Willkommen Hollande

In der internationalen Politik gibt es zwei Gebote, die lange in Verbindung mit dem Wort Ehrenkodex benutzt wurden. Das eine Gebot besagt, dass ein Staats- oder Regierungschef öffentlich nicht im Namen eines Kollegen sprechen soll. Das andere Gebot besagt, dass sich eine Regierung nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes einmischen darf. Das Befolgen der Gebote gilt als politisch tugendhaft. Im politischen Alltag Europas wird das politisch-tugendhafte Handeln aber offenbar immer schwerer.

Die Frage, ob Griechenland in der Euro-Zone bleiben solle, beantwortete zuletzt der deutsche Innenminister Hans Peter Friedrich. Er empfahl dem Land den Austritt aus der Währungsgemeinschaft. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, der derzeit durch viel kritisierte Verfassungsänderungen in seinem Land europäische Aufmerksamkeit erregt, sieht sich nicht nur Empfehlungen, sondern klaren Forderungen ausgesetzt. Dass der griechische Regierungswechsel im November 2011 eine innere Angelegenheit war, würde heute niemand behaupten. In Europa werden die Gebote des politisch-tugendhaften Handelns kaum mehr beachtet. Die Regierungen der großen EU-Staaten mischen sich ständig in die Angelegenheiten kleinerer EU-Staaten ein, um, wie sie sagen, Europa zu retten.

In den vergangenen Tagen wurde bekannt, dass es auch zwischen den großen EU-Staaten Absprachen und gezielte Eingriffe in die nationale Souveränität gibt. Die Regierungen Deutschlands, Englands, Italiens und Spaniens vereinbarten, den französischen Präsidentschaftskandidaten François Hollande nicht zu empfangen. Dies wird als Eingriff in den französischen Wahlkampf gewertet und passt in das Bild, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel abgibt, wenn sie gleichzeitig gemeinsame Fernsehinterviews mit dem amtierenden französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy abhält.

Doch werden durch dieses Missachten der Gebote ehrenwerte Tugenden vernachlässigt, oder störende Laster überwunden? Führt man die Diskussion inhaltlich, bleibt bei all dem Genannten von innerstaatlichen Angelegenheiten kaum etwas übrig. Die Frage, ob Griechenland weiterhin an der europäischen Währungsunion beteiligt ist, ob ein französischer Präsident den europäischen Fiskalpakt mitträgt oder ob die ungarische Regierung die europäische Freiheitsidee respektiert sind alle keine rein nationalen Fragestellungen. Das Respektieren nationalstaatlicher Souveränität wurde zur tagespolitischen Last, weil der Nationalstaat selbst immer mehr als Belastung empfunden wird. Es gibt derzeit, neben dem faktisch vereinigten Wirtschaftsraum, keine lebendige Europaidee, der es inhaltlich für die Bürger etwas abzugewinnen gibt. Doch soll deswegen die Idee des souveränen Nationalstaats weiterverfolgt, gar wiederbelebt werden?

Die Idee, dass konservative Regierungen enger zusammenarbeiten, sich von der Zukunft nicht überraschen lassen, sondern Planungen anstellen und gemeinsam Ziele vereinbaren nach denen sie streben, ist nicht neu. Nicht nur die konservativen Parteien Europas arbeiten so zusammen. Auf die 754 Sitze des Europäischen Parlaments verteilen sich derzeit etwa 150 nationale Parteien. Sie bilden dort sieben große Fraktionen. Es wurde nie entschieden, ob das Parlament nun ein supranationales oder internationales Gremium ist. Die Mitglieder sind europäisch gewählt aber national abgeordnet und sie orientieren sich bei der Frage, ob sie sich in Kooperation oder Konkurrenz begegnen nicht an nationalstaatlichen Grenzen, sondern an politischen Leitideen: Die Fraktionen des EU-Parlaments sind christlich konservativ, liberal, sozialdemokratisch, links, grün und euroskeptisch. Es gibt dort keine Fraktion Deutschlands, Englands, Italiens und Spaniens.

Nun bricht diese Art der europäischen Politikgestaltung aus dem Europäischen Parlament aus und erfasst weitere Institutionen. Dass verführt zu inhaltlicher Kritik, doch kann es auch als nächste Stufe der politischen Integration Europas gewertet werden. Bei der politischen Planlosigkeit, die derzeit beobachtbar ist, ist es eine interessante Neuerung, dass sich die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten nun offen verbünden. Die deutsche CDU/FDP-Regierung ist schließlich keine überparteiliche Einrichtung, die international jegliche Souveränitäts- und Repräsentationsaufgabe übernimmt. Ihr steht eine linke, grüne, sozialdemokratische Opposition im Parlament gegenüber. Unabhängig davon, wer die Regierung stellt und sie als Opposition konturiert, lassen sich in Deutschland internationale Politiker empfangen. Die deutsche SPD hat angekündigt, nun François Hollande im Wahlkampf zu unterstützen. Das birgt Anlass für Kritik, ist aber auch ein erfreulich konstruktiver Umgang mit der Aufgabe, die sich derzeit stellt. Daran, dass deutsche Bundeskanzler gern gesehene Gäste in Landtagswahlkämpfen sind, dass sich Ministerpräsidenten gern untereinander Besuche abstatten und manchmal auch Oberbürgermeisterkandidaten von solchen Besuchen profitieren, stört man sich auch nicht. So ist eben der politische Alltag. Es wird neue Tugenden geben, an denen er zu messen und zu bewerten ist.

(Bild: François Hollande)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

3 Kommentare

  1. dieterbohrer sagt:

    Aus deutscher Sicht eines europäisch denken Wählers, der an sich mit der hier regierenden Parteienkonstellation nicht konform geht, möchte ich gerne Ihren Überlegungen zustimmen und Ergänzen:

    Möge das Europaparlament weiter und weiter ins europäische Denken, Fühlen und Handeln hineinwachsend, sich stets bemühen, kleinkariertes staatliches Denken mutig abzulegen und sowohl innerlich wie äusserlich sozusagen selbstreferenziell und Fremdreferentiell) überwinden. Das Prinzip, jeder gewählte Abgeordnete sei nun wirklich in erster Linie seinem Gewissen gegenüber verantwortlich, wird leider gerade im deutschen Bundestag (Parlament) dadurch verwässert, weil sich immer wieder hier und nun wahrhaft kleinkariert der Fraktionszwang dazwischen schiebt. Wer in Europa gewählt wird, wo auch immer, der sollte es sich in erster Linie stets angelegen sein lassen, die europäischen Gesamtinteressen nicht zu kurz kommen zu lassen. Auch in Deutschland sollten alle europäisch gesinnten Kräfte dafür eintreten, hier die im Grunde verlogene Zweitstimme abzuschaffen, weil damit eher die Parteienherrschaft prolongiert wird als der Europagedanke. Wenn die SPD jetzt den französischen Präsidentschaftskandidaten Hollande empfangen will, eben weil das unsere Kanzlerin nicht tun will und dies sogar Staaten übergreifen als einen Ablehnungblock geschmiedet hat, dann muss man der SPD als Europäer recht geben

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