Christian Wulffs Schöner-Leben-Affäre steht stellvertretend für vieles, was derzeit nicht mehr richtig funktioniert oder immer nur sehr merkwürdig funktionierte und diese Merkwürdigkeit nun offenbart: Politiker müssen sich in ihrer Karriere gegen Parteikollegen durchsetzen, werden aber nur im Hinblick auf ihren Dienst für die Partei beobachtet; Im Parlament kämpfen Parteien gegeneinander für das Gemeinwohl. Die Demokratie ist im Großen und Ganzen ein schönes, echtes Märchen – auf einem schwierigem Weg bleibt man beim Glauben an ein Happy End.
Wie schwierig es ist, wird heute auch deutlicher, weil ein weiterer Beobachter hinzugekommen ist, der beginnt, seinen Folgenreichtum abzuschätzen: der ausformulierte Gedanke des Publikums. Er sucht sich seinen Raum in der bislang exklusiven Beziehung zwischen Politik und Massenmedien. Man könnte es so ausdrücken:
Und auch die Diskussionen im Netz konzentrieren sich größtenteils auf die Beobachtung einer Person und nicht darauf, dass die konventionellen Massenmedien ganz langsam ein Problem bekommen: Sie müssen ihre Relevanz, ihre Vorrangigkeit gegenüber dem Internet herausstellen.
Doch würde man hier implizit eine Unterscheidung mitführen, die auf einer, aber nicht der wichtigsten, Prämisse ruht. Dass nämlich Massenmedien auf der einen Seite stehen und das Internet – das folgenreiche Medium ohne konkrete Masse – auf der anderen. Die entscheidende Prämisse ist viel mehr diese:
Journalisten können ihre Privilegien intelligent ausnutzen, die vor allem darin bestehen, exklusiven Kontakt zu Politikern zu pflegen.
Der Vorteil den die Massenmedien haben, liegt im Zugriff auf Raum und Zeit. Journalisten haben viel Zeit für Recherchen und sie sind dafür nicht zwingend auf Vermittlung angewiesen, sondern können im Kontakt mit der Politik die Eigenrechte der Interaktion ausnutzen. Die jüngste Empörung über den öffentlich-rechtlichen Fragenkatalog im Wulff-Interview veranschaulicht dies ganz wunderbar. Auf der einen Seite war es die Interaktion unter Dreien, die „Live-On-Tape“ einfach stattfand, auf der anderen Seite waren es die medienvermittelten Interpretationen, die im Internet stattfanden. Das Gespräch war auf keine Technologie angewiesen, nur seine Verbreitung.
Die technologievermittelten Kommunikationsmöglichkeiten, die neue Zugänge zu Politikern gewähren, werden diese raumgebundene Interaktionssituation wie sie das Interview darstellt nicht ersetzen können. Bzw. andersherum formuliert: Sollte einmal ein junger Journalist, ein Typ wie Richard Gutjahr, seine Kameraerfahrung und Internetreputation ausbeuten und in einem Medienstunt ein U-Stream-Spontaninterview mit der Kanzlerin führen, dann ist er in allen wesentlichen Aspekten ein Massenmedium nach alter Funktionslogik. Was ihm gelänge, würde nur ihm gelingen – nicht weil er der Einzige ist, der über diese Art der Medienkompetenz verfügt und ein Publikum mobilisieren kann, sondern weil die Kanzlerin nur begrenzt Raum und Zeit für ein Interview hat.
Zurück zu Klaus eigentlicher Frage: Wie verhält es sich im Gesellschaftszirkus mit der Glaubwürdigkeit, wenn die Medien ihre gegen die der Politik(er) ausspielen und das Weiterführen des „Krieges“ die Beteiligten nur weiter in einer Kommunikation verstrickt, die im Grunde nichts anderes ist als paradox: Man kann seine eigene Glaubwürdigkeit nicht behaupten, weil Glaubwürdigkeit ja Bedingung und nicht Folge einer (Glaubwürdigkeits-)Behauptung ist. Können Politiker durch direkten medialen Zugriff auf das Publikum Glaubwürdigkeit implizit mitführen, um so endlich nur inhaltlich, sachzentriert politisch kommunizieren zu können? Es ist ein Wunsch der Zeit, neue Medientechnologien in der Hinsicht auszubeuten, sich auf Sachfragen konzentrieren zu können. Doch es wird wohl nie gelingen, die Komplexität von politischen Entscheidungen allein auf der Sachebene reduzieren zu können.
Das deutsche Stromnetz als politisches Thema beispielsweise ist sachlich vielleicht zu entschlüsseln. Man könnte alle inhaltlichen Aspekte ins Internet schreiben, transparent menschen- und maschinenlesbar aufbereiten. Jeder wird nachsehen können, was es hiermit und damit auf sich hat. Aber man wird es allein dadurch niemals zu einer politischen Entscheidung schaffen.
Die Sachdimension wird immer durch die Sozialdimension entlastet werden müssen. Es wird, so wie in der Politik, in den Medien immer Stars geben – und sie werden auf Technologie und Institution angewiesen sein. Glaubwürdigkeit ist eine notwendige und soziale Komponente. Wenn ein Politiker im Kontakt mit seinem Publikum ist, benötigt es einen neutralen Dritten, sei es der Wahlhelfer, sei es der Journalist, sei es der Richter. Das Internet vergrößert nur den Bereich derjenigen, die als Dritte infrage kommen. Politik benötigt die Verlautbarung des Politikers und die Zustimmung/Unterstützung im Publikum. Nur vertrauen wir nicht mehr nur gezwungener Maßen den großen Medienstars, sondern auch einzelnen, unbekannten Internetschreibern, die sich Vertrauen verdient haben: Es macht einen großen Unterschied, ob Inhalte von Sascha Lobo erwähnt und empfohlen und vom heute-Journal verbreitet werden oder ob Marius Sixtus ein belangloses „Was … sagt.“ ins Internet rotzt und die RTL-II-News etwas promoten. Es bleibt beim alten Prinzip. (Die Funktionslogik ändert sich, das ist zu beobachten.)
Das direkte Wort eines Politikers glaubt man nicht. Auch nicht, wenn er es twittert. Irgendwer wird es autorisieren müssen und irgendwie muss es diskutiert und abgewogen werden. Und die Unmöglichkeit, die Sozialdimension aus den Kommunikationslogiken herauszurechnen, um sich allein auf die Sachdimension zu besinnen wird vielleicht klarer, wenn man darauf hinweist, dass es auch eine Zeitdimension gibt. Denn wenn es nur eine Frage der Sache wäre, und wir uns auf Technologie verlassen könnten, würden wir unsere politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen so fällen, wie Investitionsentscheidungen an der Börse gefällt werden: Milliarden in Millisekunden. Dort kann man jetzt schon sehen, was geht und was überhaupt gar nicht funktioniert.
(Bild: Chris)
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