Dieser Text „Sozialhilfe auf fünf Jahre begrenzen“ von Gunnar Heinsohn ist etwas merkwürdig. Ich hab ihn zuerst überflogen, dachte mir dabei, es sei wohl wieder so ein Text der eine dieser Feuilleton-Debatte anschieben soll, sofern DIE ZEIT noch weitere Moralprofessoren in der Hinterhand hat, sah dann jedoch, dass es ein Beitrag von Gunnar Heinsohn ist und las ihn nochmal gründlicher.
Naja, vielleicht gibt es noch einen zweiten Gunnar Heinsohn. Dem den ich bisher kannte, hätte ich solche Sätze nicht zugeschrieben:
Die deutsche politische Führung scheint fest entschlossen, weiter auf dem erfolglosen, immer teurer werdenden Weg der verfehlten Einwanderungs- und Sozialpolitik zu gehen.
Solange die Regierung das Recht auf Kinder als Recht auf beliebig viel öffentlich zu finanzierenden Nachwuchs auslegt, werden Frauen der Unterschicht ihre Schwangerschaften als Kapital ansehen.
Naja.
Die zentrale Aussage des Textes ist: Der deutsche Sozialstaat fördert zu viel ungebildeten und kriminellen Nachwuchs. Dieses Problem wird weder durch die Sozialpolitik, noch durch die Einwanderungspolitik behandelt. Die „Leistungs“-„Elite“ dünnt aus, 2060 wird es in Deutschland nur noch 65 Millionen Menschen geben, davon weniger als die Hälfte im produktiven Alter und viele aus der Gesellschaft abgemeldet. Und Deutschland solle sich ein Vorbild an Clintons Amerika nehmen. Dort hatte man ein ähnliches Problem und hat es gelöst.
Ich glaube ja, man kann weder Deutschland mit den USA vergleichen, vor allem nicht sozialpolitisch oder kulturell, noch irgendeine Aussage über das Jahr 2060 machen. Es sei denn, man beachtet auch die 2.7 Mrd. Toten des dritten Weltkriegs nach 2035 und die Entdeckung des Triliciums, das alle Energieprobleme löst aber die Welt ab 2045 von Afrika abhängig macht. Aber das soll nicht die eigentliche Kritik am Text sein.
Viel wichtiger scheint zu sein, dass heute schon abzusehen ist, dass die gesellschaftliche Isolation ganzer Bevölkerungsteile kein individuell schwerwiegendes Problem mehr ist. Mit Hartz-IV kann man sich sein Leben einrichten. Insbesondere wenn man seinen Medienkonsum einstellt, sich also nicht mehr von dem Leistungsgeschwätz verunsichern lässt, kann man ein zufriedenes Leben führen. Vor 60 Jahren war Lebensqualität noch eine Kostenfrage, das hat sich radikal geändert. 2009 war das Jahr, in dem die Höhe der Technik, das iPhone, von jedem bezahlbar war und ein Milliardär aus Lebensunlust vor einen Zug sprang. Das ist eine soziale Wirklichkeit die zu kaum einer aktuellen, vor allem nicht massenmedial-politisch propagierten, Ideologien passt.
Deutlich wird dies auch beim Teilproblem Bildung. Seit 5-10 Jahren gibt es grundlegende Verschiebungen in Deutschland. Es zählt nur noch das Abitur. In meiner Heimatstadt Jena werden selbst Backwarenfachverkäufer(innen)-Bewerbungen mit Abizeugnis bevorzugt. Politiker stellen sich die Frage, warum Haupt- und Realschüler so früh aufgeben, schon ab der 8 Klasse auffällig werden und ab der 9 kaum mehr Unterricht durchführbar ist. Die Antwort ist so einfach: Weil es für diese Schüler in der Schule nichts zu holen gibt. Der Unterschied Hartz-IV und Backwarenfachverkäufer ist so gering, er rechtfertigt fast keine Anstrengung – eine die zum Abitur führt keinesfalls.
Das Problem der Einhaltung des Lohnabstandsgebots kann nun dahingehend behandelt werden, dass man Hartz-IV absenkt. Die Folgeprobleme sind dann: weniger Konsum, mehr Kriminalität und vielleicht auch die brisante Aussicht, dass sich Hartz-IVler irgendwann mehr als nur in vereinzelten kriminellen Vereinigungen organisieren. Auch Gunnar Heinsohn, der die Forderung in der FAZ-Überschrift nicht expliziert, bleibt bei einer Problembeschreibung und bietet keine praktische Lösung an.
Es könnte aber eine darin liegen: 1. Einsicht, das „Leistung“ die sich eine „Elite“ gern auf die Fahne schreibt kein menschliches Phänomen mehr ist. Roboter bauen die Güter, Maschinen transportieren sie, Computer planen sie. 2. Die Gesellschaft 2010 ist keine Arbeits- sondern eine Konsumgesellschaft. Wenn Arbeitslohn zu 100% dem Arbeiter zugutekommt und erst der Konsum mit, sagen wir, 50% besteuert wird – dann wird die soziale Wirklichkeit wieder auf die Füße gestellt. (Die Konsumgüter würden dadurch kaum teurer, die Steuer- und Abgabenlast verlagert sich nur von Herstellung auf Verkauf. (Jaja, Binnenmarkt, Weltmarkt, unrealistisch…))
Die Beschreibung der Gesellschaft hängt der sozialen Wirklichkeit der Gesellschaft stets Jahre bis Jahrzehnte hinterher. Und: Die meisten Beschreibungen der Gesellschaft sind generalisierende Beschreibungen politischer oder wirtschaftlicher Phänomene und in dieser Form für kaum etwas zu gebrauchen. Gunnar Heinsohn ist ein kluger Mann, er ist einer der wenigen, die ihrem Fach ein Standardwerk vorgelegt haben. Aber dieser Text in der FAZ, seine Argumentation, seine Grundlagen, seine Mathematik, seine vorsichtig angedeuteten Lösungen für das was er als Problem beschreibt – sind nichts wert. Geradezu sinnlos. (Aber DIE ZEIT wird wieder darauf reinfallen und überdreht zurückschießen.)
(Bild: Jeezny)
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