Die Atomkraft-Diskussion hat erfreulicher Weise wieder Fahrt aufgenommen. Durch die neuen Gewissheiten, was alles nicht nur als Möglichkeit, sondern inzwischen als harte Realität anzusehen ist, ist es sogar gelungen, das Sicherheitsgefasel vorläufig oder endgültig ad absurdum zu führen. Das ist ein erster Punktsieg – es geht jetzt um das Risiko.
Allerdings dreht sich die Diskussion nun um die Idee eines „Rest-Risikos“, so war es heute vor allem in Bundesrat zu hören und es ist zu befürchten, dass diese Idee die kommende Debatte dominiert. Die Politik hat nämlich, in welcher strategischen Absicht auch immer, eine semantische Nebelkerze geworfen, deren Verblendungspotenzial auf drei Säulen beruht: „Rest-Risiko“, „politisches Moratorium“ und „technische Überprüfung“.
Diese Ideen beschäftigen nun die Debatte, versperren allerdings den Blick auf das Wesentliche. Denn die Verschiebung des Fokus von Sicherheit auf Risiko, also die Beibehaltung der bisherigen Idee der Unterscheidung von Risiko und Sicherheit, die zwar semantisch tragbar aber ohne strukturelles Fundament ist, wird nichts Neues zutage fördern.
Wichtig wäre, sich von der Idee der Sicherheit komplett zu verabschieden und anzuerkennen, dass jegliche Entscheidungen in eine unbekannte und folglich unsichere Zukunft hineinreichen. Dazu ist es notwendig, einen neuen Semantikapparat zu installieren und den alten zu den Akten zu legen. Im Einzelnen:
1. „Rest-Risiko“ impliziert die Idee, dass man Risiken erkennen, also Entscheidungsfolgen antizipieren, könne und jetzt schon Vorsorge für spätere Nebenfolgen betreiben kann. Der Versuch besteht darin, das Risiko mit der Zielsetzung Sicherheit zu minimieren. Das Problem: Was in der Zukunft geschieht, kann nicht prognostiziert, sondern nur geahnt werden. Der Zukunftsentwurf ist dabei ein prozessuales Ergebnis kommunikativer und kognitiver Leistungen, das sich auf Erfahrungen, Vergleichsmöglichkeiten und Vorstellungen stützt – aber zwangsläufig nicht auf Realität.
2. Ein „politisches Moratorium“ impliziert die Idee eines Innehaltens – eines Aussetzens, als könnte man den Lauf der Dinge anhalten, nur weil man selbst etwas anderes oder nichts tut. Diese Idee der Pause ist mit Bezug auf Atomkraft besonders lächerlich, weil dies wohl die einzige Technologie ist, die es nicht zulässt innezuhalten. Atomkraft zwingt zum ständigen Handeln und lässt ein Moratorium überhaupt nicht zu: Ein Brennstab folgt den Gesetzen der Physik und verbrennt, ganz egal welche politischen Realitäten und reflektierenden Einsichten sich um ihn herum abspielen.
3. Eine „technische Überprüfung“ der Atomkraftwerke impliziert die Idee, es könne dem Risiko Atomkraft mit Technologie beizukommen sein. Dies ist ein gravierender Denkfehler, der sich zudem in jedes weitere Argument vererbt. Das Risiko des Atomkraftbetriebs ist nicht, dass involvierte Menschen oder Technologien versagen können und es deshalb zum Unfall kommt. Das Risiko ist vielmehr, dass es überhaupt zu solch einem katastrophalen Unfall kommen kann – wir aber gerade nicht wissen, wie er ausgelöst wird. Eine technische Überprüfung der Atomkrafttechnik kann den engen Korridor des bestehenden Wissens nicht sprengen – aber es kommt gerade auf das Nicht-Wissen an, wenn es um das Risiko geht.
Wenn von Risiko gesprochen wird, geht es nicht um einen letzten Rest bis zur Sicherheit, sondern es geht um den Gegenbegriff zur Gefahr. Gefahren gehen in erster Linie von der Natur aus. Durch Technologie kann man die Gefahr beherrschen indem wir sie in Risiko verwandeln – wer sich ein Haus baut, mindert die Gefahr durch Wetter zu erkranken, erzeugt jedoch das Risiko, vom Dach erschlagen zu werden, wenn der Wind stärker weht, als er erwartet hatte. Umso mehr Technologie aufgewendet wird, um natürlichen Gefahren zu entgehen, desto größer wird das Risiko, Opfer der eigenen Entscheidungen zu werden.
Das bedeutet, kurzgefasst: Erst durch Technologie gibt es überhaupt Risiken und komplexere Technologien bedeuten größere Risiken. Technologie ist nicht in der Lage Sicherheit herzustellen, sondern aus unkontrollierbaren Gefahren kontrollierbare Risiken zu machen.
Die aktuelle Frage ist also nicht: Können wir die Sicherheit in den bestehenden Atomkraftwerken verbessern? Sondern: Können wir die gesellschaftliche und technologische Kapazität bereitstellen, einen geschehenen Super-GAU abzuwickeln? Das ganze Risiko der Atomkraft steckt in dieser Frage. Wenn man sie mit Nein beantwortet, muss man die Atomkraft seinlassen. Wenn man sie mit Ja beantwortet, sollte man mit dem Atomkraftwerk bereits Friedhöfe und Ausweichstädte bauen.
Die Frage unbeantwortet zu lassen und es darauf ankommen zu lassen, ist schlicht dumm. Die Frage spät zu stellen ist auch dumm, allerdings nicht so dumm, wie sie zu spät zu stellen!
(Bild: avyfain)
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