Stottern im Maschinenraum, Captain gefordert

Ich habe heute Michael Ballhaus in einem kurzen Interview gesehen. Er äußerte sich besorgt über das moderne Kino. Nachdem alle technischen Gestaltungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien, kann man „die Menschen nicht mehr überraschen, weil sie wissen, dass alles möglich ist.“ Er ist an dieser Stelle ganz Kameramann, denn was für den Filmingenieur ein Problem darstellt, ist für den Regisseur eine willkommene Herausforderung – die Gestaltungsmöglichkeiten sind nämlich noch längst nicht erschöpft. Gerade die ausgereifte technische Raffinesse bietet das sichere Fundament für ganz neue Spielereien mit den Möglichkeiten der Drehbuch- und Schauspielarbeit.

Irgendwie so ist es auch mit der Wirtschaft der Gesellschaft. Es entsteht eine Technik, die geplant, entwickelt und gezielt eingesetzt wird – etwa die politische Erfindung einer Zentralbank, die jeglichen Zahlungsverkehr abwickelt bzw. registriert und dadurch die Übersicht behält – zusätzlich finden auch Spontanitäten und Zufälle ihren Weg, werden erprobt, tradiert und in den Katalog der akzeptierten Techniken aufgenommen. Und wenn die Technik steht, geht die Spielerei mit den Möglichkeiten los.

Der Begriff Technik ist an dieser Stelle so grundlegend wie möglich verwendet. Er meint nur: Vermeidung von Bewusstsein. „Technik“ bezeichnet das bloße Prozessieren von Inhalt mithilfe einer Maschine, die sich für den Inhalt überhaupt nicht interessiert. Diese Maschine kann an sich unendlich kompliziert (aber nicht komplex) sein – sie zeichnet sich allein dadurch aus, dass sie immer nachvollziehbaren und vorhersehbaren Regeln folgt.

Die Wirtschaft der (aktuellen) Moderne beruht auf zwei derartigen Techniken. (1) Dem Vertrauen in Personen und Institutionen und (2) der Computertechnologie, die den mittlerweile beinah vollständig bargeldlosen Zahlungsverkehr abwickelt. Beide Technologien stützen sich gegenseitig. Denn seit Geld nicht mehr ein stets manifestierbares Äquivalent zu Gold darstellt, ja nicht mal mehr als Schein, der materiellen Mindestanforderung, verwendet wird, hat es einen Grad an Flüssigkeit erreicht, die man nur noch mit entsprechender Computerpower nachvollziehen und absichern kann. In Echtzeit beobachten lassen sich die EC-Karten-Bezahlungen und HF-Aktienabwicklungen schon seit Jahren nicht mehr. Aber, bei Bedarf, nachträglich nachvollziehen.

Weil dies so ist und ein Kontoauszug nie unaufklärbare Einträge hat, akzeptieren wir die Technik, ohne sie zu kenne, ohne zu wissen, wie sie im Einzelnen funktioniert, und lassen das Geld vertrauensvoll fließen, wie es noch nie zuvor geflossen ist. Dank dieser Möglichkeiten kann in fast jeder Situation Geld verwendet werden. Es muss weder jetzt noch hier vorhanden sein – eine Kreditkartennummer und 15 Sekunden genügen und ein Geschäft kommt zustande. Erst Abwicklung, dann Aufarbeitung. Man kann stets darauf vertrauen, dass bekommenes Geld auch später noch seinen Wert hat. Der Zahlungsakt benötigt keine personale Autorität – der Wert des Geldes steckt komplett im Geld selbst.

Je schlüssiger diese knappe Beschreibung erscheint, desto besorgniserregender sind zwei Meldungen des heutigen Tages. Denn beide wirtschaftlichen Basistechniken zeigten heute Stottererscheinungen. Zum einen scheint die Computertechnik in einem nicht unwichtigen Teil manipulierbar zu sein. Zum anderen scheint das Vertrauen in die Institutionen erheblich zu schrumpfen. Es sieht so aus, als konkretisiere sich allmählich die Erwartung, dass Geld, das per „Quantitative Easing“ (zu Deutsch „Umfassender Schlendrian“) ohne produktiven Rückhalt per Staatsinvestition in den Wirtschaftskreislauf eingeführt wird, zwar was wert ist – den Gesamt-Geld-Kuchen aber nicht vergrößert sondern nur verwässert. Staatsschuldscheine (in dem Fall die der USA) sind eine Währung (wenn auch nicht für den alltäglichen Zahlungsverkehr geeignet) und man geht davon aus, dass ihr Wert in naher Zukunft, man kennt sogar den Termin (30.06.2011), rapide schrumpft.

Wenn die Attraktivität einer Währung so vorhersehbar leidet, ist die Liquidität ernsthaft in Gefahr. Mit einer Inflationsrate kommt man noch klar. Sie motiviert nur, Geld möglichst schnell wieder loszuwerden. Doch wenn Wertverlust politisch terminiert wird, wie in den USA durch das Ende der zweiten „Quantitative Easing“-Aktion, dann will man eine Währung nicht nur schnell loswerden, sondern möglichst gar nicht erst haben.

Diese Analyse ist sehr oberflächlich aber es lässt sich pointiert vermuten, dass, im Rahmen der technischen Möglichkeiten, zuletzt einfach zu viel mit den Möglichkeiten gespielt wurde. Je nachdem, wie der Finanz-„D-Day“ im Juni verläuft, könnte es sein, dass wieder einmal, und diesmal ernsthaft, über Technik nachgedacht werden muss. Das Prinzip der Zentralbank, der Goldstandard, die Regulierung von Wechselkursen, das Austauschen von Währungen, auch Planwirtschaft – all dies geht auf jeweils politische Basteleien an der Technik zurück, die hin und wieder notwendig sind, auch wenn viele Spieler protestieren. Sorgen braucht sich aber eigentlich niemand zu machen – denn wenn es ein unveränderbares Naturgesetz gibt, dann das: Profit wird immer gemacht, auch wenn man erst neu lernen muss wie.

(Bild: Ich selber)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

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