‚Vertrauen ist das Fundament einer funktionierenden Gesellschaft. Vertrauen sei ein „Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität“, sagt Niklas Luhmann.‘ Mit diesen Sätzen begann 3Sat-Kulturzeit vergangenen Freitag einen kleinen Film zum Thema Vertrauen [gekürztes Skript].
Die ersten Sätze des Filmes sind nicht zu kritisieren, sie treffen zu – und zwar auch dann, wenn man ihren inhaltlichen Gehalt umkehrt: Eine Gesellschaft, die nur auf Vertrauen basiert, limitiert ihren Katalog an Möglichkeiten und bleibt hinter dem Potenzial unserer modernen Gesellschaft weit zurück. Und: Vertrauen ist ein Mechanismus zur Steigerung sozialer Komplexität. Auch das sagt Niklas Luhmann.
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Danach darf man kritisieren: „Giorgos Papandreou (…) will heute Nacht nun die Vertrauensfrage stellen. Welche Bedeutung hat Vertrauen im politischen Raum?“ Die Bildungsforscherin Ute Frevert sagt darauf hin: „Vertrauen in dem Zusammenhang ist eigentlich ein Verhältnis, was die Beziehung zwischen Menschen kennzeichnet. Und auch Misstrauen ist ein soziales Verhältnis.“ Es könnte sein, dass der Film ungenau geschnitten wurde. Meine Antwort auf die Frage würde lauten: „Vertrauen spielt hier nur eine sehr kleine Rolle. Die Bürger Griechenlands kennen Giorgos Papandreou nicht persönlich. Sie können zu ihm keine direkte soziale Beziehung aufbauen. Sie müssen ihm nicht vertrauen. Hat der Regierungschef eine Erwartung an seine Bürger und ist er sich unsicher, ob sie erfüllt wird, benötigt er kein Vertrauen, er hat schließlich eine Polizei und ist legitimiert sie einzusetzen. Im „politischen Raum“, wie Sie es nennen, spielt Vertrauen also keine allzu große Rolle. Und überhaupt: In Parlamenten werden keine Vertrauensfragen gestellt, sondern Legitimationsfragen. Es wird zwar nicht so benannt, doch nur(!) darum geht es: Legitimation.“
Legitimation und Vertrauen zielen auf die gleiche Funktion: Erwartungsabsicherung. Aber sie funktionieren (unscharf aber prägnant formuliert) genau entgegengesetzt. Vertrauen setzt Personen voraus, an deren Handlungen wir unsere Erwartung richten können. Legitimation setzt Institutionen (politische Amtsmacht, Geldvermögen, organisationale Befugnisse, wissenschaftliche Reputation, ärztliches Wissen, …) voraus, an die wir unsere Erwartungen richten. Die Erwartungssicherung im „politischen Raum“ funktioniert nicht über Personen, sondern über Ämter (Institutionen), die von Personen besetzt werden. Ob wir ihnen (Personen) vertrauen, ist unsere höchstpersönliche Sache. Was mit einer parlamentarischen „Vertrauensfrage“ benannt ist, kennzeichnet ein formales Verfahren des Entzugs von politischer Legitimation, es hat mit Vertrauen in Personen nichts zu tun. Die Person dominiert die Debatte, aber das Amt steht zur Disposition.
Man kann allerdings eine soziologisch gut abgesicherte begriffliche Unschärfe zulassen, um den Begriff des Vertrauens hier fruchtbar zu machen. Es gibt gute Gründe, zwischen Personenvertrauen und Systemvertrauen zu unterscheiden. Mit dieser Unterscheidung bekommt man jedenfalls viele Phänomene der Moderne in den Griff. Denn ein Kennzeichen unserer Zeit ist, dass wir andauernd Unbekannten begegnen, mit denen wir einen sehr kurzen aber intensiven Kontakt haben, der gelingt, obwohl man sich (und das weiß man vorher) nie wieder sehen wird. Wir behelfen uns, in dem wir unsere Erwartungen nur in kleinem Rahmen an Personen ausrichten, um sie abzusichern. Wir vertrauen viel häufiger Institutionen: Wir glauben daran, das Geld funktioniert, obwohl wir noch nicht wissen wann, gegenüber wem und für was wir es benutzen werden. Wir glauben daran, dass ein Bürokratiepapierkrieg fair ausgetragen wird und sich auszahlt, obwohl wir oft die Person nie sehen, die ihn mit uns führt. Wir glauben daran, dass der Alltag unserer Kinder in der Schule klappt, obwohl wir seine Protagonisten gar nicht kennen. Wir vertrauen in die Prinzipien unserer Gesellschaft und sind dabei nur selten auf konkrete Menschen angewiesen.
Ute Frevert beobachtet falsch, wenn sie etwas später im Film sagt „Institutionen verdienen kein Vertrauen“. Und sie hat in einem anderen Punkt unrecht, wenn sie nämlich sagt: „(…) Dann spiegelt das ein Stück weit das wider, was ich als Obsession mit Vertrauen nennen würde. Obsession mit Vertrauen: Wir wollen vertrauen, wir müssen vertrauen. Wir haben das Gefühl, wir haben gar keine Alternative zum Vertrauen. Dabei haben wir durchaus eine Alternative zum Vertrauen. Diese Alternative ist in unser politisches System und in unseren Umgang mit unserem Bankberater unmittelbar eingelassen: Wir können Vertrauen entziehen.“ Können wir darüber entscheiden, ob wir vertrauen oder nicht? Die Unterscheidung ist weniger Vertrauen / Entzug von Vertrauen als Vertrauen / Misstrauen. Der Unterschied zwischen den Unterscheidungen mag auf den ersten Blick minimal sein, er ist jedoch fundamental. Es ist schließlich nicht unsere Entscheidung, ob wir jemanden vertrauen. Eher ist es die Folge einer Abwägung von Anhaltspunkten, ob Vertrauen oder Misstrauen überwiegt. Menschen, denen wir „nicht vertrauen“, verschwinden schließlich nicht immer – vor allem keine Politiker oder Bankberater. Unabhängig unseres (Personen-)Vertrauens, behalten sie politische Legitimation und organisationale Macht. Ute Freverts Alternative ist zwar eine, sie bleibt aber folgenlos (bzw. hat sie sogar negative psychologische Effekte, wenn wir mit Mensch zu tun haben müssen, denen wir nicht vertrauen).
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Im Film kommt kurz Jan Philipp Reemtsma vor, der in einem Vortrag sagt: „Vertrauen ist gut und manchmal ärgerlich. Eben dann, wenn Vertrauen auch das Fundament unseres Finanzsystems ist. Aber wir dürfen uns damit nicht zufriedengeben, weil Vertrauen etwas ist, dessen du dir nie ganz sicher sein kannst.“
Dass unser Finanzsystem schon lange nicht mehr auf Vertrauen, oder nur auf einer sehr pervertierten Restlogik von Vertrauen beruht, war vor drei Jahren schon einmal Thema. (Kurz: An die Stelle des Vertrauens ist im Finanzmarktkapitalismus die Versicherung getreten. Anstatt darauf zu vertrauen, dass Amerika seine Schulden bedient, versichert man sich gegen den Ausfall der entsprechenden Staatsschulden. Firmen wie AIG sollen einspringen, wenn die größte Atommacht mit Militärbasen auf dem ganzen Globus Pleite geht. Hier kann man überhaupt nicht mehr sinnvoll mit Vertrauen argumentieren. Es ist pure Dummheit.)
Interessant ist jedoch auch ein anderer Punkt. Der Satz: „Vertrauen ist etwas, dessen du dir nie ganz sicher sein kannst“ verkehrt die Logik. Denn auf nichts kann man sich wirklich verlassen und genau deswegen gibt es doch den Mechanismus des Vertrauens (leichte Unterstellung von intelligent design in der Formulierung mal hingenommen), der die eigentlich unfassbare Komplexität („das Chaos“, wie es N. Luhmann ausdrückt) in bewältigbare Komplexität transformiert (bzw. hübsch ausgedrückt: reduziert), damit dann neue Komplexität wieder aufgebaut werden kann – damit das gelingt, was ohne Vertrauen nie möglich wäre aber eben möglich ist, weil wir vertrauen – ganz ohne dass jemand so freundlich sein muss, sich dafür zu entscheiden, uns zu vertrauen, weil wir so tolle Menschen sind. Den letzten Satz des Filmes können wir also einfach so hinnehmen und uns darüber freuen, dass es so ist, weil es nicht anders sein kann: „Wir fühlen uns glücklicher, wenn wir vertrauen können.“ Ich hätte geschrieben: Wir fühlen uns glücklicher, wenn wir wissen, dass uns vertraut wird. Es klingt noch freundlicher.
(Bild: soonerpa)
Update 08.11., 10 Uhr – weiterführendes Luhmann-Zitat: „Einem Souverän kann man nicht vertrauen„. (via Kusanowsky)
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