Da wir es hier gerade aktuell haben: Wissensgesellschaft, lebenslanges Lernen, pipapo. Es fällt nicht leicht von den Vorstellungen abzulassen, dass wir alle „Arbeitskraftunernehmer“ sind, geworfen in eine Welt voller Veränderung, die persönliches Engegament und Zukunftsoffenheit von uns einfordert.
Besonders geübt in der Darstellung solcher Weltanschauungen sind Coaches. Ziemlich neu rennen sie seit ca. 20 Jahren von Organisation zu Organisation und belehren die Mitglieder über die Probleme der Moderne und ihre Angebote von angemessenen Lösungen.
Bildung und Fortbildungen im Sinne von Seminaren und Kursen gibt es im Vergleich zum personenzentrierten Beraten, was Coaches auf ihre Fahnen geschrieben haben, schon so lange wie Unternehmen. Neue Entwicklungen in Technik und Organisation müssen natürlich angepasst werden. Alle Mitglieder erhalten Informationsmaterial oder werden in Seminare eingeladen. Richtig ersichtlich ist die Notwendigkeit personenzentrierter Coacherei daher nicht.
Wazu also Coaches? Sollte man den Selbstbeschreibungen trauen? Sollte man ihr Geschwafel überhaupt in Erwägung ziehen, um eine Erklärung zu finden, weshalb Coaching nicht nur Einzug fand, sondern regelrächt boomt?
Unabhänig davon was Coaches sagen, hier ein paar Funktionen und Folgen von personenzentrierter Beratung in Organisationen:
- Durch den Leistungskatalog der Coaches werden Organisationen durch und durch psychologiesiert. Jegliches Problem lässt sich als ein psychologisches Betrachten und entsprechend Therapieren.
- Durch die Psychologisierung wird die Rest-Organisation ausgeblendet. Programm und Kommunikationswege der Organisation spielen beim Coaching keine Rolle. Allein die Personen sind für Coaches von Belang. Alle Probleme, auch in Organisationen, deren Beschreibung als „Bürokratiehölle“ legendär ist, sind daher Führungsprobleme.
- Organisationen die Probleme personalisieren, entlasten durch diese Problemzurechnung ihre eigene Struktur.
- Das gelingt ihnen besonders gut, da sie beim Coaching auf die Vertraulichkeit verweisen können.
Der Mechanismus: (1) Coaches bieten Problemlösungen an, (2) Organisationen wird es ermöglicht, ihre Probleme zu benennen (da nicht sie die Lösung finden müssen, sondern der Coach das regelt), sie müssen aber personalisierbar sein. (3) Organisationen und Coaches vereinbaren ein Coaching, ein Mitglied der Organisation wird ins Coaching entsandt. Er befindet sich nun in einem „Exil“, er selbst muss nun mit dem Coach eine Lösung für das benannte Problem finden, (4) Der Coachee kommt zurück in die Organisation und muss die Lösung prässentieren. Falls die Organisation mit dem Ergebnis des Coachings nicht zufrieden ist, kann sie darauf verweisen, dass sie eine Lösungsstrategie (das Coaching) gewählt hatte, gleichzeitig kann sie sich aber von jeglicher Verantwortung befreien, schließlich fand das Coaching vertraulich statt, die Organisation durfte sich also gar nicht einmischen.
So einfach ist es mittlerweile ein Bauernopfer zu kreieren. Es gibt bekannte Fälle in denen Firmen ganz offen sagen: „Wer mit seiner Führungsrolle nicht klarkommt, bekommt von uns Coaching finanziert. Falls das auch nach dem zweiten Mal nicht klappt, müssen wir uns von dem Mitarbeiter trennen“. Misere komplett.
Eine ausführliche soziologische Studie zu diesem Thema, geschrieben von Christian Gediga und mir, findet sich hier.
Den Bericht werde ich mir morgen mal zu Gemüte führen. Ich mach ja derzeit in Berufsbildung und du wirst nicht glauben, was auch in Aus- und Weiterbildung für ein Organisationsvodoo betrieben wird. Insofern sind diese Dinge nicht einfach so legitim, wie es in einem Nebensatz bei dir anklingt. Da wird in nächster Zeit noch einiges von mir zu lesen sein, weil ich es ja irgendwie verarbeiten muss. Vielleicht wird sogar eine Diplom-Arbeit daraus. Aber das entscheidet sich noch…
[…] executive Coaching fällt mir kein soziales Phänomen ein, dass in seinem Sinne ähnlich kontraproduktiv ist, wie das […]