Der Placebo- Effekt. Eine Replik

Da der Text von Rena, auf den ich mich beziehe, sehr verdichtet geschrieben ist, möchte ich mich in meiner Replik auf einen Kernpunkt konzentrieren: die System/ Umwelt- Differenz.

Beschreibt man das politische System als ein System, so handelt man sich damit, zumindest in der Systemtheorie Luhmannscher Ausprägung, die Konsequenz ein, dass man von einem System ausgeht, dass sich selbstreferentiell durch rekursive Kommunikation reproduziert. Das bedeutet zugleich aber, dass das System nur noch IN seinen Grenzen operieren kann. Die Umwelt ist dem System nicht zugänglich. Was bedeutet das aber für die sogenannten Leerformeln wie Wohlfahrt, Armut, usw.?

Anspruch vs. Systemtheorie

In erster Linie, so wäre mein Hauptargument, bedeutet dies als Konsequenz, dass sich aus der Systemtheorie nicht der Anspruch ableiten lässt, dass die Politik oder ein anderes Funktionssystem, gesellschaftliche Lösungen finden können. Auf den „Vorwurf“ der Placebo- Politik bezogen, heißt dass, das die Politik das Problem der Armut dann (für sich) löst, wenn es das Armutsthema so in Programme einsetzen kann, dass die entsprechende Partei wiedergewählt wird. Wobei man dies sicherlich in der Formulierung relativieren muss: Es muss plausibel sein, Wahlerfolg bzw. Misserfolg an ein Programm zu koppeln. Man kann nun zwar einwenden, dass auch dies letztlich nur kausale Attributionen sind, aber was, außer trivialisierende Zurechnung, wäre die Alternative? Die Themen müssen so behandelt werden, dass sich sinnvolle Zurechnungen auf Wahlerfolge bzw. Misserfolge ermöglichen, dass also Zurechnungen nicht gänzlich unplausibel sind. Tut die Politik dies, hat sie das „Problem“ der Armut im Rahmen ihres Codes gelöst.

Symbolische Politik?

Und natürlich kann man nun wieder dagegenhalten, dass das „eigentliche“ Problem der Armut oder des Terrors oder der Klimakatastrophe oder was auch immer, nicht gelöst ist. Tut man dies, überschätzt man aber die Möglichkeiten des politischen Systems und begeht auch den Fehler die Grenze zwischen System und Umwelt nicht richtig zu interpretieren. Das Einfordern einer Veränderung der Umstände scheitert mit seinem Anspruch am Code der Politik. Eben weil der Code die Selbstreferenz widerspiegelt und eben keine Entsprechung in der Umwelt findet. Und natürlich kann man an dieser Stelle von symbolischer Politik reden, grenzt dabei allerdings die Tatsache aus, dass die primäre Referenz jeder politischen Kommunikation der Code des Systems ist. Fremdreferenzen sind unumgänglich, soll das System nicht im infiniten Regress enden, aber sie tauchen primär als Themen auf, an denen sich die Politik –im Bezug auf ihren Code- ansetzt und diese dann in codierte Kommunikation umsetzt. An dieser Stelle von symbolischer Politik zu reden ist, meiner Meinung nach, falsch, da die Politik letztlich nichts anderes tun kann, als die an sie herangetragenen Probleme unter der Maßgabe des Codes zu lösen. Das die Probleme dabei unlösbar sind, hat allerdings in keinster Weise einen negativen Beigeschmack, sondern ist im Gegenteil konstituierende Bedingung dafür, dass man überhaupt entscheiden kann, wie man aus der Kybernetik lernen kann. Die Möglichkeit Kontingenzen an einem moralischen oder religiös gefärbten Horizont zu dekonstruieren, verliert sich in der funktionalen Ausdifferenzierung der modernen Weltgesellschaft. Was übrig bleibt ist das Abfedern der Inkonsistenzen einer funktional differenzierten Gesellschaft durch die Trennung von „action“ und „talk“. Das hat nichts pejoratives, sondern ist eine Zwangsläufigkeit moderner Gesellschaften. Nimmt man die funktionale Differenzierung ernst, so muss man wohl akzeptieren, dass die Wirkungen von Politik primär auf das eigene System bezogen sind und sein müssen, da die Umwelt eines jeden Systems hochgradig intransparent ist und das System eben nur in sich selber operieren kann- Umweltwirkungen nicht ausgeschlossen.

Veröffentlicht von Henrik Dosdall

denkt, dass Luhmann recht hatte und liest die Soziologie dementsprechend. Schwerpunkte sind Systemtheorie und Epistemologie.

2 Kommentare

  1. Stefan Schulz sagt:

    Ich stimme mit dir grundsätzlich überein – allerdings:

    Was ich prinzipiell festhalten möchte ist, dass oft dem Begriff der „Kopplung“ nicht die gleiche Bedeutung zu Teil wird wie dem des „Systems“ – was ich nicht gerechtfertigt finde. Meiner Meinung nach wird zu sehr auf Geschlossenheit, System, „der eigene Code“ usw. Bezug genommen und Wert gelegt.

    Denn, die Funktion von Politik ist die kollektiv bindende Entscheidung und egal unter welcher Maßgabe diese Funktion umgesetzt wird, egal welche Machtkalküle diese Entscheidung „formen“ – letztlich findet die Entscheidung statt und sie ist eben „kollektiv bindend“ – also wirksam, über die Entscheider hinaus. Die Entscheidung hat nicht nur für das Politiksystem folgen.

    Das die Umweltfolgen nur als Themen und damit allein auf der Seite der Fremdreferenz in politischer Kommunikation vorkommen ist meiner Meinung nach eine zu idealtypische Beschreibung von dem was tatsächlich abläuft. Letzlich sind es Politiker und nicht „die Politik“ die entscheidet – und in Menschen vereinigen sich mehrere bis alle Funktionssysteme der Gesellschaft gleichzeitig. Zudem ist er beim Entscheiden nicht nur über das Funktionssystem gebunden sondern muss sich ebenso an Organisations- und Interaktionssystemen orientieren, die sich ebenfalls nicht eindeutig einem Funktionssystem zuordnen lassen.

    Wenn man „Politik“ nicht nur am kollektiv-bindenden Entscheiden, sondern auch an Vorbereitung & Herleitung davon festmacht, würde ich die Trennung von symbolischer und „echter“ Politik aufrecht halten. Wenn auch auf der Seite der Semantik, die die Mitbeobachtung der entsprechenden Systemreferenz erfordert.

  2. Henrik Dosdall sagt:

    Also ich versuche mal systematisch zu antworten:

    1) Ich glaube nicht, dass man die Einheit der Diversität der Funktionssysteme im Menschen finden kann. Und zwar deshalb nicht, weil jeder Mensch zeit braucht, um verschiedene binäre logiken bedienen zu können. Um von der Form Zahlung/ Nicht- Zahlung zur Form Wahrheit/ Nicht- Wahrheit zu kommen, benötigt man Zeit. Eben weil sich die Logiken nicht synchron (also einheitlich) behandeln lassen können. Das würde einen Mastercode voraussetzen und der ist im Prinzip undenkbar, eben aufgrund der Tatsache, dass die funktional differenzierte Gesellschaft ihre Einheit verloren hat und sich primär über die Differenzen verschiedener Fkt.-Systeme konstituiert

    2) Dasselbe gilt für Organisationen. Und hier im Prinzip noch schlimmer, weil man hier mit dem Argument im Prinzip versucht die Analyseeinheit der Kommunikation durch eine institutionelle Einheit (Organisation) zu ersetzen. Das ist nen Kategoriefehler würde ich sagen. Code- spezifische Kommunikation findet ihre Einheit nicht in der Organisation. Auch diese kann die Kommunikationen nicht einen, wenn man so will. Kommuniziert eine Organisation per Rechtsabteilung befindet sich sich im Code des rechts, zahlt sie ist sie im Code der Wirtschaft usw. Organisationen lassen sich zwar einem „Primärkontext“zuordnen, mehr aber nicht. Auch organisationsspezifische Kommunikation muss sich der Polykontextur verschiedener Logiken beugen.
    Ich würde nicht abstreiten, dass es attraktiv ist, es so zu sehen, aber man handelt sich immense theoretische Inkonsistenzen ein, wie man an Ansätzen sehen kann, die dies versuchen.

    3) Natürlich hat eine politische Kommunikation nicht nur für die Politik Folgen, da stimme ich dir vollkommen zu. Letztlich, und das war ja mein Hauptargument, löst sie das Problem (welches auch immer) durch Externalisierung, also bspw. Gesetze, Richtlinien, Fördergelder usw. Das Problem ist dann erst wieder politisch wenn es neu verhandelt wird

    4) Ich würde nicht behaupten wollen, dass Kopplung unwichtiger ist als Schließung, wie ja auch geschrieben. Ein System das dem reinen Selbstbezug erliegt, würde sich ja ständig tautologisieren. Aber Geschlossenheit ist Bedingung für Offenheit. Nur wenn sich ein Code schließt (also von Fremdreferenzen abschließt), ist es möglich, auf seiner Basis Fremdreferenzen (Kopplung, wenn man so will) wieder einzuschleusen. Politik unter dem Code Regierung/ Opposition ist nur möglich, wenn der Code geschlossen ist, also keine dritten Werte zulässt (quasi tertium non datur). Erst dann lassen sich Drittwerte durch Programme an den Code ankoppeln (also erst dann lassen sich Fremdreferenzen in die Politik unter dem Code einlassen)

    5) Also das ist nur so ein Gedanke, schließlich will ich hier nich noch 10 Seiten schreiben, aber kann es sein, dass du unter der Differenz von symbolischer und realer Politik die Differenz von Zentrum und Peripherie siehst? Dann gebe ich dir Recht!

    6) den wichtigsten Punkt (entscheidet der Politiker oder die Kommunikation) habe ich jetzt zwar ausgelassen, aber dazu schreibe ich mal nen Text… sonst artet das hier aus…

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