Die Schwierigkeit bei der Veränderung in Organisationen

Organisationen stehen vor der Herausforderung, unter Bedingungen von hoher Unsicherheit Entscheidungen treffen zu müssen. Wenn allen klar ist, was die richtige Vorgehensweise ist, bräuchte man keine Entscheidung zu treffen, weil man lediglich das sowieso auf der Hand Liegende exekutieren müsste. Entscheidungen sind also immer Festlegungen in einer Situation, in der man nicht sicher sein kann, ob diese richtig ist. Jede Entscheidung, die in einer Organisation getroffen wird, ist deswegen zwangsläufig riskant. Es kann sich später immer herausstellen, dass eine andere Entscheidung doch besser gewesen.

Dass Entscheidungen sich später als falsch herausstellen können, kann man auch außerhalb von Organisationen beobachten. Die Entscheidung für ein Urlaubsziel kann sich als Fehler erweisen, weil es aufgrund der Attraktivität des Ortes zu Überfüllungseffekten gekommen ist. Die in der Phase akuten Verliebtseins getroffene Wahl eines Ehepartners kann sich als Irrtum zeigen, weil dieser mit den Jahren ungeahnte rigide Verhaltensweisen zeigt und die Auseinandersetzung über die berühmt-berüchtigte Zahnpastatube zu einem permanenten Konfliktpunkt wird. Die Entscheidung für Kinder kann man im Nachhinein bereuen, weil man unterschätzt hat, wie nervenaufreibend Erziehungsarbeit ist. Bei der Entscheidungsfindung in Organisationen kommen jedoch einige verschärfende Bedingungen dazu.

Erstens herrscht in Organisation eine permanente Unsicherheit darüber, ob angesichts sich veränderten Umweltbedingungen die eigene Organisationsstruktur noch passend ist. Unter der Bedingung, dass morgen alles anders sein kann, wirken die jetzigen Selbstfestlegungen der Organisationen riskant. Wer kann einem garantieren, dass die ehemals originellen Ideen oder die etablierten effizienten Routinen nicht in absehbarer Zeit der erste Nagel im Sarg des eigenen Unternehmens sein wird? Systemtheoretisch ausgedrückt: Die bisher erfolgreichen Formen der Unsicherheitsabsorption werden selbst unsicher.

Zweitens kommt hinzu, dass es bei der Entscheidungsfindung in Organisationen häufig zu einer Überlastung von Informationen kommt. Während es früher für Organisationen schwierig war, an Informationen heranzukommen, werden sie heute mit diesen überlastet. Statt eines Informationsmangels droht eher ein „Informations-Blackout“ – eine Art epileptische Reaktion der Organisation auf eine Informationsüberfrachtung. Um diesen Blackout zu verhindern, ist man in Organisationen bei der Entscheidungsfindung gezwungen, mehr oder minder willkürlich aus den vorhandenen Informationen auszuwählen. Ob man die Entscheidung auf der Basis der richtigen Informationen getroffen hat, weiß man angesichts der sich häufig widersprechenden Informationen dabei oft erst sehr viel später.

Drittens wird das Problem dadurch verschärft, dass Organisationen durch den Kontakt mit anderen Organisationen, Angst bekommen können, gegenüber diesen in einen Rückstand zu geraten. Organisationen bewegen sich immer in Feldern, die durch andere Organisationen geprägt sind. Auch wenn sie sich nicht zwangsläufig im direkten Wettbewerb mit diesen Organisationen befinden, dann vergleichen sie sich mit ihnen und werden mit ihnen verglichen. Es gibt einen – wenn auch häufig nicht ausgesprochenen –Wettbewerb darüber, welche Organisation in einem Feld, die Herausforderungen am besten in den Griff bekommt. Eine Organisation kann sich dabei nie sicher sein, wie sie in diesem Wettbewerb dasteht.

Letztlich könnten sich Organisationen bei der Entscheidungsfindung auf sich selbst verlassen. Das Problemverständnis in einer Organisation ist meistens so präzise, dass das nötige Know-how zur Einschätzung von Entscheidungsalternativen vorhanden ist. In einer Organisation wissen die Mitglieder, woher Verständigungsprobleme zwischen Abteilungen herrühren und wie diese bearbeitet werden können, welche Routinen nicht so wie geplant funktionieren und welche Personen auf den richtigen Stellen sitzen und welche nicht. Allein mit Blick auf das Wissen wären also Organisationen allein in der Lage, die Vor- und Nachteile von Entscheidungsalternativen gegeneinander abzuwägen und auf dieser Basis eine Entscheidung zu treffen.

Das Problem ist jedoch, dass bei allen Entscheidungen unter Unsicherheit Verantwortung übernommen wird. Wenn sich abzeichnet, dass eine Entscheidung für die Organisation unter dem Strich als „falsch“ wahrgenommen werden muss, setzt häufig die Suche nach Schuldigen ein. Es werden Personen identifiziert, die die Entscheidung damals getroffen haben und deswegen für sie verantwortlich gemacht werden können.

Deswegen bilden sich in Organisationen vielfältige Strategien aus, die Verantwortung für eine Entscheidung zu reduzieren. Große Expertenberatungsfirmen werden in vielen Fällen nicht wegen der Qualität ihrer Beratungsleistung geholt, sondern weil man die Verantwortung für Entscheidungen auf sie auslagern kann. Die Einrichtung von kollektiven Entscheidungsorganen in Form von selbstorganisierten Teams reduziert die individuelle Verantwortung jedes einzelnen Teammitglieds. Die Einbindung möglichst vieler Personen durch partizipativ angelegte Veränderungsprozesse erschwert es, allein für eine Entscheidung verantwortlich gemacht zu werden.

Angesichts der Risiken bei der Entscheidungsfindung spielen Managementmoden eine wichtige Rolle. Manager können Entscheidungen damit begründen, dass sich alle Organisationen im Moment an einem Trend orientieren. Man verweist beim Neuzuschnitt einer Organisation darauf, dass dies in den aktuell gehandelten Managementkonzepten als einzige Möglichkeit gesehen wird, mit den veränderten Anforderungen umzugehen. Man rechtfertigt seine eigene Vorgehensweise damit, dass man Strukturen derjenigen Organisationen imitiert, die in der Managementpresse als besonders fortschrittlich diskutiert und deswegen für besonders erfolgreich gehalten werden. Kurz: Managementmoden dienen in so einer Situation als Sicherheitssurrogate. Sie verringern das Risiko, für Entscheidungen zur Verantwortung gezogen zu werden, weil man ja nur das gemacht hat, was alles andere auch gemacht haben.


Aus „Managementmoden nutzen. Eine sehr kurze Einführung“ (Springer VS 14,90). Die Publikation der Auszüge soll die Auseinandersetzung mit den Überlegungen zu Managementmoden ermöglichen. 

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