Die Möglichkeiten zur Motivation von Verwaltungsmitgliedern
Stefan Kühl und Philipp Männle
Verwaltungen konkurrieren mit Unternehmen, Verbänden, Universitäten, Schulen oder Gerichten um Arbeitskräfte. Je knapper das Arbeitskräfteangebot, je größer die Konkurrenz um Mitarbeiter, desto stärker sind Verwaltungen darauf angewiesen, eigene Anreize für eine „Teilnahmemotivation“ am öffentlichen Dienst zu entfalten (vgl. Luhmann 1964, S. 104). Sie können und müssen dabei aus dem Repertoire der verfügbaren Motivationsmittel schöpfen (vgl. Luhmann 2021, S. 171). Die Aussicht auf regelmäßige Geldzahlungen spielt bei der Tätigkeit sicherlich eine zentrale Rolle. Dazu kommen aber auch das Prestige, das mit einigen Tätigkeiten im öffentlichen Dienst verbunden ist. Nicht zu vernachlässigen ist die Tatsache, dass die Mitarbeit in der öffentlichen Verwaltung als Dienst im Interesse des Gemeinwohls dargestellt werden kann und dadurch eine eigene Anziehungskraft hat (vgl. Isensee 2014, 100 f.).
Wenn Verwaltungen Personen gewonnen haben, stellt sich die Frage, warum diese dann Tag für Tag Leistung erbringen.[1] Und vor allen: Warum werden in Verwaltungen nicht selten Leistungen erbracht, die weit mehr als ein bloßer „Dienst nach Vorschrift“ sind? Warum finden sich in der Verwaltungswirklichkeit eben nicht nur Beamte, die sich auf dem Flur mit „Na, kannst Du auch nicht schlafen?“ ansprechen, sondern Mitarbeitende, die trotz übervoller Zeitkonten, vergleichsweise bescheidenem Arbeitsentgelt und eher überschaubaren Karrierechancen doch immer wieder aufs Neue die Extrameile gehen? Was sind die Gründe für die teilweise ausgeprägte „Leistungsmotivation“ in Verwaltungen, die sich trotz eines häufig hohen Maßes an Arbeitsplatzsicherheit ausbildet?[2]
Geld – der Charme und die Grenze materieller Anreize
Die Geldzahlung ist der klassische Motivationsmechanismus aller Arbeitsorganisationen. Bereits Max Weber (1980, S. 127) charakterisierte die Verwaltung durch den Hinweis auf ein Arbeitsentgelt in Gestalt fester Gehälter.[3] Die sichere und verlässliche Gehaltszahlung durch den in aller Regel solventen Staat ist deswegen nicht nur ein Merkmal rationaler Verwaltungstätigkeit, sondern ohne Zweifel ein wesentliche Faktor der Teilnahmemotivation (vgl. Luhmann und Mayntz 1973, S. 76). Hier greift der wohlvertraute Mechanismus: Die Organisation „erkauft“ sich über Geld basal motivierte Mitglieder (vgl. Männle 2011, S. 198), die innerhalb von formal definierten Grenzen Leistungen erbringen (vgl. Kühl 2020, S. 26).[4]
Zwar werden im öffentlichen Dienst in aller Regel keine Spitzengehälter gezahlt, aber in vielen Staaten erschließt die Mitgliedschaft den Zugang zu monetär relevanten Privilegien (vgl. Merton 1968, S. 266). Beamte werden häufig von einer Reihe von Sozialabgaben etwa für die Arbeitslosen- oder die Rentenversicherung befreit, erhalten besondere Absicherungen gegen Krankheit in Form von Beihilfe oder Heilfürsorge (vgl. etwa Mayntz 1997, S. 135) und nicht selten auch eine herausgehobene Altersversorgung (vgl. Rothenbacher 1999, S. 3). Durch diese monetär relevanten Anreize wird die Teilnahmemotivation in Verwaltungen erhöht, dies kann aber zu einer Reduktion der Leistungsmotivation führen. Auch können die Privilegien und die Arbeitsplatzsicherheit der Grund dafür sein, dass man in einem Job in der Verwaltung bleibt, auch wenn einem jeder Spaß an der Arbeit vergangen ist. Man fühlt sich mit einer Art „goldener Fessel“ an die Organisation gebunden, erbringt dort aber nur noch ein Minimum an Leistung (vgl. Grawert 1998, S. 116).[5]
Der öffentliche Dienst tut sich mit leistungsmotivatorischen Prämierungen in Form von Prämienzahlungen zusätzlich zum Grundgehalt traditionell schwer.[6] Das Tätigsein in Verwaltungen ist häufig nicht darauf gerichtet, dass sich einzelne besonders auszeichnen. Deswegen treffen Versuche, auch in der Verwaltung besondere individuelle Leistungen zu fordern und auch abzugelten, in der Regel auf einen wenig fruchtbaren Boden (Perry et al. 2009, S. 43). Mehr noch: Eine monetäre Prämierung von besonderen Leistungen kann sich in Verwaltungen sogar nachteilig auswirken, weil sich die eigentlich vorhandene Eigenmotivation zur Erbringung von Leistungen durch ein Schielen auf Leistungszulagen reduziert (vgl. Weibel et al. 2010). In der Psychologie wird diese leistungsreduzierende Wirkung durch erfolgsabhängige Bezahlung als Crowding Out Effekt bezeichnet (vgl. Frey und Oberholzer-Gee 1997).
Auch wenn man bei monetären Anreizen vielfach zuerst an die regelmäßige Bezahlung von Verwaltungsmitarbeitern durch den Staat denken mag, darf man nicht übersehen, dass in vielen Staaten eine Verwaltungstätigkeit ihren Reiz dadurch erhält, dass sie den Mitarbeitern Zugang zu illegalen Zahlungen durch das Publikum der Verwaltung ermöglicht. Weil Verwaltungen die einzigen Organisationen sind, die kollektiv bindende Entscheidungen anfertigen, entscheiden Verwaltungsmitglieder über kritische Fragen: Sie setzen Steuern und Abgaben fest, erteilen Genehmigungen, geben Einreisevisa aus oder vergeben öffentliche Aufträge. Deswegen können Verwaltungsmitarbeiter in hohem Maß Adressaten von Bestechungsversuchen sein. Gerade in Staaten, in denen das Auskommen der Beschäftigten im öffentlich Dienst nicht durch die staatlichen Gehaltszahlungen gesichert ist, werden Korruptionszahlungen und Geschenke-Gaben an öffentlich Bedienstete vielleicht als „kriminell“, aber durchaus „üblich“ gewertet (vgl. Rubinstein und Maravic 2010, S. 27).
Zwang – die Androhung von Gewalt zur Durchsetzung von Erwartungen gegenüber Organisationsmitgliedern
Dass man mit Zwang zu einer Tätigkeit in einer Verwaltung gezwungen wird, erscheint einem auf den ersten Blick absurd. Die Mitarbeiterin im Einwohnermeldeamt, bei der man einen neuen Personalausweis beantragt, ist nicht zwangsverpflichtet worden. Die Abteilungsleiterin in einem Landesministerium, wird nicht mit der Androhung von Gewalt daran gehindert, ihr Amt aufzugeben. Die Zeit, in der man Personen mit körperlicher Gewalt zur Tätigkeit zwingen konnte, scheinen weitgehendst vorbei zu sein.
Auf den zweiten Blick fällt jedoch auf, dass sich doch in einigen Fällen Zwangsmechanismen zur Rekrutierung von Mitarbeitern finden lassen. Dabei handelt es sich in der Regel nicht um Verwaltungen im engeren Sinne, sondern um staatliche Organisationen, die darauf angewiesen sind, einen breiteren Personenkreis in eine Tätigkeit zwingen zu können. Man denke nur an die Wehrpflicht in Armeen, die Möglichkeit zur zwangsweisen Rekrutierung in einer dann nicht mehr ganz so freiwilligen Feuerwehr oder die gesetzlich mögliche Verpflichtung von Schöffen als Beisitzer in Gerichten. Vermutlich ist in der modernen Gesellschaft der durch das Gewaltmonopol ausgestattete Staat die einzige Instanz, die Mitglieder zwangsweise rekrutieren kann.
Aber diese Zwangsrekrutierungen sind Ausnahmen. In der Verwaltung würde dieser Mechanismus zu erheblichen ungewollten Nebenfolgen führen: Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass sich die „Verwaltungskunst“ (vgl. Ellwein 1990, 89 ff.) durch zwangsweise rekrutiertes Personal ausüben lässt. Wenn man bei Verwaltungstätigkeiten auf fachqualifiziertes, verantwortungsbewusstes Personal angewiesen ist, macht es wenig Sinn, Mitarbeiter zu solchen Tätigkeiten zwingen zu wollen. Die Kunstfertigkeit beim Ausnutzen eines konkreten Ermessensspielraums sollte man deswegen nicht unbedingt Zwangsmitgliedern überlassen (vgl. Maurer 2002, S. 170).[7]
Das Mittel des Zwangs kommt als Instrument der Motivation von Mitgliedern also schnell an seine Grenzen. Zwar lässt sich dadurch die Anwesenheit und womöglich auch ein Grundmaß eines „Dienstes nach Vorschrift“ erzwingen, mehr aber auch nicht (vgl. Kühl 2020, S. 30). Ein dauerhaft-überwachendes und/oder antreibendes Befehlen ist für moderne Organisationen ineffektiv (vgl. Luhmann 1964, S. 98, 2018b, S. 170).[8]
Zweckidentifikation – die Überzeugung von der Richtigkeit der Organisationsziele
Zwecke können in Organisationen Attraktionswirkungen entfalten: Die Identifikation mit dem Organisationszweck kann ein starker Motivator sein, Mitglied einer Organisation zu werden und dort Leistungen zu erbringen. Organisationen überlegen, wie sie ihre Mitarbeiter über möglichst populär dargestellte Zwecke motivieren können (vgl. Coser 2015, S. 11).
Auch Verwaltungen setzen ihren „Purpose“ als Motivations- und Antriebsfaktor in ihrer Darstellung nach innen und nach außen ein (vgl. exemplarisch Knorre 2020, 48 f.). Der Landesbetrieb für Straßenbau „sorgt für Bewegung“. Das Gesundheitsamt sieht es als seine Aufgabe, dass „es allen gut geht“. Der Verweis auf eine Tätigkeit in der Verwaltung als Dienst an der Gemeinschaft zielt einerseits darauf ab, überhaupt Personen für die Mitarbeit im öffentlichen Dienst zu gewinnen. Neben dieser Teilnahmemotivation kann diese Ausrichtung an einem attraktiven Zweck aber auch die Leistungsmotivation erhöhen (vgl. Grant 2008, S. 50; auch Brewer et al. 2000).[9]
Etliche Zweckformulierungen von Verwaltungen sind dabei Darstellungen für die Schauseite. Aber zweifellos können viele Verwaltungen ihre Mitglieder über attraktive Zwecke binden. Die Tätigkeit für eine Umweltschutzbehörde kann ähnliche Motivationskraft haben wie das Engagement in einer umweltpolitischen Aktionsgruppe. Die Arbeit in einer staatlichen Entwicklungshilfeorganisation ist zumindest anfangs mit der Hoffnung verbunden, die Welt ein klein bisschen besser machen zu können. Anderen Verwaltungen fällt es dagegen sicherlich schwer, ihre Zwecke als motivierend für die eigenen Mitarbeiter darzustellen. Finanzämter, Meldestellen oder Baubehörden sind für einen funktionierenden Staat wichtig, die Tätigkeit in ihnen lassen sich aber vergleichsweise schwer motivkräftig verkaufen.
Die Bemühungen richten sich deswegen darauf aus, die Tätigkeit in der Verwaltung insgesamt als motivierend darzustellen: „Die Würde des öffentlichen Amtes bildete traditionell einen ideellen Lohn für den zu leistenden Dienst und darin zuweilen auch einen Ausgleich für die Kargheit des materiellen Lohns, den der Staatsdiener erhielt“ (Isensee 2014, S. 135). Mitarbeiter der Verwaltung würden, so das Versprechen, ihre eigenen persönlichen Interessen hinten anstellen und sich dem Dienst an der Gemeinschaft verschreiben (vgl. Horton 2008, S. 18).[10] Unter diesem sehr abstrakten Verständnis vom Dienst an der Gemeinschaft können dabei so unterschiedliche Aspekte wie ein Interesse an Politik und den zugehörigen Gestaltungsmöglichkeiten, das Pflichtgefühl gegenüber dem öffentlichen Interesse und Motive des Altruismus und der Uneigennützigkeit zusammengefasst werden (vgl. Perry 1996, 5 ff.; Hammerschmid et al. 2009, S. 76). Der Oberbegriff für diesen Zugang lautet „Public Service Motivation“ (Rainey 1982).[11]
Attraktivität der Handlung
Ein Grund, Mitglied einer Organisation zu werden und sich dort über den Grad des Erwartbaren hinweg zu engagieren, kann die Attraktivität einer Tätigkeit sein. Viele Personen werden Mitglied in einem Verein, weil sie Freude an der Aktivität dort haben. Es macht – jedenfalls einigen Personen – Spaß, einen Ball über ein Netz hin- und her zu spielen, sich gegenseitig die Münzsammlungen zu zeigen oder gemeinsam ein Theaterstück einzuproben.
Bei der Frage, welche Organisationen attraktive Tätigkeiten im Repertoire haben, würde man vermutlich nicht zuerst an Verwaltungen denken. Die Prüfung von Gewerbesteuern, die Aufsicht über Badegewässer oder die Aufstellung eines kommunalen Haushaltsplanes erscheint der breiten Masse sicherlich nicht als besonders attraktive Tätigkeit. Eine übergroße Freude an verwaltungsspezifischen Routinetätigkeiten mit geringem Kreativitätspotenzial würde von vielen vermutlich eher als eine personale Deformation begriffen werden.[12]
Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie attraktiv einzelne Tätigkeiten in der Verwaltung sein können. Das anspruchsvolle architektonische Wirken war beispielsweise lange Zeit nur als staatsexaminierte Baubeamter möglich (vgl. Welzbacher 2023). Tätigkeiten im Bereich der öffentlichen Gesundheit, lassen sich auch heutzutage fast nur über eine Beschäftigung in den Gesundheitsämtern verrichten. Und vermutlich liegt die Attraktivität für eine Tätigkeit im diplomatischen Dienst auch an den Möglichkeiten, auf sehr komfortable Art und Weise fremde Länder kennenzulernen. Man kann teilweise den Eindruck haben, dass Verwaltungen ein Monopol für bestimmte attraktive Tätigkeiten haben – und zwar nicht nur in der Historie, sondern bis heute.
Dabei können die Attraktivität der Handlung und die Sinnhaftigkeit des Organisationszwecks auseinanderfallen. Einerseits können Verwaltungsmitarbeitende von der Sorge um ein leistungsfähiges Bildungswesen völlig unberührt bleiben, jedoch – beispielsweise, weil sie diplomierte Architekten oder studierte Mathematiker sind – eine tiefe Befriedigung darin erfahren, sich mit Schulbau-Projekten zu befassen oder Vorausberechnungen zur Entwicklung des Lehrpersonalbedarfs zu erstellen.
Anderseits mag es vorkommen, dass bürokratisch-aufreibende oder auch die langweilig-ermüdende Verrichtungen durch die Attraktivität des Zweckes überlagert werden: Das einzelne Mitglied identifiziert sich mit der kommunalen Jugendarbeit und weiß, dass sein Tun, etwa das alltägliche und für sich genommen eher stupide Einpflegen von Daten in ein Computersystem, einen essentiellen Beitrag dazu leistet, dass Risikosituationen frühzeitig erkannt werden und damit gute Jugendarbeit geleistet wird.
Kollegialität – die Beziehung zu anderen Mitgliedern
Ein netter Kreis an Kolleginnen und Kollegen kann ein „Attraktor“ in Organisationen sein. Ein „kollegiales Miteinander“, eine „gute Stimmung“ oder eine „schöne Atmosphäre“ können Organisationen attraktiv machen. Bei der Werbung neuer Organisationsmitglieder spielt es eine wichtige Rolle, wenn Mitarbeiter bei Verwandten, im Bekanntenkreis oder in Freundesgruppen von einem „guten Teamspirit“ oder einer „umgänglichen Kollegenschaft“ berichten. So manche „Beamtenfamilie“ ist dadurch entstanden, dass die Attraktion einer Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst – auch im Hinblick auf einen netten Kollegenkreis – vom Großvater über die Mutter auf den Enkel vermittelt wird. Ein kollegiales Miteinander, auch durch das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkende außerdienstliche Aktivitäten, kann dazu beitragen, dass man an der einen oder anderen Stelle mehr leistet als formal erwartet werden kann.
Mit guten kollegialen Beziehungen können nicht nur Verwaltungen, sondern auch Unternehmen, Krankenhäuser oder Schulen werben. In Verwaltungen bilden sich aber nicht selten „kameradschaftliche Bürokratien“ aus (Bosetzky 2019, S. 116). Weil Erfolge in einer Verwaltung häufig nur schwer zu fassen sind und in der Regel nur der Spitze zugerechnet werden, brauchen Sie es, das Erfolgserlebnis im Kreis der Kollegen gleichberechtigt aufzunehmen. Fehlende regelmäßige Erfolgserlebnisse werden durch eine gute Stimmung im Team kompensiert. Dabei wandelt sich das gesellige Miteinander vom Mittel zur Überwindung monotonen Arbeitens zum eigentlichen Grund für die Anwesenheit im Amt, zum Zweck an sich also (vgl. Bosetzky 2019, 122 f). Der einzelne geht in die Verwaltung, ist dort und bleibt dort, weil eben auch andere dort sind und bleiben.
Dabei kann sich aus dem Gefühl der kollegialen Zugehörigkeit nicht selten auch kollegialer Druck entwickeln. Dieser kann, in Bezug auf ein allgemein geteiltes „adäquates Leistungsniveau“, je nach Typus der Verwaltung einen unterschiedlichen Charakter haben. In einem Finanzamt, in dem einige Dutzend Mitarbeiter mit der Bearbeitung von Steuererklärungen beschäftigt sind, bildet sich ein Verständnis heraus, wieviel Erklärungen am Tag zu bearbeiten sind. Im Stabsbereich von Ministerien können sich Erwartungen ausbilden, Vorlagen fertig zu bekommen, auch wenn dafür die gesetzlich vereinbarte Arbeitszeit überschritten werden muss.
In Verwaltungen kann eine gute Stimmung unter Kollegen ein Motiv sein, in der Organisation zu verbleiben und gute Arbeit zu erbringen. Sie entziehen sich aber weitgehend dem direkten Zugriff durch die Verwaltungsspitze (vgl. Kühl 2020, 34 f.). Eine Verwaltungsleiterin mag Weihnachtsfeiern initiieren, aber ob das eine krampfige Veranstaltung wird oder eine rauschende Party hängt nur sehr begrenzt von ihren Bemühungen ab. Wie gut die Atmosphäre in einer Verwaltung ist, entscheiden die Kolleginnen und Kollegen selbst. Bestenfalls trägt die Verwaltungsleitung über die Definition von organisationalen Rahmenbedingungen dazu bei, ob sich eine gute Stimmung ausbilden kann.
Bei diesem Text handelt es sich um eine Auskopplung aus einem geplanten Buch von Philipp Männle und Stefan Kühl „Verwaltungen. Eine sehr kurze Einführung“ (2025). Zwanzig weitere Auskopplungen werden im Laufe des gemeinsamen Schreibprozesses folgen. Hinweise auf Unklarheiten Inkonsistenzen oder übersehene Diskussionen sind herzlich willkommen an maennle@uni-potsdam.de und stefan.kuehl@uni-bielefeld.de.
[1] Chester Barnard hat bereits vor dem Zweiten Weltkrieg herausgearbeitet, dass es zwei ganz unterschiedliche Aufgaben sind, Personen für das Mittun in einer Organisation zu gewinnen und Mitglieder nach der erfolgten Eintrittsentscheidung zu (besonderen) Leistungen anzuspornen vgl. Barnard 2002, S. 227.
[2] Diskutieren könnte man insbesondere auch, warum eigentlich die Leistungsmotivation überhaupt ein Problem für Verwaltungen ist. Als „political organisation“ (vgl. Brunsson 1994, 13 ff.) kommt es in Verwaltungen ja in „Überlebenshinsicht“ nicht auf effizientes Arbeiten an; eher sind es wohl Legitimationsfragen. Beide Fragen sind in hohem Maße praxisrelevant, sie beschäftigen konkrete Verwaltungsbehörden, die Verwaltungspolitik in ihrem Bemühen mittels Reformen etwa des Dienstrechts die Attraktivität sowie – insbesondere seit der New Public Management-Bewegung (vgl. Proeller und Schedler 2009, S. 220 – auch die Leistungsbereitschaft im öffentlichen Dienst zu stärken und zu steigern, und die Verwaltungsforschung, die hier ein weites Feld voller zu bearbeitender Fragestellungen vorfindet. Organisationswissenschaftlich betrachtet steckt hinter beiden Fragen das Interesse an einem Umweltproblem der Organisation vgl. Luhmann 2018a, S. 241. Denn nicht nur die potentiellen neuen Mitarbeitenden, sondern auch Persönlichkeitsstrukturen und Motive des tatsächlichen Verwaltungspersonals sind – eine in hohem Maße relevante – Umwelt der Behördenorganisation vgl. Luhmann 2010, S. 176.
[3] Siehe zur Anreiz-Beitrags-Theorie für eine Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung besonders Simon et al. 1950.
[4] In Sachen Leistungsmotivation weisen Verwaltungen insbesondere in Bezug auf verbeamtete Mitglieder mit dem Mechanismus der Beförderung ein Sonderformat auf. Anders als in Erwerbsorganisationen oder auch bei Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst, bei denen Arbeitsentgelt und Tätigkeit in einem unmittelbaren Konnex stehen, verfügen Beamte einerseits über ein Amt im statusrechtlichen Sinne (etwa: „Amtmann“), eingeordnet in eine Laufbahngruppe (etwa: „gehobener Dienst“) und eine Laufbahn (etwa: „nichttechnischer Verwaltungsdienst“). Andererseits besetzten sie eine Stelle in einer konkreten Verwaltungsorganisation, einen Dienstposten also respektive ein Amt im konkret-funktionellem Sinne. Und dieses weist eine eigene Bewertung auf. Hat ein Amtmann (A11) also beispielsweise einen nach A12/A13 bewerteten Dienstposten inne, könnte er befördert werden. Dies setzt mehrere Vorbedingungen voraus, in ganz besonderer Hinsicht die im Grundgesetz in Artikel 33 Absatz 2 festgeschriebene Eignung, Befähigung und fachliche Leistung. Es gilt also: Befördert wird nach dem Leistungsprinzip – soweit jedenfalls die Rechtslage. Tatsächlich folgen Beförderungsentscheidungen und damit, selbstredend, Entscheidungen über die Zuteilung einer höheren Besoldung auch anderen Mustern bis hin zur Patronage mit dann wiederum eher schädlichen Effekten auf die Leistungsmotivation vgl. Derlien 1988, S. 70.
[5] Das mag im Übrigen ein Hintergrund für verschiedentliche Ansätze der Normalisierung öffentlicher Entgeltsysteme zum Beispiel in den Niederlanden und Österreich sein.
[6] Das erklärt auch die Skepsis von vielen Wirtschaftswissenschaftlern gegenüber dem öffentlichen Dienst. Bereits Ludwig von Mises hat das deutlich gemacht: „Ganz anders verhält es sich jedoch unter dem Aufkommen der Bürokratisierung. Anstellungen beim Staat bieten keine Möglichkeiten für die Entfaltung persönlicher Talente und Begabungen. Reglementierungen bedeuten den Untergang von Initiative. […] Die Routine einer bürokratischen Arbeitsweise wird sein Denken lähmen und seine Hände binden” Mises 2004, S. 100.
[7] Zwang kommt aber nicht nur in Bezug auf die Motivation zur Teilnahme, sondern auch als ein Format der Leistungserzwingung gegenüber Mitgliedern von Verwaltungen zum Einsatz. So können unter bestimmten Umständen Zwangsmaßnahmen in Betracht kommen, etwa verpflichtend angeordnete Überstunden oder das Untersagen von (Urlaubs-)Abwesenheiten, sofern (zwingende) dienstliche Gründe dies gebieten. Und selbstredend können beispielsweise auch Führungskräfte, Personalabteilungen oder Organisationsleitungen auf vorrangig illegalen Fundamenten zu Zwängen greifen, mit denen von Mitarbeitern bestimmte Leistungen letztlich herausgepresst werden.
[8] Gerade hier zeigt sich, dass ein immer wieder in der Verwaltungspraxis auch vorfindbares Bemühen, auf ein gesteigertes Leistungsniveau hinzuwirken, das die Gefahr birgt, die strukturellen Grundmuster des Systems zu beeinträchtigen. Bürdet man beispielsweise dem Sachbereichsleiter der Wohngeldstelle auf, sein Team zu motivieren, die Antragsbearbeitung zu steigern, wird das in aller Regel zur Zumutung für alle Beteiligten. Denn wo die Wirkungsmittel, in letzter Konsequenz das Zwangspotential, fehlen, läuft das Ansinnen leer und zeigt sich als wenig aussichtsreiche, aber übergebührliche Beanspruchung der für andere als für Leistungsmotivationszwecke gedachten Führungs- oder Kommunikationsstruktur vgl. Luhmann 1964, 106 ff.. Zwang ist damit in jedweder Hinsicht vor allem als Notfall- und Auffangmotivator zu sehen.
[9] Vor diesem Hintergrund wird gerade in einer verstärkten Auseinandersetzung mit diesem Kontext der Public Service Motivation ein großer verwaltungswissenschaftlicher wie auch verwaltungspraktischer Gewinn vermutet vgl. Hammerschmid et al. 2009, S. 86.
[10] „The essence of the idea is that a public servant sets aside his personal interest because he sees it as his duty to serve his community“, erklärt etwa Sylvia Horton 2008, S. 18, die diesen Aspekt bereits in Platons „Staat“ und Aristoteles‘ „Politik“ vorfindet.
[11] Siehe Perry und Wise 1990, die hier eine Art individuelle Disposition von Verwaltungsmitarbeitenden beobachten, auf Motive und Motivationsfaktoren anzusprechen, die ausschließlich oder vorrangig im public service zu finden sind vgl. auch Vandenabeele et al. 2017, 263 f..
[12] Die Frage, ob bürokratisches Tätigsein als solches Attraktivitätspotentiale birgt, hat eine eigene Traditionslinie und führt etwa zu Merton 1968 oder Gouldner und Newcomb 1956, und Auseinandersetzungen darüber, ob und in welcher Hinsicht Personen bestimmte Neigungen zur Orientierung an Regeln oder zu routinisierten Tätigkeiten ausweisen, die Merkmale der Rigidität oder des Dogmatismus aufweisen oder in Sachen Kreativität eher geringe Affinitäten zeigen vgl. dazu Luhmann und Mayntz 1973, S. 96 und deshalb Verwaltungen, als Organisationen, in denen eben diese Verrichtungen umfassend ausgeübt werden können, präferieren.
Literaturverzeichnis
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