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Als wir vor etwas mehr als drei Jahren hier angefangen haben, war die Idee ziemlich einfach. Wir wollten die Diskussionen aus unseren Uniseminaren konservieren und fortführen. Tatsächlich umgesetzt haben wir dann aber die noch viel einfachere Idee: Jeder schreibt einfach wann und was ihm beliebt. Das, was in Uniseminaren nicht geht und wofür man auch die ganze Härte eines Bielefelder Soziologiekolloquiums kassiert, hat sich als zentrale sozialtheoristische Idee herausgeschält: Beliebigkeitssoziologie. Oder wie Klaus Kusanowsky es neuerdings in anderem Kontext nennt: Assoziologie (es geht ums Assoziieren, nicht um Asozialität). Die Definition dessen ist recht einfach. Es geht darum, ein tagesaktuelles oder anders interessantes einzelnes, empirisches Phänomen, meistens eins das bereits massenmedial beobachtet wird, zu nehmen und es mit soziologischer Theorie zu konfrontieren. Eine Voraussetzung dafür ist die gründliche Theorieauslegung, doch genau das sollte nicht gleich übertrieben werden. Zumindest fehlten in meinen Texten immer die Quellenverweise und absoluten theoretischen Rückversicherungen. Denn zentral stand ein ganz anderes Anliegen: das Argumentieren einer Perspektive, die durch den Text allein anschlussfähig ist. Auch wenn es sich anders liest, genau dieses lockere Herunterschreiben, bei dem man sich an Lektüre erinnert, aber nicht zur Suche nach Seitenzahlen verpflichtet ist, stellte sich letztlich als extrem entspannend heraus. Zumindest kann ich sagen, das Füllen dieser Internetseite hat mir immer mehr Spaß gemacht. Ich würde fast sagen, am Ende ging es nur noch um die Freude – auch wenn die Themen anderes zeigen.
Freude auch deswegen, weil die Resonanz auf die Texte stetig zunahm. Je nach Thema ergaben sich immer wieder interessante Episoden, die die Sozialtheoristeninhalte in einen weiteren Diskussionszusammenhang stellten. Ganz zentral ist hier Klaus Kusanowsky zu nennen. Insbesondere, weil er häufig direkt antwortete, die Problemstellungen unterstützend aufgriff und doch inhaltlich stets im Widerspruchsmodus blieb. Sebastian Plönges bildet den zweiten Eckpfeiler. Man liest von ihm manchmal wochenlang nichts, doch dann ist er plötzlich da und kommentiert auf den Punkt. Die restlichen hin-und-wieder-Verlinkungen wurden, mir zumindest, immer weniger wichtig. Im März hatte mal das Bildblog einen Text verlinkt, daraufhin kamen beinah 2000 Besucher und gingen auch wieder. Meine Privatmeinung zu den Privatmeinungsverlinkungen breite ich an dieser Stelle nicht noch einmal aus.
Das sozialtheoristische Zwischenfazit läuft auf zwei Aussagen hinaus: 1. Das Internet bietet zu wenig Widerstand. 2. Das Resonanzpotenzial des Internets enttäuscht mich geradezu. (Ich hoffe, es ist an dieser Stelle klar, dass es sich im Folgenden um kein sozialtheoretisches, sondern ein sozialtheoristisches also beinah biografisch-privates Fazit handelt.) Zu 1. Ich habe lange überlegt, wie ich das mit dem konstruktiven Widerstand und dem Internet in Worte fasse, als ich eine gute Formulierung hatte, geschah Google+ und wir wundern uns gerade, weshalb plötzlich so disziplinierte Diskussionen möglich sind. Vielleicht hat Kathrin Passig recht, die die Ursache dessen im Initialisierungswunder sieht, vielleicht habe ich recht und das Potenzial für gute Diskussionen lag die ganze Zeit unter dem Technikwirrwarr vergraben, den Google nun abgetragen hat. Je nachdem, falls ich recht habe, habe ich mit Folgendem unrecht: Im Internet kann man keinen konstruktiven Widerstand aufbauen, es sei denn, man behilft sich mit Unhöflichkeit, lenkt so aber von der sachlichen auf die soziale Ebene. Ein eigentlich kaum auflösbares Problem. Dazu erstmal keine weiteren Worte, es muss abgewartet werden. Zu 2. Das Thema Resonanz hat ein wenig mit dem Widerstandsproblem zu tun. Hier kann ich meine Ansicht aber genauer fassen, weil auch Google+ da scheinbar nicht aushilft. Mit den Sozialtheoristen war nie die Resonanz zu erzeugen, wie ich sie mir idealtypisch wünschte. Anfangs haben wir Autoren uns gegenseitig die Texte kommentiert, doch das wurde uns schnell zu mühselig (im Vergleich zum üblichen Gespräch am nächsten Tag). Als die Seite etwas mehr Leser bekam, stieg die Anzahl der Kommentare. Doch die Texte, die mir selbst am wichtigsten waren, blieben beinah ausnahmslos bis heute unkommentiert.
Und das weißt peripher auf das eigentliche Problem, dass mich wirklich stört. Dass Habermas mit seinen Ideen einer diskursiven Gesellschaft nicht recht hat, lernen wir in Bielefeld im Studium. Doch das er so daneben liegt, dass selbst Hardcore-Luhmannianer sich darüber wundern, ist dann doch eine überraschende Enttäuschung. Wenn Thomas Strobl mir damals nicht per weissgarnix.de die Welt erklärt hätte, als sie akut erklärungsbedürftig war und wenn sich Frank Lübberding als Ko-Autor nicht so rührend um Europa kümmern würde und wenn, als Dritter im Weissgarnix-Bunde, Hans Hütt nicht immer wieder durch seine Themenwahl und Tiefenschärfe eine Rolle spielen würde – ich glaube ich würde die gesamte Blogosphäre an dieser Stelle für (am eigenen Anspruch) gescheitert erklären.
So etwas wäre natürlich grundfalsch, denn es gibt das interessante „Erlebnisbloggen“, für das Felix Schwenzel das Maß aller Dinge ist und Don Alphonso kommentiert ganz prächtig aus seinem Kannenkabinett – doch da bei Johnny Häusler schon längst die Luft raus ist, mich Mode- und Kinoblogs nicht interessieren, habe ich jetzt schon eine Ahnung, wie der mich interessierende Internetausschnitt nach dem 9. September aussehen wird: kahl. Ich wüsste gar nicht mehr, wo die Themen aus privater Perspektive behandelt werden, wo es mitzudiskutieren gilt und was zu diskutieren ist. Das ist die eine Seite, die andere ist, dass ich mir diese Resonanz wie sie die genannten bekannteren Webseiten erzeugen für die Sozialtheoristen nicht wünsche. 200 Kommentare pro Artikel, von denen die 10% Wertvollen mühsam zu finden und zu schützen sind, gegen die Flut gelangweilter Mitmacher und Lese- und Denkverweigerer. Ich will mich an dieser Stelle um keine wohlwollendere Bezeichnung bemühen.
Wie gesagt, das Internet hat mich enttäuscht, weil es als etwas anderes angekündigt war. Ich ziehe nicht so viel Sinn daraus, eine neue Gesellschaft auszurufen, nur weil ich jetzt schon am Tage der Verkündung erfahre, wie viele Pixel das nächste iPhone hat. Und die Meinung darüber, ob einer von 100 Zeitungsartikeln eine hyperspektakuläre Weltsichtsverwirrung enthält, weil der Autor mal wieder ‚nicht verstanden‘ hat, was doch so offensichtlich offensichtlich ist, interessiert mich überhaupt nicht. Ich will mich nicht weiter beschweren, genug Zwischenfazit. Na eins noch, Sascha Lobo hat die Texte hier als „schmerzhaft luzide“ bezeichnet – das ist ein wirklich schönes Kompliment. Ich kenne Sascha Lobo nicht persönlich, schätze aber seine Auftritte aller Orten, die ich als wichtiges soziales Engagement werte, auch wenn Einwürfe des Ego- & Privatmarketings zulässig sind (obwohl ich sie nicht teile). Das freut mich persönlich, es gibt aber noch positivere persönliche Dinge.
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Im März, als Guttenbergs Abgang gerade Thema war, wollte Thomas Strobl einen Text von mir auf seine weissgarnix-Seite holen, um ihn dort zur Diskussion zu stellen. Ich erzählte ihm, dass ich gerade auf Volontariatssuche bin, und dass ich es begrüße, wenn meine Texte Resonanz erzeugen. Wenig später meldete sich Frank Schirrmacher bei mir und bot mir nach seiner Sozialtheoristen-Lektüre ein Volontariat bei der F.A.Z. an. Diese Woche bin ich nun nach Frankfurt gezogen. Während ich das hier schreibe, schaue ich aus dem Fenster und gucke den Flugzeugen am Horizont beim Starten zu.
Als ich gestern erstmalig im F.A.Z.-Gebäude war, fühlte ich mich fast wie in einer kleinen Uni-Bielefeld. Ein geschlossener Campus, überall geruhsame Geschäftigkeit und was Architektur und Mode betrifft alles etwa um den Faktor 10 ansehnlicher. Mehr verrate ich nicht, aber man hätte mich dort nicht freundlicher empfangen können. Der Abschied aus Bielefeld und dem dortigen universitären / lebensweltlichen Kontext ist mir nicht leicht gefallen, doch das gestrige Gespräch mit Frank Schirrmacher heilte viele Wunden. Wenn ich eine Lebensumgebung gesucht habe, dann die, die dort vorzufinden ist.
Am Montag beginnt meine Hospitanz und nächsten April das Volontariat. Das bedeutet für die Sozialtheoristen, dass es etwas ruhiger wird (zumindest von meiner Seite). Zukünftig stelle ich alle meine Themen und Texte unter „FAZ-Vorbehalt“. Zusätzlich wird die Textarbeit zukünftig natürlich nicht mehr im bisherigen Maße dahingeschrieben werden, wird also mehr Zeit in Anspruch nehmen und sich vielleicht ein wenig kannibalisieren. Ich muss an dieser Stelle aber nicht weiter über die Zukunft spekulieren, es ist mir offiziell erlaubt, mich weiter, auch von mir selbst, überraschen zu lassen. Zudem ist die berufliche Sache nicht die Einzige, die mir demnächst die Freiheiten und Widerstände neu ordnet.
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Einen Sozialtheoristen-Text habe ich aber noch, zumindest habe ich schon drüber nachgedacht, als ich den neuen Kleiderschrank aufgebaut habe. Vielleicht gibt’s am Wochenende noch einen Nachklang zum Google-Thema. Mir ist aufgefallen, dass man zwischen Geräten, Gehirnen und Gesellschaft mehr unterscheiden muss. Zumindest darf man nicht die Technik auf der einen und die Menschen auf der anderen Seite einer Unterscheidung belassen, denn wenn wir uns fragen, was Google mit unseren Gehirnen macht, sollte vorher geklärt werden, was die Gesellschaft mit unseren Gehirnen macht. Sich per Google-Maps durch Gehwege zu navigieren ist nämlich, so wäre die These, bei Weitem nicht in dem Sinne und in der Radikalität artifiziell, wie einen Handwerker mit bedrucktem Pferdehaar dazu zu motivieren, eine Spülmaschine zu montieren, von deren Nutzen er gar nichts hat. Gehirne bleiben bei sowas außen vor, es sei denn, der Preis der Dienstleistung ist verhandelbar oder man will, obwohl man für die Tätigkeit bezahlt, ausnehmend gastfreundschaftlich sein und denkt sich dafür eine Strategie aus. Ziel ist, die Fragestellung zu schärfen, die ermitteln soll, was Google tatsächlich tut.
Und damit Sascha Lobo nicht wieder auf die Idee kommt, mir Solipsismus zu unterstellen, gibt’s ein paar Literaturhinweise obendrauf, manche 100 Jahre alt. Denn wenn, neben dem Allen, noch eine Frage zu klären ist, dann folgende: Wieso wissen wir so wenig, obwohl es so viele kluge Bücher gibt, in denen vieles, wenn nicht alles, schon drinsteht, wenn man sie nur richtig liest.
(Bild: Herr Herrner)
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