Würde und Ehre

Christian Wulff hat in seinem gestrigen Interview mehrfach den Versuch unternommen, eine Erklärung als Entschuldigung zu verkaufen. Die Welt sei eine andere geworden, die Aufgabe eines Bundespräsidenten eine schwierigere und überhaupt, er musste seine Rolle zu schnell finden, er konnte das ja alles nicht ahnen, wurde vom Amt überrumpelt und nun sieht er sich im Recht einer zweiten Chance.

Der Feststellung, dass Wulff nicht (mehr) ins Amt des Bundespräsidenten passt, folgt eine offene Frage: Wie soll er sein, der nächste Bundespräsident? Klar ist, meiner Ansicht nach, nur, dass er sich auf die Würde des Amtes nicht mehr verlassen darf. Wer Präsident ist, muss auch ohne Amt präsidiabel sein. Als Präsident aller Deutschen wäre man nicht nur auch Präsident des Islams, der zu Deutschland gehört, sondern auch Präsident aller Hartz-IV-Empfänger. Die Frage, ob man Präsident eines Landes sein möchte, in dem es zuweilen fast strafrechtlich verboten ist, Geld per Kredit oder Schenkung von jedermann anzunehmen, wäre dann prinzipiell zu bejahen. Auch sollte man dann ein Präsident sein, der bereit ist, zur Miete und mit Unbekannten in einem gemeinsamen, nicht dem eigenen, Haus zu leben. Die Kinder sollten öffentliche Schulen und Spielplätze besuchen.

Der nächste Bundespräsident sollte sich nicht hinter einer Nichterklärung verstecken müssen. Er sollte niemals Angst vor einem öffentlichen Auftritt haben. Er sollte sich nicht erst im Amt als fähig erweisen, sondern fähig sein, sodass ihm auch mal etwas misslingen darf. Er sollte nichts tun, was ihm als Fehler ausgelegt werden kann, weil er selbst wissen sollte, was ein Fehler ist.

Kurz: Der nächste Bundespräsident muss sich persönliche Ehre und Respekt erarbeitet haben und das Amt verdienen. Der moralische Maßstab ist kein überholtes Konzept der letzten Gesellschaft, sondern das einzige Maß, das für einen Bundespräsidenten gilt. Er soll nicht nur Reden halten, sondern urteilen können und für ihn bleibt nur das moralische Urteil, das sich aufgrund seiner Argumente wie von selbst trägt und für seine Wirkung nichts weiter braucht als die Autorität desjenigen, der es ausspricht.

Dieser sollte, sollte, sollte – Anforderungskatalog klingt jetzt sehr hochgesteckt. Aber wie sollte es anders gehen, sollte man das Amt nicht aufgeben wollen. Benötigt wird es. Und es gäbe vor allem viele, die für es infrage kämen. Vielleicht muss man es nur weiter von der Politik entkoppeln. Man kann sich für das Amt des Bundespräsidenten fast keine bessere Disqualifikation vorstellen, als ein Leben lang durch einen Parteiapparat getrieben worden zu sein.

(Bild: Christopher Kriese)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

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