe Höhns auf die preußischen Reformer sowohl in seinen Schriften in der NS-Zeit als auch in der Bundesrepublik als Indiz dafür, dass es in seinem Konzept „keinerlei Bruch“, sondern „vielmehr eine beeindruckende Kontinuität“ gab. Als Beleg verwenden sie jedoch einen argumentativen Trick, indem sie zwei unterschiedliche Aspekte der Reformen des preußischen Staates in ihren Darstellungen kombinieren.

Einerseits wird nachgewiesen, dass die Nationalsozialisten auf die schon von den preußischen Militärreformern thematisierten, flexibilisierenden Effekte einer Führung über Ziele setzten, andererseits wird die Krise des Harzburger Modells in der Bundesrepublik Deutschland damit erklärt, dass sich die Verfechter des Modells nicht von dem durch „Akten, Vorlagen, Regeln und Vermerken aller Art“ geprägten „preußischen Verwaltungsethos“ lösen konnten.

Die Vertreter der Kontinuitätsthese blenden aus, dass die preußischen Reformen nach der Niederlage gegen Napoleons Frankreich zwei unterschiedliche Stoßrichtungen hatten. Die eine Idee bestand darin, den Führern sowohl im Militär als auch in der Verwaltung mehr Freiheiten einzuräumen, um durch effizientere Entscheidungsprozesse die Leistungsfähigkeit des preußischen Militärs und der preußischen Verwaltung zu erhöhen. Die Forscher, die sich auf Höhns Begeisterung für die preußischen Reformen in der Entdeckung der Zielführung in Form der Auftragstaktik berufen, schließen besonders an diese Traditionslinie an. Die andere Idee der Reformer des 19. Jahrhunderts bestand darin, die preußische Monarchie „zu bürokratisieren“, um den König in eine „umfassende Struktur von Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflichten“ einzubinden. In Anschluss an diese Traditionslinie wird besonders darauf verwiesen, wie stark sich die von Max Weber beschriebene Bürokratie in Preußen ausgebildet hat und wie sehr Höhn in seinen Schriften in der Nachkriegszeit durch diese Vorstellungen geprägt gewesen sei.

Angesichts der Bürokratiekritik der Nationalsozialisten muss man vorsichtig sein, nicht zu einer karikierenden Beschreibung der nationalsozialistischen Praxis in Unternehmen, der Verwaltung, der Wehrmacht, der Ordnungs- und Sicherheitspolizei oder der nationalsozialistischen Partei zu kommen. Vorgesetzte wurden auch in der NS-Zeit durch einen formalen Akt eingesetzt und konnten sich bei der Durchsetzung ihrer Anforderungen auf formale Weisungsbefugnisse beziehen. Sicherlich wurde die Bedeutung formaler Vorschriften während der NS-Zeit in Verwaltungen, Polizeien und Armeen, aber auch in Unternehmen durch die Umdeutung der Rechtsprechung im nationalsozialistischen Sinne, der Intervention von Funktionären aus dem NS-Parteiapparat und dem Bedeutungsverlust von Verwaltungsgerichten geschwächt. Doch selbst im Krieg galt nicht das Prinzip eines „anything goes“, nach dem man sich jederzeit über formale Richtlinien oder rechtliche Regelungen hinwegsetzen konnte.

Aber die Bürokratiekritik war ein deutliches Indiz dafür, wie stark die nationalsozialistischen Ideologen auf die Ausbildung informaler Erwartungen setzten. Nichts fürchteten sie mehr, so der Historiker Jörg Baberowski, „als die Integration ihres Projektes in die Tradition des preußischen Beamtentums“. Von dem von Taylor beschriebenem Ideal einer durch die Perfektion der formalen Strukturen wie eine Maschine funktionierenden Organisation wollten sie nichts wissen. Betont wurde stattdessen die Notwendigkeit charismatischer Führer, die nicht nur die Gefolgschaft in einer Gemeinschaft zusammenhalten, sondern auch für die Erreichung der Ziele Verantwortung übernehmen. Letztlich waren die Verfechter der nationalsozialistischen Ideologie Anhänger des Modells I – der Hoffnung, dass sich innerhalb von Gemeinschaften informale Erwartungen ausbilden, die zu einer leistungsfähigen Organisation führen.

Mit dem Konzept der „Führung im Mitarbeiterverhältnis“ gab Höhn die Hoffnung auf eine gemeinschaftsstiftende, informale Gestaltung der Prozesse in Organisationen auf. Die Regelungen des Harzburger Modells, so die Analyse von Gerhard Reber, schränkten die „persönliche Willkür der Vorgesetzten bei der Erfüllung der ohne direkte Einflussnahme der Belegschaft definierten Unternehmensaufgabe“ ein. „Der Vorgesetzte“ würde bei Höhn zu einem „typisch legalen Herrn“ im „Sinn Max Webers“ werden, „indem er anordnet und mithin befiehlt, seinerseits der unpersönlichen Ordnung gehorcht, an welcher er seine Anordnungen orientiert“. Das Leitprinzip des führenden Managementmodells der Nachkriegszeit war das Modell F – die Hoffnung auf die Macht der Formalität in Organisationen.

Managementvordenker ändern selten ihre grundlegende Auffassung zur Führung. In der Regel halten sie an ihren einmal verkündeten Prinzipien fest, weil deren Propagierung die Grundlage ihrer Reputation und Prominenz ist. Oft sind Publikationen bekannter Managementvordenker daher nur ein Aufguss des Textes, durch den sie bekannt geworden sind. Häufig werden dabei die ursprünglichen Überlegungen lediglich mit Rückgriff auf aktuelle Thementrends und Sprachregeln variiert und auf neue Anwendungsfelder ausgeweitet. Die Überlegungen werden höchstens weiter radikalisiert, etwa, indem aus einer Forderung nach dem Abbau von Hierarchiestufen die Forderung nach deren endgültiger Abschaffung entsteht oder sich eine lernende Organisation zu einer schnell lernenden Organisation entwickeln soll.

In der Politik lassen sich ähnliche Entwicklungen wie in der Wirtschaft beobachten. Die meisten Politiker halten über Jahrzehnte an ihren Positionen fest. Zwar gibt es immer mal wieder Verfechter marxistischer Positionen, die ins rechtsextreme, völkische Lager wechseln und manchmal auch prominente Verfechter rechtsextremer Ideen, die aufgrund von Zerwürfnissen innerhalb ihrer Gruppierungen, angesichts des Angebots staatlich finanzierter Aussteigerprogramme oder – vermutlich weitaus am häufigsten – aufgrund von Liebesbeziehungen zu politisch andersdenkenden Partnern zu guten Demokraten mutieren. Am wahrscheinlichsten ist jedoch ein Festhalten an einmal eingenommenen Positionen und bestenfalls leichte Variationen. Selbst der Wechsel von Parteimitgliedschaften wird in dieser Logik damit begründet, dass sich nicht die eigenen politischen Positionen geändert haben, sondern diejenigen der Partei.

Reinhard Höhn ist deswegen interessant, weil er seine ersten Überlegungen in der Weimarer Republik angestellt hat, im NS-Staat zu einem der führenden Staatstheoretiker aufstieg und sich nach dem Zweiten Weltkrieg zum zentralen Führungstheoretiker der Bundesrepublik entwickelte. Während seine Positionen zur Volksgemeinschaft im NS-Staat lediglich eine Radikalisierung seiner völkischen Ideen der Weimarer Republik waren, stellte er seine Position zur Führung nach dem Zweiten Weltkrieg an einem zentralen Punkt um – nämlich von der informalen Erwartungsbildung einer Gemeinschaft hin zu der Betonung der formalen Einbettung von Führung.


Auszug aus Stefan Kühl „Führung und Gefolgschaft. Management im Nationalsozialismus und in der Demokratie“ (Suhrkamp 2025, 24,- Euro).

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