REZENSION
Das vorliegende Buch (hier in einer Übersetzung von 1913) verfasste Niccolò Machiavelli im Jahre 1513. Nach falschen Anschuldigungen über eine Beteiligung an einer Verschwörung gegen die in Florenz herrschende Familie der Medici, hatte er sich aufs Land zurückziehen müssen. 1516 widmete er den Text in der Handschrift dem jüngeren Lorenzo de Medici (1492-1519), der gerade Urbino erobert hatte und dort Herzog geworden war. Auch deshalb wurde das Buch oft als Versuch Machiavellis gewertet, sich mit den Medici gut zu stellen und seine gesellschaftliche Stellung wiederzuerlangen.
Der Text selbst liest sich in weiten Teilen wie eine Art ‚Herrschen für Anfänger‘. Machiavelli nennt als Ziel seiner Überlegungen zu erörtern, was Herrschaft ist, welche verschiedenen Arten es gibt, wie sie erworben, erhalten, und weshalb sie verloren wird (S. 12). Anhand zahlreicher, vorwiegend antiker Beispiele versucht er, allgemein gültige Regeln aufzustellen, die es einem Fürsten ermöglichen sollen, erfolgreich zu herrschen.
Das Werk kann grob in drei Abschnitte untergliedert werden: Der erste (Kapitel I. – XI.) geht auf die verschiedenen Arten der Herrschaft und die Mittel, sie zu erlangen und zu behaupten ein. Teil zwei (Kapitel XII. und XIII.) beschäftigt sich mit militärischen Aspekten der Herrschaft, während in den Kapiteln XIV. – XXVI. Machiavellis Beobachtungen bezüglich der notwendigen Eigenschaften eines Herrschers, sowie der Natur der Menschen im Allgemeinen, darlegt werden.
Im ersten Abschnitt unterscheidet Machiavelli im Gegensatz zur antiken Einteilung in sechs Staatsformen (Monarchie, Tyrannis, Aristokratie, Oligarchie, Politie, Demokratie), nur zwei Typen von Herrschaft: Fürstentümer und Republiken, wobei der Hauptunterschied dabei die Zahl der Herrschenden ist. Die Republiken werden nur am Rande erwähnt, da sie bereits in einem seiner anderen Werke, den ‚Discorsi‚, behandelt wurden.
Der ‚Fürst‘ widmet sich ausschließlich Fragen der Alleinherrschaft und unterscheidet zwischen ererbten und eroberten Fürstentümern. Erstere seien leichter zu behaupten, wenn man nur die Einrichtungen der Vorfahren unangetastet lasse. Auch habe man als angestammter Fürst weniger Anlass zur Härte und sei daher beliebter. Wegen der besonderen Herausforderungen, die sich in eroberten Gebieten stellten, räumt Machiavelli ihnen größeren Raum ein.
Es folgt eine Aufzählung von verschiedenen Möglichkeiten zum Fürst eines fremden Territoriums zu werden (durch eigene Tapferkeit; mit fremder Hilfe oder Glück; durch ein Verbrechen oder durch das Volk), und die verschiedenen Schwierigkeiten die sich jeweils daraus ergeben. Aus seinen Beobachtungen schließt Machiavelli auf eine allgemeine Regel: Wer nur unter großen Mühen auf den Thron gelangte, dem wird es leichter fallen, sich darauf zu behaupten. Wem die Ergreifung der Macht jedoch all zu leicht fiel, der wird um so größere Schwierigkeiten haben, sie zu behalten.
Der zweite Abschnitt handelt kurz die militärischen Aspekte der Herrschaft ab. Hauptstützen eines Staates seien gute Gesetze und gute Streitkräfte, und Machiavelli sieht Freiheit und Stärke als sich gegenseitig bedingend an. Nachdem auf Söldner und Hilfstruppen eingegangen wurde (die für unzuverlässig und daher unnütz und gefährlich gehalten werden) kommt Machiavelli zu dem Schluss, dass nur eigene Truppen dazu geeignet seien, Herrschaft dauerhaft zu sichern. Aus diesen Überlegungen schließt Machiavelli, dass keine Herrschaft ohne eigene Waffen sicher steht; eine Einsicht, die sich erst nach dem dreißigjährigen Krieg und mit der Einführung stehender Heere langsam durchsetzen wird.
Im letzten Teil wird das schon vorher aufscheinende negative Menschenbild Machiavellis besonders deutlich. Gerade die hier geäußerten Gedanken dürften den Anstoß für manch eine kritische Beschäftigung mit seinem Werk gegeben haben. Machiavelli vertritt die Meinung, dass ein Fürst „keinen anderen Gegenstand des Nachsinnens haben und sich mit nichts andrem beschäftigen [soll,] als mit der Kriegskunst […]; denn das ist die einzige Kunst, die man von dem, der befiehlt, erwartet.“ (S. 74) Bereits vorher war die Notwendigkeit für jeden Fürsten, neu gewonnene Herrschaft auch mit Gewalt zu festigen, angesprochen worden, da die Menschen gern ihren Herrn wechselten, stets in der Hoffnung, einen besseren zu bekommen.
Diese Gedanken werden aufgegriffen und vertieft wenn Machiavelli schließt, dass ein gutwilliger Mensch notwendigerweise an der Schlechtheit seiner Zeitgenossen zugrunde gehen müsse. Zudem vertritt er die Meinung, dass es sicherer sei, gefürchtet als geliebt zu werden; zumindest wenn nur eines von beidem möglich sei. Eine Grausamkeit zum richtigen Zeitpunkt sei oft humaner als falsch verstandene Nachsicht. Auch an sein Wort brauche man sich nicht gebunden fühlen, „da [die Menschen] nicht viel taugen und ihr Wort gegen dich brechen, so brauchst du es ihnen auch nicht zu halten.“ (S. 87)
Bei all diesen sicherlich kritikwürdigen Punkten ist aber zu berücksichtigen, dass Machiavelli Wert darauf legt, dass Verachtung und Hass zu meiden seien. Denn ein Fürst habe nur zwei Dinge zu fürchten: Im Inneren seine Untertanen und von Außen fremde Mächte.
Der weitere Verlauf des Textes gibt Empfehlungen über den Einsatz von Festungen, darüber, wie Ruhm zu erwerben sei, wie man mit Ministern umzugehen habe, dass Schmeichler zu fliehen seien und betont den Einfluss des Glücks auf menschliche Dinge.
Das Buch beschließt mit einem „Aufruf, Italien von den Barbaren zu befreien“, und gerade in diesem letzten Kapitel drängt sich der Eindruck auf, dass Machiavelli seine allgemeinen Überlegungen dazu nutzen will, sich mit den neuen Machthabern gut zu stellen.
Machiavelli gilt als Begründer der modernen politischen Theorie, und ist in den Werken der politischen Philosophie nach wie vor von höchster Bedeutung. Der größte Teil der sich mit dem ‚Fürsten‘ beschäftigenden Werke war dennoch kritisch (der ‚Anti-Machiavel‚ Friedrich des Großen dürfte hier nur das prominenteste Beispiel sein). Horst Günther sieht in seinem Nachwort in der hier besprochenen Ausgabe einen Grund dafür darin, dass das Buch mehr oder weniger der Gattung der Fürstenspiegel zugerechnet wurde (Günther 1990, S. 154). Von diesen erwartete man aber, dass sie den Fürsten ‚zu christlichem Wohlverhalten, zu Güte und Barmherzigkeit‘ ermahnten, statt die Menschen so zu schildern, wie sie sind. Wer diese Regel durchbrach, verletzte Gefühle und brauchte sich über Opposition nicht zu wundern.
Nach all den Anti-Machiavellismen erlebten die Ideen des ‚Fürsten‘ im 20. Jahrhundert jedoch eine regelrechte Renaissance. Er galt in den 1940er Jahren an Einfluss gewinnenden Realistischen Schule der Internationalen Beziehungen zusammen mit Thucydides, Hobbes u.a. als Vertreter eines ‚historischen Realismus‘ und wurde als Beleg für die Zeitlosigkeit dieser Theorie angeführt.
Betrachtet man den Text unter diesem Gesichtspunkt fällt auf, dass tatsächlich ein Großteil der Annahmen der modernen Realisten schon hier auftauchten. Vom negativen Menschenbild, über die Bedeutung die dem Militär zugemessen wird, bis zum angemahnten Verzicht auf moralische Hemmungen: All diese Überlegungen finden sich so oder ähnlich auch in politischen Theorien der Gegenwart.
Abschließend bleibt jedoch zu beachten, dass man um Machiavelli zu verstehen, stets beide Teile seines Werkes berücksichtigen muss: Neben dem ‚Fürsten‘, „der dem kranken, dem verdorbenen Staatswesen gilt“ (Günther 1990, S. 156), stehen die ‚Discorsi‘. Diesen scheint Machiavelli den Vorzug zu geben (Kailitz 2007, S. 277), und so sind die Ausführungen über den Fürsten wohl vor allem als Lösung für Völker gedacht, die zu verderbt sind, um selbst politisch zu handeln (Günther 1990, S. 157).
‚Der Fürst‘ bleibt auch heute noch selbst für Nicht-Realisten eine gewinnbringende Lektüre. Wenn Günther 1990 noch anmerkte, dass der moderne mitteleuropäische Leser Schwierigkeiten damit haben dürfte, sich in eine Welt von kleinen und größeren Herrschaften hineinzudenken, die „heute Republiken sind und morgen einem Tyrannen huldigen“, und er eine Anwendung der Ratschläge eher im wirtschaftlichen Bereich sah (mit Arbeitskämpfen und Handelskriegen, Leiharbeitern als Söldnerheeren, und dem öffentlichen Dienst als geistlichen Herrschaften), so scheint heute Krieg doch wieder mehr zum Mittel der Politik geworden zu sein.
Auch scheinen einige Warnungen Machiavellis ihre Relevanz zu behalten: So sei die Besatzung eines fremden Landes kostspielig und in jeder Hinsicht schädlich, und sie drohe alle Einkünfte eines Staates zu verschlingen. Ferner werde ein fremder Machthaber, der in ein Land eindringe und gewisse Dinge nicht zu lenken verstehe, rasch wieder verlieren, was er eroberte.
Hier kommen durchaus auch aktuelle Beispiele ins Gedächtnis bei denen es scheint, dass ein vorheriges Studium des ‚Fürsten‘ einige Fehler hätte vermeiden helfen können.
(Tatsächlich waren es auch sich selbst als ‚Realisten‘ bezeichnende Wissenschaftler wie Kenneth Waltz, John Mearsheimer und Stephen Walt, die die US-Regierung davor warnten, 2003 in den Irak einzumarschieren. PDF, S.3.)
Literatur:
Günther, Horst (1990): Nachwort, in: Machiavelli, Niccolò (a.a.O.), S. 149–165.
Kailitz, Steffen (2007): Niccolò Machiavelli, Il Principe, Rom 1532, in: ders. (Hrsg.): Schlüsselwerke der Politikwissenschaft. Wiesbaden: VS Verlag, S. 274–277.
Machiavelli, Niccolò (1990[1532]): Der Fürst. Frankfurt a.M.: Insel.
ISBN: 3-458-32907-2, 7.50 EUR
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