Wettbewerb als Bürokratietreiber

Ungewollte Effekte der Verwettbewerblichung von Forschungsorganisationen und Hochschulen

Wenn man Forscher und Lehrende nach ihrer Erfahrung mit der Wissenschaftsverwaltung befragt, wird nicht selten mit einer Geschichte des letzten bürokratischen Irrsinns reagiert. Es wird dann von Reisekosten berichtet, die erst beglichen wurden, nachdem man über ausführlich dokumentierte Vergleiche auf Buchungsportalen nachgewiesen hat, dass kein günstigeres Hotel verfügbar gewesen sei. Es wird geschildert, dass man bei Reisekostenanträgen über Angaben zu Starkregenwarnungen aus Wetter-Apps die Nutzung von Taxis rechtfertigen müsse. Oder man wird mit Feinheiten der institutseigenen Bewirtungsregelungen vertraut gemacht, in der genau aufgelistet sei, bei wie vielen externen Gästen Kaffee und Kekse serviert werden dürfen.

Bei diesen Schilderungen der Bürokratie scheint eine Art „Lord Voldemort Verständnis“ von Bürokratie zu dominieren. Ähnlich wie in der Harry Potter Serie erscheint die Verwaltung als bösartiger Gegenspieler, der mit schwarzer Magie die Durchsetzung des Guten zu verhindern sucht. Es wird zwar zugestanden, dass die Verwaltung an gesetzliche Normen gebunden ist, aber letztlich wird ein Interesse an der Maximierung ihres Budgets und den Ausbau ihres Einflusses unterstellt, der den Wissenschaftlern die nötige Freiheit für Forschung und Lehre rauben würde.

Wissenschaftler mögen sich immer mal wieder von der Verwaltung in kafkaeske Situationen getrieben fühlen, aber häufig muss die Verwaltung als bequemer Sündenbock für Entscheidungen herhalten, die ganz woanders getroffen worden sind. Weil Verwaltungen die Organisationen sind, über die staatliche Gesetze und Verordnungen umgesetzt werden, eignen sie sich, so der Politologe Markus Hinterleitner in einem gerade erschienenen Buch, als Projektionsfläche für Frustrationen. Auch wenn Verwaltungen lediglich Vorgaben aus der Politik umsetzen, sind es häufiger Politiker, von denen die lautesten Klagen über Bürokratie kämen und der Rückbau der Bürokratie in der Verwaltung am energischsten gefordert wird.

Bürokratisierung in der Wissenschaft als ungewollte Nebenfolge

Im Moment sind die Ministerien dabei, mit kleineren Maßnahmen den Bürokratieaufwand zu reduzieren: Die Bescheide für genehmigte Forschungsanträge können zukünftig digital zugestellt werden. Die Zuweisung von Pauschalen zur Deckung von Infrastrukturkosten bei Forschungsprojekten wird vereinfacht. Die Grenzen, ab denen aufwendige Vergabeverfahren durchgeführt werden müssen, werden hochgesetzt. Den Forschungsorganisationen bei der Bezahlung von Spitzenkräften mehr Flexibilität eingeräumt. Aber die Frage ist, ob man mit diesen kleinen Maßnahmen an die Wurzeln einer in der Wahrnehmung vieler Beteiligten hemmenden Bürokratisierung in der Wissenschaft herankommt.

Es hilft, wenn Überbürokratisierung nicht als Ergebnis einer um sich selbst kreisenden Verwaltung verstanden wird, sondern als ungewollte Folge einer mit allen besten Intentionen eingefügten Regelung begriffen wird. Vor fast über hundert Jahren hat der Soziologe Robert Merton in einer der ersten umfassenden Analysen zu Bürokratisierungsprozessen darauf aufmerksam gemacht, dass jede Strukturentscheidung in einer Organisation neben den gewünschten Effekten immer auch eine Reihe von ungewollten Nebenfolgen mit sich bringt. Für die Regulierung von wissenschaftlichen Tierversuchen mit eigenen Genehmigungsprozessen, zeichnungsberechtigten Beauftragten und verpflichtenden Schulungen gibt es – nicht zuletzt auch aus der Perspektive der Tiere – gute Gründe, die aber von Wissenschaftlern häufig als bürokratische Einschränkung ihrer Forschungsmöglichkeiten empfunden werden.

Wenn man mit einer solchen funktionalen Analyse die Bürokratisierung in der Wissenschaft analysiert, erkennt man, dass die Einführung neuer Steuerungsinstrumente einer der zentralen Bürokratietreiber gewesen ist. Die bürokratischen Effekte neuer Steuerungskonzepte, die sich in ähnlicher Form auch in der Wirtschaftspolitik, der Umweltpolitik und der Entwicklungshilfepolitik zeigen lassen, kann man bei der Einführung von Wettbewerben um Forschungsmittel wie durch ein Brennglab beobachten. Die Beteiligten wurden durch diese Entwicklung überrascht, weil die Stärkung des Wettbewerbs um Forschungsförderung auch als Maßnahme zur Entbürokratisierung propagiert wurde.

Die Bürokratisierungseffekte der Verwettbewerblichung

In den letzten Jahren ist die Klage immer lauter geworden, dass Forscher inzwischen einen Großteil ihrer kostbaren Arbeitszeit mit der Formulierung von Forschungsanträgen, der Entwicklung von Clusterstrategien und der Begutachtung von Finanzierungsvorhaben verbringen. Für die Durchführung der Wettbewerbe und die Abwicklung der extern geförderten Forschungsvorhaben sei der bürokratische Erfüllungsaufwand – um in der Sprache der Bürokratierückbauexperten zu bleiben – so groß geworden, dass den Wissenschaftlern für die eigentlichen Tätigkeiten in Forschung und Lehre kaum noch Zeit bleibe.

Bei der Einwerbung von externen Forschungsmitteln müssen sich Wissenschaftler einerseits an den von Hochschulen und Forschungsreinrichtungen üblichen bürokratischen Standards des öffentlichen Dienstes orientieren. Die allgemein geltenden Regularien für die Einstellung von Personal, die Ausstattung von Laboren oder die Durchführung von Dienstreisen müssen eingehalten werden. Andererseits muss aber eine eigene bürokratische Parallelstruktur bedient werden. Die Wettbewerbe um Forschungsmittel müssen durch Forschungsfördereinrichtungen oder durch Projektträger rechtssicher veranstaltet, die Verwendung der Forschungsmittel müssen überprüft und die rechtzeitige Abgabe von Zwischen- und Endberichten angemahnt werden. Häufig stellt dies nicht nur eine erhebliche zusätzliche Anforderung für Wissenschaftler und Verwaltung dar, sondern gerade die Koordination dieser zusätzlichen bürokratischen Anforderungen mit den üblichen Verwaltungsverfahren kann zu enormen Komplexitätssteigerungen im Wissenschaftsbetrieb führen.

Als Reaktion auf die Bürokratisierung durch Verwettbewerblichung wird häufig nicht die Reduzierung oder gar Abschaffung dieser Wettbewerbe gefordert, sondern lediglich die Verschlankung der Antragsformate. Es fällt auf, dass der Diskurs um Bürokratieabbau dazu missbraucht wird, um mit der Forderung zur Abschaffung von verpflichtend auszufüllenden Passagen beispielsweise zur Gleichstellung, Nachhaltigkeit oder Tierschutz Symbolpolitik für das eigene Klientel zu betreiben. Es gibt sicherlich gute Begründungen, die inzwischen vielfach verpflichtend vorgesehenen Fragekataloge zu den sogenannten wissenschaftlichen Nebenzwecken in Frage zu stellen. In ihren Anträgen und Berichten kopieren Wissenschaftler die entsprechenden Passagen per Copy and Paste aus vorigen Anträgen, lassen sich die Textstellen von Chatbots formulieren oder überlassen das Wording gleich den zentralen Forschungsförderungsabteilungen in den Hochschulen, die genau wissen, welche Schlagwörter man hier unterzubringen hat. An die eigentliche Wurzel der Bürokratisierung – die Verwettbewerblichung der Wissenschaft – kommt man dabei aber nicht heran.

Es mag gute Gründe geben, den Wettbewerb um Forschungsgelder anzuheizen – die Hoffnung, über die Vergabe von Geld politisch gewollte Schwerpunkte in der Wissenschaft setzen zu können, die Idee, über die wettbewerbliche Vergabe von Forschungsmitteln Strukturbildungseffekte beispielsweise in der Form von Excellence-Universitäten schaffen zu können oder der Glaube, über die leistungsorientierte Vergabe von Mitteln die bekannten Produktivitätsabfälle von Professoren nach ihrer Berufung verhindern zu können. Diese Steuerungsvorstellungen mögen berechtigt sein oder nicht. Klar ist aber, dass man mit jedem neuen Wettbewerb die Bürokratielasten in Hochschulen und Forschungseinrichtungen erhöht.


Stefan Kühl ist Professor für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld und war Mitglied der Leopoldina-Kommission zur Entbürokratisierung der Wissenschaft.

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