Die Gunst der öffentlichen Meinung zu haben, ist für alle Organisationen, seien sie politisch oder andersweitig aktiv, von enormer Bedeutung, sofern sie nicht nur öffentlich auftreten, sondern ihre Entscheidungen auch öffentlich rechtfertigen müssen. Parteien und Verbände sind dabei besonders gefordert, sich mit der öffentlichen Meinung und ihrer gekonnten Beeinflussung auseinanderzusetzen. Für öffentlichkeitswirksame Organisationen steht und fällt ihr Erfolg häufig mit der Anerkennung ihrer Entscheidungen durch die Öffentliche Meinung zusammen. Daher wundert es nicht, dass Theo Zwanziger foldenden Satz zum Credo der Öffentlichkeitsarbeit des DFB gemacht hat:
“Wenn sie die Kommunikationsherrschaft nicht haben, sind sie immer Verlierer.”
Nur leider lässt sich die öffentliche Meinung nicht so leicht beeinflussen, was vor allem daran liegt, dass es sich hier um ein prinzipiell unabgeschlossenes Konglomerat öffentlicher Kommunikation handelt, die nach einer Eigenlogik operiert und sich nicht linear-kausal steuern lässt. Die Eigenrationalität und Eigenständigkeit öffentlicher Meinungsbildung wird durch das Internet noch einmal verstärkt, was am jüngsten Beispiel einer Auseinandersetzung zwischen DFB und dem freien Sport-Journalisten Jens Weinreich deutlich wird.
Ein kurzer Abriss des aktuellen Falls: Jens Weinreich nennt Theo Zwanziger in einem Blog-Kommentar einen „unglaublichen Demagogen“. Dieser Kommentar wird in einer vielgelesenen Presseschau veröffentlicht und einer Vielzahl von Lesern zugänglich gemacht. Der Multiplikationseffekt hat zur Folge, dass der DFB diese Aussage registriert und eine Unterlassungsklage einreicht. Zweimal unterliegt der DFB vor Gericht. Theo Zwanziger Interpretation des Demagogen als „Volksverherhetzer“ wird vom Gericht nicht geteilt. Um „Kommunikationsherrschaft“ bemüht, verfasst der DFB eine Presseerklärung und versendet sie an einen illustren Kreis von Politikern und Funktionären. In dieser Pressemitteilung wird der Sachverhalt ziemlich einseitig dargestellt, man könnte sagen verdreht. Eine Übersicht des kompletten Falls dokumentiert Jens Weinreich in seinem Webweiser. Grafisch sieht das ganze derzeit so aus:
Ohne hier in die kleinsten Details einzugehen und ohne die nötigen und gerechtfertigten Kritikpunkte am Vorgehen des DFB noch einmal zu wiederholen (denn das lässt sich alles im Webweiser nachlesen), möchte ich auf einen soziologisch interessanten Aspekt hinaus: Dieses Beispiel zeigt, dass die Planbarkeit von Kommunikation durch das Medium Internet auf neue Voraussetzungen stößt und mit hergebrachten Methoden nicht mehr zu bewerkstelligen ist.
Die Planbarkeit von Kommunikation ist von jeher – und in einer funktional differenzierten Gesellschaft erst recht – im höchsten Maße eingeschränkt. Denn das Prinzip der Kommunikation beruht im Dreischritt von Information – Mitteilung – Verstehen. Und erst wenn die mitgeteilte Information verstanden wird, kann man von Kommunikation sprechen. Kommunikationsherrschaft im Sinne Theo Zwanziger bedeutet vor allem die Deutungshoheit des Verstehens von Information und Mitteilung inne zu haben. Traditionelle Lobby- und Pressearbeit von öffentlichkeitsabhängigen Organisationen wie dem DFB sieht in der Regel so aus, dass vor allem die traditionellen Massenmedien (Presse, Funk, Fernsehen) so in ihrer Berichterstattung beeinflusst werden, dass ein gegenüber den Entscheidungen und „Verstehens-Leistungen“ des DFB unkritische Multiplikationsleistung in der öffentlichen Meinung stattfindet. Dazu ist ein Netzwerk von Gefälligkeiten abhängiger Berichterstatter und Redaktionen notwendig, über welches eine gut vernetzte Öffentlichkeitsabteilung verfügen kann und muss. Damit ist zwar nicht gewährleistet, dass tatsächlich eine Einheitsmeinung in der Berichterstattung und daraus resultierend in der öffentlichen Meinung herrscht. Die Wahrscheinlichkeit ist dennoch groß, weil eben für ein alternative Agenda-Setting kein Raum besteht und gegenläufige Meinungen und Berichterstattungen gegenüber dem Mainstream begründungsnotwendig werden. So kann ein gut organisierter Verband wie der DFB zwar nicht undbedingt im Sinne kausalen Durchgriffs über die öffentliche Meinungsbildung herrschen, aber dennoch wird es ihm gelingen, in einer Mehrheit der Themen die eigene Position deutlich und überwiegend zustimmend in der öffentlichen Meinung zu platzieren.
Der Fall Weinreich zeigt allerdings, dass die Beeinflussung traditioneller Massenmedien nicht immer ausreichen kann, um die Kommunikationsherrschaft sicher zu stellen. Denn es ist zu beobachten, dass der DFB ein grandioses Eigentor geschossen hat und derzeit versucht, einen größeren Schaden vom Verband und der Person Theo Zwanziger abzuwenden. Der Versuch, die Kommunikationsherrschaft auch in diesem Thema an sich zu reißen, ist gescheitert und wurde zum Boomerang für den DFB, sodass sie die Wucht ihrer eigenen Interventionen derzeit selber spüren müssen. Verantwortlich dafür ist ein kommunikationspraktisches Paradox. Der DFB woll seine Aufrichtigkeit beweisen und zeigen, dass er über die einzig richtige Interpretation des Falls verfügt. Die Aufrichtigkeit macht er dabei kommunikativ selbst zum Thema.
Geht es um die umfassende Information der Öffentlichkeit über die eigenen Motive des Handelns, zeigt Luhmann (2003: 165f), dass die Organisationen zwangsläufg in ein Darstellungsproblem geraten, sobald sie den Versuch unternehmen, ihr eigenes Operieren vollkommen transparent nach außen zu tragen. Erstens steht der DFB vor dem Problem, dass es schlichtweg nicht möglich ist, Aufrichtigkeit zu kommunizieren. Daher ist es auch nicht möglich durch solch ein Vorgehen das Vertrauen zu erhöhen. Man mag zwar meinen, dass man durch umfassende Information über Entscheidungsprozesse Vertrauen gewinnen könnte. Aber man muss sich dann fragen, wozu Vertrauen überhaupt nötig ist, wenn alles offen liegt und nichts verschwiegen wird. Man wird dann eher vermuten, dass die Forderung nach umfassender Information aus einem Mangel an Vertrauen resultiert!
Ein Mehr an Information bedeutet ein Mehr an Kommunikation, was die Vertrauenslage aber nicht beeinflussen kann, da eine Kommunikation immer die Möglichkeit der Ablehnung beinhaltet. Mehr Kommunikation bedeutet also nicht automatisch höhere Annahmewahrscheinlichkeit, sondern quantitativ mehr Möglichkeiten der Ablehnung. Und verschärfend kommt hinzu, dass forcierte Kommunikation (in diesem Falle: Informieren und Richtigstellen) den Verdacht gegen denjenigen erweckt, der sich so bemüht. Man bewegt sich während des forcierten Informierens in einem Terrain, in dem man vieles falsch machen kann und weniges richtig (wenn überhaupt). Das gilt soweit für beide Parteien des Konflikts. Der Grund für den Umschwung gegen den DFB liegt an einem weiteren Punkt. Denn bei forcierter Kommunikation stellt sich im der überall lauernde Motivverdacht, da die Manöver der Partei von den Mitgliedern und anderen Beobachtern beobachtet werden. Diese können dabei spezifisch nach Motiven unterscheiden und entsprechend auch andere Motive als die Darstellung transparenter Entscheidungsprozesse unterstellen. Durch Kommunikation wird nun ein universeller, unbehebbarer Verdacht frei, der gerade durch jedes Thematisieren und Beschwichtigen nur neuen Verdacht freisetzt. Der DFB kann daher auch keine Transparenz kommunizieren, da sie durch Kommunikation selbst intransparent wird. Wer betont, dass alles offen liegt, oder jedes Detail einsehbar ist, macht dadurch die andere Seite dieser Unterscheidung (offen/geschlossen, einsehbar/versteckt) sichtbar und erweckt dadurch Zweifel. Somit ist das Problem des Motivverdachts nicht dadurch zu lösen, dass Motive kommuniziert werden (vgl. Luhmann 1987: 207ff.).
Wie schon gesagt, könnte man meinen, dass der Boomerang eher auf Weinreich zurückfallen müsste, weil er den Versuch der Transparenz am deutlichsten betont. Allerdings sind seine Bemühungen um Transparenz jeweils als kommunikative Anschlussakte an Entscheidungen des DFB (Klage, Presseerklärung, Interviews) zu sehen. Er selbst tritt nur einmal als Initiator auf, wenn er als ersten Schritt den vom DFB beantstandeten Kommentar verfasst. Danach kann er sich erfolgreich als David im Kampf gegen den übermächtigen Goliath inszenieren. Wer nun dem Internet und im Speziellen den Blogs den Erfolg des Weinreich-Auftritts zurechnet und sich darüber freut, dass das Zeitalter neuer Medien zu einer Demokratisierung unserer Gesellschaft und der öffentlichen Meinungsbildung führt, der liegt mit seiner Interpretation der Sachlage falsch.
Ohne die Blogs von Jens Weinreich, Stefan Niggemeier und Oliver Fritsch wäre die Sache sicher nicht so schnell ins Rollen gekommen. Dennoch ist der Erfolg von Jens Weinreich in der Darstellung seiner Position in der öffentlichen Meinung in erster Linie dem Umstand geschuldet, dass es sich bei den drei genannten um anerkannte und vor allem um bestens vernetzte Journalisten handelt, die ihre Netzwerke für sich ins Spiel gebracht haben. Die öffentliche Darstellung der eigenen Positionen in den eigenen Blogs hat den Vorteil, dass eine umfassende Information und Darstellung relativ problemlos möglich wird. Dass aber Journalistenverbände aktiv werden, internationale Medienberichterstattungen zum Fall entstehen und damit ein Druck gegenüber dem DFB aufgebaut werden kann, das liegt eben erstens daran, dass professioneller Journalismus sich auch dadurch auszeichnet, für den eigenen Standpunkt werben zu können und zweitens sind die plumpen Vorlagen des DFB einfach bestens dazu geeignet gewesen, die Stimmung kippen zu lassen. Die Kontexte der Kehrtwendung gegen den DFB sind in diesem Fall deutlich wichtiger als die medialen Bedingungen in Form von Blogs.
Trotzdem wird es spannend sein, ob und wie der DFB dieses Eigentor in der zukünftigen Ausrichtung seiner strategischen Öffentlichkeitsarbeit miteinbezieht. Wird es künftig Blogger auf der Payroll des DFB geben, um ggf. in der Blogosphäre Einfluss zu nehmen? Ich denke nicht. Vielmehr ist es denkbar, dass der DFB sich an bestimmte, einflussreiche Blogger wenden wird, um sie mit Gefälligkeiten zu einer DFB-konformen Berichterstattung zu motivieren. Dafür könnten exklusive Materialien und Informationen, Einladungen, etc. sorgen. Und wer würde soetwas ablehnen? Viels Sport-Blogger wären wohl dabei und würden sich hinterher wundern, was von ihnen erwartet wird, wenn es zum Fall der Fälle käme.
Kommerzielle Organisationen wie z.B. Sportartikelhersteller machen das schon länger. Vor dem vergangenen Wochenende wurde einer Vielzahl von Bloggern ein (Werbe-)Produkt-Video zur Verfügung gestellt, das Riberys rosa Schuhe zum Thema hat. Bis auf Premiere (was ein ganz anderes Thema ist!) ist aber kaum jemand auf den Zug aufgesprungen. Blogger eigentlich überhaupt nicht. Das ist kein Einzelfall. Als Autor eines Hertha-Blogs bekomme ich auch häufig solche „Hinweise“. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der DFB diese Methode adaptieren wird, denke ich.
Nachtrag zur Literatur:
Luhmann, Niklas (1987): Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie (2. Auflage 1988). Frankfurt a. M.
Luhmann, Niklas (2003): Soziologie des Risikos. Berlin, New York.
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