Mit Wulff auch das Präsidialamt abzuschaffen, liegt für manche Twitterer sehr nahe. Auf Twitter ist man der Welt voraus, aber es gibt sie trotzdem noch, die Welt, auch wenn sie zurückgelassen wird. Guckt man ins Facebook, bekommt man den Zeitgeist viel besser zu sehen. Und eine Erfahrung des heutigen Tages ist, dass man im kleinen Twitterkreis noch so sehr über die Amtswürde und ihre moralische Brücke zum Amtsträger spekulieren kann. Letztlich zählt nicht die moralische Amtsausübung, sondern die mediale Amtsaufmerksamkeit.
Selbst diejenigen, die ansonsten nur dann im Facebook zu sehen sind, wenn sie einen Blitz fotographiert haben oder einen neuen Farmville-Garten anlegen, äußerten sich zum Thema Wulff. Ein Bundespräsident dringt durch, wenn die Dramatik stimmt. Wulffs Dramaturgie war nun sehr auf ihn zugeschnitten. Zu keinem Thema hat er sich je geäußert, nur eine Selbstverständlichkeit über Muslime in Deutschland geht als historischer Satz ins Gedächtnis ein.
Was wäre, wenn es der Nächste im Amt ganz anders macht? Das Amt ist vielleicht gar nicht beschädigt, sondern jetzt erst richtig aufgeladen. Volle Aufmerksamkeitsakkus warten auf denjenigen, der die Energie konstruktiv nutzt. Es ist jemand mit Gespür für Dramatik erforderlich. Jemand der weiß, wie man eine Geschichte entwickelt und jemand, der weiß, dass ein gutes Wort noch immer die mächtigste Tat ist.
Die Bundeskanzlerin will sich in ihrem Kreis beraten. Zum Glück ist kein CDU-Mann mehr da, der den Posten in ihrem Sinne übernehmen kann. Schon Norbert Lammert wäre für sie ein mutiger Schritt. Nach Guttenberg und Wulff mal jemand mit Format, der sich seine Professorenwürde zwar nicht auf üblichem Wege, dafür aber über akademische Ehren erarbeitet hat.
Das Problem ist allerdings, dass die Bundesregierung nun ein Gespür für den Zeitgeist beweisen muss. Dazu gehört besonders ein Verständnis dafür, dass Schweigen nur für Merkel ein gutes Rezept ist. Gefragt sind jetzt Poltergeister (Joschka Fischer), Nervtröten (Claudia Roth), Auskenner (beliebiger Emeritus aus dem Bundesverfassungsgericht) oder eben doch jemand mit Bühnen- und Publikumserfahrung (Georg Schramm). Nur bloß keinen weggelobten Regierungspolitiker, das müssen auch die feministisch-orthodoxen einsehen!
(Bild: Edmund Gall)