Unkenrufe

Krisenzeit ist immer auch Expertenzeit. Und da die Eurokrise, nach einvernehmlicher Meinung der deutschen Medien, die schlimmste und existenziellste Bedrohung der EU seit ihrem Bestehen ist, liegt es nahe, dass insbesondere hier Experten benötigt werden, um dem interessierten Leser bzw. Zuschauer die Dramatik der Krise vor Augen zu führen. Und dies scheint sich für den geneigten Beobachter zu lohnen! Insbesondere dann, wenn es so skurril wird, dass sich Investmentbanker in Reden mit pseudowissenschaftlichem Anstrich genötigt fühlen, die Politik darauf hinzuweisen, dass schnell gehandelt werden muss – und um die Dramatik zu erhöhen auch noch einen fixen Zeitrahmen, in dem gehandelt werden muss, beifügen. Man fragt sich, was wohl passieren würde, wenn Politiker anfingen, Investmentbanker über die Medien hinsichtlich spekulativer Geschäfte auf fallende/steigende Währungen einzelner Länder zu beraten? Man kann also mit einigem Recht fragen, warum gerade dem Milieu der Investmentbanker, das einen nicht unbedeutenden Anteil an der aktuellen Krise hat, kontinuierlich die Möglichkeit gegeben wird, diese im Hinblick auf Lösungsmöglichkeiten öffentlich zu diskutieren? Wahrscheinlich, so die Antwort, weil sich die Massenmedien von diesen Gesprächen tiefgründigere Einschätzungen versprechen, als durch das beliebte Interviewen unbeteiligter Passanten zu erlangen sind. Der Umkehrschluss, dass es oftmals mit dem Verständnis der Krise nicht allzu weit her sein kann, wenn die Leute, die die Krise heute erklären, diese gestern durch anderes Handeln ihrerseits auch hätten verhindern können, verbietet sich von selbst: keine Expertise, keine Interviews.

In jedem Fall grassiert das Expertentum. Und oftmals bekommt man als Zuschauer ja auch durchaus einen fundierten Einblick in die Frage, was es nun eigentlich heißt, ein so genannter „Experte“ zu sein. Man denke hier nur an die tiefgreifende Einsicht von Terrorismusexperten, die zu sagen wissen, dass man „Einzeltäter nun einmal nicht verhindern könne“. Diese, mit dem flammenden Schwert der Rhetorik, vorgetragene Weisheit, lässt den vermeintlich gebildeten Zuschauer erschaudern vor intellektueller Ehrfurcht. Bestürzt sitzt man nach solch einer mitgeteilten Erkenntnis vor dem Fernsehgerät oder der jeweiligen Zeitung.

Auf der anderen Seite ist dies sicherlich nicht die Schuld der so genannten Experten. Gerade in Krisenzeiten gibt es offenbar einen gesteigerten Dramatisierungsbedarf der Medien, der wiederum über die Inanspruchnahme vermeintlicher Autoritäten noch gestützt werden soll. Hier entstehen offensichtlich in gesteigertem Maß Symbiosen zwischen Personen und Massenmedien, die sich in eben diesen „Expertengesprächen“ niederschlagen. Die Massenmedien werten entsprechende Sendung mit dem Etikett profunder Expertise auf und die entsprechenden Wissenschaftler erhalten die – ansonsten unwahrscheinliche – Möglichkeit, sich einem breiteren massenmedialen Publikum bekannt zu machen. Dass die Durchdringung des Themas dabei oftmals auf der Strecke bleibt, ist sicherlich der komprimierten Präsentationsform der Medien geschuldet – und nicht mit dem mangelnden Wissen der Befragtem.

Dementsprechend laufen natürlich nicht alle Expertengespräche auf so überflüssige Aussagen wie die hinsichtlich des terroristischen Einzeltäters hinaus. Profunde Gesprächen zu Investitionsstrategien können dem wirtschaftlich nicht zu tief vorgebildeten Konsumenten schon einmal schwindlig werden lassen. Ganz anders als die – angesichts der Tragödie in Colorado – wieder ins mediale Haus stehenden Gespräche mit Medienexperten, die ihre fixen Ideen hinsichtlich der Gründe für Amokläufe von jungen Menschen wieder nach außen tragen und dabei mit Kausalketten arbeiten, die selbst einem Erstsemster schlicht und ergreifend zu blöd wären.

Ganz anders Wirtschaftsprognosen. Diese haben den Nebeneffekt, dass sie nicht falsch sein können. Rät man, mit dem Impetus eines von der bevorstehenden Katastrophe bereits tief gezeichneten „Experten“, dringend zu ordnungspolitischer Tat x,y,z, da ansonsten innerhalb von (beliebige Zahl einsetzen)-Monaten der Kollaps der Eurozone droht, kann man fast nichts falsch machen, wenn man sich an exponierter Stelle äußert. Geht die Welt – und dies ist wohl immer die wahrscheinlichste Variante – nicht unter, hat man „frühzeitig gewarnt“, „auf das Problem aufmerksam gemacht“, quasi im Alleingang die Welt gerettet. Tritt das angesprochene Unglück aber doch ein, hat man es ja im Voraus gewusst! Abgeschnitten wird hierbei aber die Referenz auf den Experten im Fall unzutreffender Prognosen: hat er vielleicht bei der Vorhersage des Weltuntergangs geirrt, und wenn er es doch vorher schon gewusst hat, wieso sind seine Worte dann so undeutlich, dass sie niemand wahrnimmt? Der Experte kann sich also in Sicherheit wiegen. Seine persönliche Reputation hängt nicht von Fehlurteilen ab – und das ist sicherlich auch ganz gut so, da ansonsten wohl die öffentliche Meinungsäußerung hinsichtlich gesellschaftlicher Probleme und jeder daraus entstehende positive Effekt zum Verstummen kommen würde. Irren ist bekanntermaßen menschlich. Und die Tatsache, dass die Zukunft – unabhängig vom jeweiligen Expertenwissen – schlicht nicht bekannt ist, trägt ihr Übriges dazu bei, dass man eben auch einmal falsch liegen kann. Andererseits ermöglich es genau dieses Unbekanntsein der Zukunft auch allen, deren Meinung gehört wird, eine zur Zukunft zu haben – unabhängig von der Frage wie fundiert diese nun ist. Die Zukunft bietet selber kaum Widerstand gegen willkürliches Zeichnen ihrer zukünftigen Realität.

Nicht alles, was sich Experte schimpft, hält also, was der Moderator verspricht und nicht alles, was auf den Bluescreen geworfen wird, ist seine Aufregung wert. Und so ist es gerade zu den konjunkturellen Hochphasen des Expertentums sinnvoll, kühles Blut zu bewahren im Angesicht vermeintlich desaströser Einschätzungen von „Experten“.

Neben dem positiven Effekt, dass man sich nicht durch jede Schreckensmeldung Hitzewallungen ausgesetzt sieht, wird man, so man entsprechende Prognosen mit ein wenig Skepsis betrachtet, mit der heiteren Wendung belohnt, dass der N-TV Moderator ungläubig berichtet, dass sich die „Deutschen“ (=wer?) nicht von der Krise beeinflussen lassen – und das, obwohl gerade die anstehende Katastrophe doch die wohlwollende Rückendeckung durch Experten gefunden hat.

 

(Bild: bilder.n3po.com)

Veröffentlicht von Henrik Dosdall

denkt, dass Luhmann recht hatte und liest die Soziologie dementsprechend. Schwerpunkte sind Systemtheorie und Epistemologie.

2 Kommentare

  1. C.K. sagt:

    Ist das ein Expertenbeitrag?

  2. Henrik sagt:

    Eher Ausdruck der Tatsache, dass sich Medien nur im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten kritisieren lassen…

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