Von einem Fluch kann nicht die Rede sein, dafür haben die Mitglieder der Piratenpartei selbst zu tiefe Gräben zwischen ihren persönlichen Auseinandersetzungen und politischen Ansinnen gegraben. Doch die junge Partei hatte auch Pech mit sich selbst und beispielsweise Johannes Ponader als politischem Geschäftsführer. 2012 startete die Partei in einen Themen-Sommer mit unzähligen Konferenzen. Am Ende des Jahres wurde zumindest ein Ziel erreicht: Die Piratenpartei einigte sich auf Sprachregelungen zur Europa-, Gesundheits- und Rentenpolitik und gilt heute nicht mehr als Ein-Themen-Partei.
Ihre eigentlichen Ziele verloren die Parteimitglieder allerdings aus den Augen. Weder setzten sie sich im Kampf um Aufmerksamkeit mit ihrer neuen Themenvielfalt gegen die persönlichen Auseinandersetzungen des Bundesvorstands durch, noch fanden sie Gehör, nachdem sie in der Wählergunst bundesweit unter die Fünf-Prozent-Hürde fielen. Wenige Monate vor der Bundestagswahl versucht die Partei nun in einem Rettungsversuch, dem viel des persönlichen Engagements der früheren Jahre fehlt, ihre Fehler wett zu machen.
Im Mai dieses Jahres wählte der Bundesparteitag Katharina Nocun Johannes Ponader nachfolgend ins Amt der politischen Geschäftsführerin. Aufgefallen ist die 1986 geborene Politikwissenschaftlerin seitdem allein durch inhaltliche Argumentationen. Avantgardistisches Verhalten in den Medien scheint ihr ebenso fremd wie die Instrumentalisierung ihrer Person. Nur am Dienstag wich sie von ihrer Linie ab und stellte in einem Text die Geschichte ihrer Familienmitglieder heraus, die für „die mächtige Idee der Freiheit gestorben“ seien, die sie durch die digitale Überwachung der Geheimdienste in Gefahr sieht.
Damit reagierte sie indirekt auf jüngste Äußerungen des Bundespräsidenten und ehemaligen Chefaufklärers der „Stasi“-Akten, Joachim Gauck, der für den NSA-Whistleblower Edward Snowden und dessen vermeintlich „puren Verrat“ kaum Verständnis zeigte. Joachim Gauck steht damit als Bundespräsident in einer Linie mit führenden Mitgliedern der Regierungsparteien, die zurzeit politische Aufklärung anmahnen ohne zu Thematisieren, was erst noch aufzuklären sei.
Einige Mitglieder der Piratenpartei schlagen derweil neben der politischen Aufklärung einen weiteren Pfad ein. Der ehemalige Wikileaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg tritt wie Katharina Nocun mit dem Anliegen einer inhaltlichen Aufklärung auf, die auf die langwierigen diplomatischen Prozeduren einer politischen Klärung keine Rücksicht nimmt. Sowohl in den Talkshows von Maybrit Illner in der vergangenen Woche als auch am Dienstagabend in der Sendung von Markus Lanz legte er Wert auf soziales und technisches Verständnis für die digitalen Überwachungsmaßnahmen.
In der Sendung von Maybrit Illner setzte er sich noch mit Rainer Wendt, dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, auseinander, der sich „zutiefst davon überzeugt“ sah, dass ausländische Geheimdienste eine „vernünftige Risikostrukturanalyse“ betreiben, ehe sie um richterliche Erlaubnis ersuchten und auf gespeicherte Datensätze zuzugreifen. Dass dafür allerdings alle Verbindungsdaten in einer Datenbank vorgehalten werden müssen, stellte auch Wendt trotz seiner Weigerung an „wilden Spekulationen“ teilzunehmen hervor. Er warb stattdessen dafür, dass deutsche Behörden mit der Einführung der Vorratsdatenspeicherung selbst solche Datenbanken schaffen.
In der Sendung von Markus Lanz antworte Domscheit-Berg konkreter auf die Fragen, weshalb er selbst kein Mobiltelefon trage, wovor er persönlich Angst habe und was mit einem vollständigen Datensatz über das Verhalten der Gesellschaft möglich wäre, ohne tatsächlich zu wissen, was mit ihm getan wird. An Domscheit-Bergs Seite saßen Jochen Busse, der nicht wisse, ob er überwacht werde, es aber aus “politischer Machtlosigkeit“ eben nicht ausschließen könne und Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF und Terrorismusexperte, der beipflichtete, dass man über digitale Überwachung wenig wisse, aber auch nichts ausschließen könne.
Die an Diskussionen, wie sie bei Markus Lanz geführt wurden, anschließenden Fragen, stellte Katharina Nocun in ihrem Text: Wie lassen sich Terroristen und Staatsbürger unterscheiden; lohnen sich politische Gespräche über die Abrüstung digitaler Überwachungssysteme; und lässt sich dem eigenen Staat politisch vertrauen, wenn dieses Vertrauen nicht erwidert wird? Fast alle der Fragen sind offen.
Politische und inhaltliche Aufklärung der digitalen Überwachung wird den Wahlkampf mit prägen, in dem die Piraten derzeit kaum eine Rolle spielen. Sollte die Piratenpartei mit ihrer jetzigen politischen Strategie in den Monaten bis zur Bundestagswahl keine größere Rolle spielen, bleibt es bei einer womöglich einzigen Antwort auf die drängenden Fragen: Der einzig wirksame Schutz vor digitaler Überwachung wäre, wie Daniel Domscheit-Berg erzählte, sein Mobiltelefon komplett abzuschaffen und in der Benutzung des Computers sehr vorsichtig zu sein.
(Bild: Piratenpartei)
Auch Computer und Handy abzuschaffen heißt nicht, dass es keine Onlinedaten geben wird. Indirekt können Daten auf unzählige Weise zustande kommen; Freunde, die einen auf Facebook taggen; emails in denen der eigene Name vorkommt; Behörden, die eine Telephonnummer brauchen; Anbieter, die einem ungefragt einen Onlineaccount einrichten.
Ohne Spur gehts halt nicht, man kann nur versuchen, sie so klein oder nichtssagend wie möglich zu halten. Und darum wird eine politische Lösung auch immer wichtiger; Datenschutz betrifft uns alle, als Einzelner kann man sich nicht rauswinden.
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