16 eigene und 15 „geklaute“ Lieder. Fast durchgehend positives mediales Echo und eine Resonanz in den deutschen Zeitungen, die der letzten Veröffentlichung eines der so genannten deutschen Urgesteine- das Mal aber aus Berlin (aus Berlin), nicht aus Düsseldorf- in nichts nachsteht. Und während die Ärzte in einer der letzten, im freien TV empfänglichen, Harald Schmidt Sendungen ihren legendären Auftritt aus dem Jahre 1999 fast noch toppen, redet Campino lieber mit der FAZ über Günther Grass und Fußball.
Die Wahrnehmung beider Bands könnte indes unterschiedlicher nicht sein. Wurzeln beide Bands in der Idee „Punk“, die – wie man wiederum an beiden Bands ablesen kann – keineswegs so einheitlich ist wie es der Name Glauben machen möchte, so kristallisieren sich heute trotz „gemeinsamer Herkunft“ doch deutliche Unterschiede heraus. Während man den Hosen nachsagt, sie betrieben ihr Alterswerk und versuchen in Würde zu altern, wird den Ärzten immer wieder gerne unterstellt, dass sie schlicht und ergreifend Berufsjugendliche seien, die ihren Zenit überschritten haben. Tatsächlich lässt sich bei den Ärzten – nehmen wir „Jazz ist anders“ einmal aus – an und für sich fast keine Veränderung feststellen. Zwar wildert man heute mehr als früher – sicherlich auch der wachsenden musikalischen Kompetenz geschuldet – in angrenzenden Musikstilen. An der Grundausrichtung, Ironie gegenüber allem und insbesondere gegenüber Beziehungsthemen zu besingen, und sich dabei im gleichen Atemzug auf den Arm zu nehmen, hat sich allerdings nicht viel geändert. Anstatt zu versuchen, dies zu erklären, zitiert man lieber den weisen Rolling Stone, der es prägnant auf den Punkt bringt: „Vielleicht ist das der Hauptgrund, warum die Ärzte von vielen nicht gemocht werden: Man fühlt sich schnell zu alt für sie. Obwohl man’s gar nicht ist. Wenn jetzt noch einer sagt, das könnte doch Punk sein – dann hat er vielleicht sogar ein bisschen recht.“ Und vielleicht ist der charakteristischste Unterschied zu den Hosen dann auch der, dass One Night Stands bei Campino überm Klo (Zwei Drittel Liebe) enden und bei Farin wahlweise an Transvestiten oder vorzeitigen Samenergüssen scheitern (N 483).
Verlassen sich die Ärzte wenn nicht immer auf Humor so doch meist auf Ironie – die ein beständigeres Fundament bildet als der kontinuierliche Versuch witzig zu sein -, laufen die Hosen immer noch eher dann zur Höchstform auf, wenn sie sich Themen widmen, die man mit dem so genannten heiligen Ernst behandeln kann – sei dies nun Fußball oder aus dem Fußball abgeleitete Lebensweisheiten (Auswärtsspiel). Auch dieser Ernst ist sicher nicht immer ernst gemeint, scheint aber eine Form von Ironie zu sein, die der Band eher liegt, da weniger offensichtlich. Ausflüge ins humoristische misslingen oftmals: „Linkin spielen am Park/und wir am Ring“. Stark sind die Texte besonders dann, wenn sie sich ohne ins platitüdenhafte abzudriften ernsthafter Themen annehmen – dem Flüchtlingsproblem Europas (im gleichnamigen Song) oder aber der schwierigen Beziehung Campinos zu seinem Vater (Draußen vor der Tür).
Das charakteristische der Hosen ist dabei schwer zu fassen. Wahrscheinlich kann man, so man sich denn darauf einlässt, die Authentizität der Band nur schwerlich ignorieren. Sich über Jahrzehnte jedes pseudo-coolen Rockstargehabes enthalten zu haben, im 30sten Jahr und längst finanziell so unabhängig wie man als deutschsprachiger Künstler nur irgendwie werden kann, wieder eine Magical Mistery Tour zu machen und von sich behaupten, dass man statt Kunst wohl doch eher Handwerk macht. Das ringt Respekt ab. Und lässt den Gang Charakter, den die Toten Hosen im Subtext immer noch – nicht mehr so offensiv wie in Opel Gang – transportieren, authentisch erscheinen. Dass es insbesondere in den 90ern Zeiten gab, in denen die mediale Präsenz zu viel des Guten war, ist damit nicht bestritten. Dennoch ist Authentizität und Selbstidentifizierung der Unterschied zu anderen Größen der deutschen Musik. Bestehen Rammstein Shows primär aus Flammenwerfern und nicht vorhandenen Publikumsansagen, so beginnen die Hosen im Kölner Gloria ihr 1Live Konzert mit den Worten: „Ja, es ist wahr. Die Toten Hosen spielen in Köln.“ Es ist schwer bei so viel persönlichem (Stadt-)Committment keine Sympathie zu empfinden. Ob es nun als richtig oder falsch empfunden wird, ob man dies als Kommerzialisierung empfindet, ob man Fan der Fortuna ist, aus Düsseldorf kommt, oder nicht. Immer hat schließlich der Redende gegenüber dem Schweigenden den Nachteil, dass er etwas von sich preisgibt, das zu kritisieren ist, während der öffentlich Schweigende sich immer auf das Sicherheitsnetz der Privatheit zurückziehen kann. Dennoch: man kann es auch schlecht finden – wenn man „Deutschland sucht den Superstar“ für das Maximum an Schaffenskraft deutscher Musik hält, grundsätzlich der Meinung ist, dass Dieter Bohlen das Prädikat Musiker verdient hat, jedes härtere Guitarrenriff (und hier reden wir über eine Band, die bei Connaisseuren härterer Spielvarianten maximal ein Lächeln hervorlockt ) mit dem Zuhalten der Ohren quittiert, oder aber sich als letzter Mohikaner des Punkrock versteht (üblicherweise ohne „Punk“ zu sein). Irgendwie beeindruckt es dann aber doch. Wahrscheinlich könnten Campino & Co statt der erfahrungsgemäßen Preise am Ende der 30€ Skala auch 60€ plus für ihre Konzerte nehmen. Und die sicher noch anstehende Tour durch die deutschen Städte – abseits der großen Festivals – wäre dennoch ausverkauft.
Deswegen muss man nicht alles gut finden. Man kann „Tage wie diese“ durchaus kritisch gegenüber stehen. Der Vergleich zu U2 im Sinne eines rein auf Stadien ausgerichteten Rocks kommt nicht von ungefähr. Selbiges gilt sicher auch für „Das ist der Moment“ und „Schade, wie kann das passieren?“. Aber man kann es einer Band, die ihr 30-jähriges Bestehen feiert und die mitlaufende Nostalgie musikalisch ins Feld- oder besser: ins Stadion- führen möchte, auch verzeihen. Man hat sowieso den Eindruck, dass die Ausflüge in den Stadionrock nicht ob Einfallslosigkeit, sondern aus purer Intention – der Inrechnungstellung der Wirkmacht besagter Songs in einem Live-Setting – entstehen. Dass verstärkt Lieder aus der früheren Schaffensphase in die Setlist miteinfließen, verstärkt den Kontrast, den man zu schaffen sucht. Und das Kuddel im Video zu „Tage wie diese“ ostentativ eine doch eher an Altersgebrechen erinnernde Brille trägt, tut diesem Ziel erst recht keinen Abbruch. Alterswerk? Eher Spiel mit Erwartungen.
Wichtiger scheint in der Tat das zu sein, was der Rolling Stone festhält: wenn der Bombast des Stadionrocks, den die Hosen wie keine zweite deutsche Band beherrschen, hinter sich gelassen werden soll, – wie bei Zwei Drittel Liebe – dann kracht´s!
Und dass es live keine deutsche Band, die den „alten Säcken“ aus Düsseldorf in Sachen Energieleistung das Wasser reichen kann…das können ohnehin nur Menschen in Zweifel ziehen, die entweder noch nie ein Hosenkonzert gesehen oder aber vergessen haben wie es ist, wenn Campino „Take it away Vom“ brüllt und es endlich losgeht…
(Quelle Bild: www.dth.de)