Ich habe den heutigen Morgen mit zwei interessanten Lektüren verbracht. Begonnen habe ich mit Thomas Strobls erstem Kapitel von „Ohne Schulden läuft nichts“ und für die Uni musste ich noch einen Text von Michael Mitterauer über die „Mittelalterlichen Wurzeln des europäischen Entwicklungsvorsprungs“ nachschieben.
In Strobls Kapitel, dass meiner Meinung nach zu viel Buddenbrook-Semantik und zu wenig Fugger-Geschichte enthält (mehr zum Buch wenn ich es fertig gelesen habe) gibt’s eine interessante (aber viel zu kurz erzählte) historische Beschreibung der Super-Schuldenakteure, die sich vom neuzeitlichen Finanzkapitalismus über die Industriekapitäne bis zum aktuellen Finanzmarktkapitalismus spannt und die interessante These bereit hält, dass die Kredit-Elite der Gesellschaft regelmäßig von der gesellschaftlichen Evolution hinweg gespült wird und Platz macht für Neues. So jedenfalls bis zum Jahre 2008, als die strauchelnden Super-Investment-Banken die Wirtschaft der Gesellschaft austricksten und ihre Risiken auf den Staat abwälzten und sich als systemrelevante Einheiten retten ließen. Seit dem ist (unsere) Gesellschaft in einer Schieflage, die die Spaltung von Arm und Reich verschärft, aus gesellschaftlichen Wachstumgsfreuden politische Verteilungskämpfe macht und ein nicht mehr ganz rund laufendes System mit zu hohen Kosten am Leben erhält- also die Gesellschaft insgesamt ärmer macht.
Kleiner Sprung: In Mitterauers Text werden Thesen vorgestellt, die den „Entwicklungsvorsprung“ Europas im Mittelalter beschreiben, aus dem die europäische Dominanz der modernen Welt hervorging. Es geht um Merkmale wie genossenschaftliche Selbstkontrolle kleiner Wirtschaftseinheiten, dezentrale politische Führung, Verstädterung, Nutzung regionaler, natürlicher Vorzüge, usw.
Sprung zurück: Strobl verweist, was die heutige Misere angeht, auf eine einzige Lösung: Der Staat bzw. die Politik muss mit Steuern die Ungleichgewichte der Gesellschaft regulieren und begrenzen und gleichzeitig umfassend mit Geld (sich selbst verschuldend) in die Wirtschaft der Gesellschaft eingreifen um den Kreislauf des Schuldenwesens am Laufen zu halten – der Staat muss also die Untätigkeit der Banken und Superreichen, die Sparen und damit den Kreislauf blockieren, überbrücken.
Es liegt aber das zweiseitige Problem vor, das die superreichen Einheiten der Wirtschaft der Gesellschaft (Banken, einige Staaten, Einzelakteure) die Kontrolle behalten wollen und neben ihrem Sparen auch noch die Umverteilungs-Regulierungsversuche der Politik blockieren. Der Staat soll Geld geben, darf es von denen die es haben aber nicht per Steuern *zurück*holen. Die Politik ist zu schwach um die einzige Möglichkeit das System zu retten durchzuführen.
Wenn man Mitterauers „Entwicklungsvorsprungs“-Thesen und Strobls Schulden-Kreislauf-Blockierer-Beschreibung zusammen bringt, liegt es nahe, ganz neu über China zu denken. China zeichnete sich bislang dadurch aus, dass arme Menschen durch tatkräftiges Arbeiten noch ernsthaft auf persönliche Lebensqualitätsverbesserung hoffen können. Dies führt, wenn viele mitmachen, was zu beobachten ist, zu dem beeindruckenden Wirtschaftswachstum dort. Viel wichtiger wird allerdings in den nächsten Jahren sein, dass die chinesische Regierung ihre zentrale Position nicht verliert und weiterhin in der Lage ist, wirklich zu regulieren. Es gibt in Amerika Ökonomen, die China öffentlich dafür bewundern, dass das ganze Land wie ein Unternehmen gesteuert wird. Die funktionierende Planwirtschaft der Chinesen, die so weit geht, wirtschaftliche Kriminalität mit dem Tod zu bestrafen, wird sich, wenn ich Strobls erstes Kapitel soweit richtig verstanden habe, vielleicht bald als „Entwicklungsvorsprung“ herausstellen. Man muss nur einen Blick in die Zukunft wagen, aus der der Rückblick auf das Jahr 2008 bis jetzt als historische Etappe beobachtet werden kann.
Kurz gesagt, in Europa und den USA gibt es derzeit eigentlich keine Politik im Sinne einer modernen Politik. Die Armen der Welt und die Umwelt(schützer) werden seit Jahrzehnten zugetextet und mit 20 Mrd. abgespeist, und die 1000 Mrd. Bankenrettung benötigt genau 1 Jahr politische Mobilisierung und ist in trockenen Tüchern (interessanter Hinweis aus dem Buch).
Da hat jemand, sprichwörtlich ohne Rücksicht auf Verluste, die Evolution ausgetrickst. Und nun stehen ganze Nationalgesellschaften in der Schuld einzelner Banken, ohne das aus dieser Schuld was konstruktives hervorgehen kann. Jedenfalls ist, wie zu beobachten ist, niemand interessiert 30 Jahre lang zu arbeiten um Staatsschulden zurückzuzahlen um dann mit Plus-Minus-Null ins Grab zu gehen… Bin ja mal gespannt, wie fatal die Aussicht am Ende des Buches ist.
(Bild: SEIU Local 1)