Kunstkommunikation und Kommunikation über Kunst in Museen
Es gibt Kunst und es gibt ausgestellte Kunst. Es gibt die Herstellung (Produktion) oder die Darstellung (Rezeption) von Kunst, könnte man soziologisch naiv sagen. Denn die Unterscheidung von Herstellung und Darstellung ist eine analytische Trennung, keine räumliche, zeitliche oder soziale.[1] Ansonsten unterläge man dem epistemologischen Trugschluss, dass Künstler nur im Atelier ihre Kunst herstellten, und diese dann erst von anderen andererorts dargestellt würde. Herstellung und Darstellung laufen jedoch ungleichzeitig und ungleichmäßig parallel, sobald sie auf einen Beobachter treffen – sei es im Atelier oder in einer Ausstellung. Das gilt für den Beobachter, der durch ausgestellte Kunst kommuniziert und das gilt für den Beobachter, der über ausgestellte Kunst kommuniziert – also auch für die Autorin dieses Beitrages.
Herstellung und Darstellung von ausgestellter Museumskunst
Was passiert, wenn Kunst auf ein Publikum trifft? – Die Kunst wird der Interaktion freigegeben. Was bedeutet das? Erst da, wo Kunst draufsteht, steckt auch Kunst drin? Ist nur das, was unseren Erwartungen an Kunst genügt, auch Kunst? Diese Zuschreibung- und Kommerzialisierungsproblematik von Kunstform und Kunstinhalt tritt wohl für heutige Zeitgenossen am vordergründigsten im Aufkommen von Streetart zu Tage. Kunst musste bis in die 1960er Jahre im doppelten Sinne geframt sein, denn dann konnte man sie auch als solche kennzeichnen, beschriften, erklären und präsentieren. Im öffentlichen Raum kann sie dagegen unkontrolliert und oft unerkannt bleiben. Das „Becoming an Art Creator“ bzw. „Art Consumer“ – könnte man in Anlehnung an Howard S. Becker formulieren – wurde so auf ethnographische Weise durch Streetart kritisiert und neu definiert.[2]
Die Darstellung von Kunst war nicht mehr auf exklusive Ausstellungsorte beschränkt. Nicht überall, wo Eintrittspreise den Zugang zu bestimmten Räumen und nummerierten Gegenständen begrenzen, wird auch Kunst ausgestellt. Ähnlich gilt beispielsweise auch für die Musik, wie ein ethnomethodologisch schönes Krisen-Experiment zeigt, dass man auf diese nicht nur im Konzertsaal treffen kann: Getrügt von seinen Erwartungen vermutet man Violin-Virtuosen nicht zur Rush Hour in der Underground und verpasst dann aber ein Klassikkonzert von Joshua Bell.
Animierte Erlebnisdidaktik ohne Erlebnis
Es gibt also Kunst in Museen, und es gibt Interaktion über ausgestellte Kunst in Museen. Und! es gibt Museen, in denen wird nur noch „interactive“ ausgestellt, in Video und Audio. Auf den Siedepunkt treibt es wohl das Klimahaus in Bremerhaven: Auch wenn es sich laut Selbstbeschreibung nicht um ein Kunstmuseum handelt, sondern um ein „wissenschaftliches Ausstellungshaus“, kann man es als Beispiel für multimedial aufbereitete Banalität nehmen. Man steht in einer 3D-Wüste, fühlt Temperatur und Luftfeuchtigkeit, schwitzt unangehm im Dunkeln, sieht digitale Screens, hört Wind, tastet Sand und aktiviert bei der Hitze nicht zuletzt auch noch sämtliche andere Bedürfnisse und Körperfunktionen. Aber kein Besucher beschäftigt sich mit seiner sozialen Umgebung, sondern ist nur mit sich selbst und seiner biochemischen Sinnauslastung beschäftigt.
Erfahrene Lehrende aber wissen auch, dass Gruppenarbeit auf Interaktion angewiesen ist und nicht ohne Weiteres mit Multimediation kompensiert werden kann. Denn Bildschirme und Kursor sind nur einzeln als Vereinzelter nutzbar, und mehrfach technisch aufbereitetes Wissen ist meist selbsterklärend. Anregung, Irritation, Reflexion und Diskussion finden dann nur schwer gleichsam gemeinsam statt, mit der Folge, dass Solidaritätserfahrungen über Eindrücke und Erfahrungen eher spärlich ausfallen – wenn man nicht gerade auf das zeitnahe Auslösen von Körperfunktionen abstellt.
Kunst sucht den kostbaren Augenblick
Auch jeder aufgeweckte Reisende weiß um die Flüchtigkeit des Moments vor Ort: Unkontrollierte Multimediaproduktion und Konsumtion lässt da keine Zeit mehr zum gemeinsamen Erleben – auch wenn damit nicht gemeint ist, dass alle gleichzeitig das Gleiche erleben. Das gilt auch für das Erleben von ausgestellter Kunst im Museum. Es ist ein erkenntnistheoretischer Widerspruch, dem nicht nur die Pädagogik unterliegt, wenn unterstellt wird, „medial interaktive“ Vermittlung erlaube und fördere erst die Informationsaufnahme. Aber Erleben kann man erst, wenn man verharrt. Ohne Aufmerksamkeit zu (ver-)schenken, gibt es keine Reizaufnahme und damit auch keine Informationsverarbeitung, die einen Unterschied machen könnte.
Die Kommunikation von Kunst ist keine positivierte Beobachtung. Kunst ist keine Naturwissenschaft, als sei sie ein rein didaktisch zu präsentierendes und unveränderliches Ergebnis – losgelöst von der immer erst vom Beobachter zu leistenden Erkenntnis. Oder grotesker formuliert: Versteht man Kunst lediglich als Erkenntnis, dann verkommt sie in Museen zu wohl temperierten und abgepackte Informationshäppchen altersgemäß angerichtet und dosiert…., dann würden Museen zu Konsumtempeln transformiert, durch die Besuchergruppen wie Schulklassen gepfercht werden wie auf eine Fähre ohne den Weg selbst zu sehen und über ihn entscheiden zu können. Das Ziel ist bereits vor der Abreise definiert. „In drei Stunden treffen wir uns am Ausgang, und alle Besucher sind dann um 3-4 vordefinierte Erkenntnisse reicher oder ärmer. Das wäre dann schließlich ein Konsum, der nicht erst beim Verkauf von Werken, sondern bereits beim Besuch im Museum selbst beginnt – nach dem Motto „Ja, ich war da“ oder „Ja ich hab’s gesehen“. Und dies nicht, weil die Eintrittspreise exorbitant steigen und die Künstler anscheinend zu populär oder bereits kommerzielle Unternehmer seien. Zwischen den hier absichtlich überzogenen Szenarien, gibt es bereits jetzt zu beobachtende Zusammenhänge. Ohne diese hier empirisch angemessen dokumentieren zu können, lassen dennoch einige skizzieren.
Kunstkonsum und Konsumkunst
Manche Museen sehen sich einem schieren Überangebot an Künstlern und Kunstkommunikation gegenüber. Und es gibt Museen, die leiden ebenso wie andere moderne Organisationen unter Anpassungs- und Homogenisierungsdruck. Wenn die internationalen Adressen regelmäßig die großen und gleichen Künstler wie Gerhard Richter, Andy Warhol oder Takashi Murakami die Bühne bieten, dann folgt diese Ausstellungspraxis ähnlichen Logiken wie Managementmoden in der Beraterbranche – nämlich den von Kuratoren erwarteten Kundenerwartungen an Kunst und Museumsbesuche. Bekannte Gesichter und Gebäude locken den ersehnten Strom von Besuchern, die dank aufwendigen Marketings endlich auch mal nach großbürgerlicher Manier Künstler und Werke mit Namen zuordnen können.
Zugleich legitimieren diese Museumspraktiken öffentliche Zuwendungen der Politik und ihrer Verwaltungen. Und das aus gutem Grund, denn so kommt die Ausstellung von Kunst einer breiten Masse zu gute statt nur einer gehobenen Klasse. Dem entspricht auch der aktuelle Trend der Deutschen zu Städtereisen. Für die Übernahme der Urlaubs-Rolle eines distinguierten, kunstinteressierten Städtetouristen ist dann der Besuch einer Ausstellung im städtischen Museum als einer zentralen lokalen Sehenswürdigkeit unverzichtbar. Das Schlange-Stehen vor der Ausstellung wird dabei als Event im doppelten Sinne in Kauf genommen.
Wie und wie viel Kunst darf’s heute sein?
Ergebnisorientierter Kunstkonsum ist natürlich psychisch wie rechtlich legitim. Aber wenn man einmal erlebt hat, wie viel mehr im Museum als Lern- und Diskussionsort stecken kann, geht man mit einer anderen Erfahrung und Erwartung in ein Museum statt mit dem Minimalanspruch: „Ich war da, hab’s gesehen, war in Ordnung.“ Das Schweigen danach ist erlaubt, aber eben dann oft auch gegenüber anderen erklärungsbedürftig: Warum war man dann überhaupt freiwillig gerade in jene Ausstellung gegangen ohne irgendwas gesucht zu haben? Dann hilft nur noch sozial erwünschte, retrospektive Sinngebung[3].
Doch Kunst ist bereits ein Medium, und wie mit anderen Medien kann man mit ihrer Hilfe eine Kommunikation anfangen und ihr – wie auch immer gerartetes – Verstehen aufschieben. Kunst kann deshalb roh und ohne Multimedia verzehrt werden. Sie muss nicht interaktiv überkocht werden, damit ihre Verdauung möglichst direkt einsetzt. Denn ein Einheitsbrei wird selten noch zum Geschmackserlebnis, bei dem sich Eindrücke von anderen unterscheiden ließen.
Moderne Museumsorganisation
Zwischen Museumsorganisation, Kunstwirtschaft, Kulturpolitik und Besucher-Erwartungen entstehen dabei bestimmte Selbstverstärkungseffekte: Kunst wird immer mehr standardisiert ausgestellt, als fertiges Wissensprodukt konsumiert und weniger in einem auch mehrdeutigen Erkenntnisprozess ausgehandelt. Kulturpessimisten befürchten und beobachten dabei, dass weniger bekannte oder museumsmäßig vermarktbare Kunst dann vermutlich weniger nachgefragt wird – sei es seitens des Publikums, der Galeristen, Kuratoren oder Investoren. Gleichzeitig tendiert der Besuch oder der Besitz von Kunst zum Happening stilisiert zu werden, bei dem wegen knapper Aufmerksamkeit vor Ort die Kommunikation mit, durch und über Kunst im Allgemeinen und die ausgestellten Kunstwerke im Besonderen in den Hintergrund zu rücken drohen. Denn wenn jedes Bild einheitlich trivial erklärt wird und man sozial wie räumlich ähnliche Perspektiven einnimmt, erkennt man wenig Lücken, kaum Kanten, hat keine Fragen – Selbstbestätigung statt Selbstverunsicherung ist dann der Effekt. Dann wird es langweilig, keiner fällt mehr aus der Rolle oder wagt sie zumindest mal zu überziehen. Ohne Mehrdeutigkeiten, die es zu entdecken, diskutieren und zu kontrastieren gäbe – sei es direkt an Ort und Stelle oder erneut betrachtet aus der geteilten Erinnerung.
Zusammengefasst: Was Form und Inhalt von Ausstellungskunst angeht, scheinen Museen und Besucher heute salopp formuliert in einem Wettlauf unterschiedlicher Erwartungen zwischen Multimedia-Animation und Massen-Publikum zu stehen – zwischen dem, was als technisch möglich und wirtschaftlich oder politisch als förderlich angesehen wird. Wie auch immer man diese Beobachtung normativ bewerten mag, das Aufzeigen sich hochschaukelnder Erwartungserwartungen an ausgestellte Kunst rückt das Museum als Ort der Interaktion und des Diskurses über das, was es zu entdecken gibt, und über das, was als Kunst(kommunikation) gilt, ins Licht des Betrachters – zumindest des geistig und gesellschaftlich Interessierten.
Die Kunst der Bebachtung: Man kann es auch anders sehen
So sehr man mit Konrad Liessmann’s eher assoziativer Philosophie in wirtschaftlichen Trends, organisatorischen Standardisierungen und politisch-rechtlichen Inklusionsimperativen der Gegenwart (etwas analytisch einseitig) eine Nivellierung von Grenzen diagnostizieren mag, so sehr ist damit aufzeigbar, wie Kunst gerade mit ihrem Gegenteil überzeugt: Kunst grenzt aus und zugleich ein. Aber nicht nur in der materiellen Form. Kunst zwingt den Künstler wie den Beobachter zur Abgrenzung gegenüber persönlichen und damit immer auch gesellschaftlichen Erwartungen und Beobachtungsroutinen. Grenzziehungen sind damit für beide erkenntnisstiftend, denn die Kunst der Beobachtung beruht nicht zuletzt informationstheoretisch gerade auf der Fähigkeit, Unterschiede zu bezeichnen, die einen Unterschied machen.
Spätestens seitdem es abstrakte, moderne Kunst gibt, spielt Kunst mit den normativen Erwartungen des Publikums im Besonderen und mit denen der Gesellschaft im Allgemeinen. Der Künstler erwartet, dass sein Publikum normalerweise andere – eben als normal erwartete – Seherfahrungen macht. Aber Kunst weicht gerade von diesem Standart-Normalerwartungen ab. Kunst medialisiert das Kontrafaktische könnte man ebenso abstrakt formulieren: Der Künstler konterkariert seine erwarteten Publikumserwartungen. In Anlehnung an die soziologischen Klassiker Emile Durkheim und Niklas Luhmann kann man auch sagen, dass der Künstler gar förmlich den Skandal sucht. Und wie bei Skandalen in Wirtschaft und Politik, wird bei moralisierten Normbrüchen erst erkennbar, welche normativen Erwartungen gerade in einer Gesellschaft vorherrschend sind. Normative Erwartungen lassen sich vor allem an ihrer Enttäuschung bzw. Irritation erkennen und nicht an ihrer Erfüllung. Und erst in diesem Sinne lässt sich dann auch verstehen, was gemeint sein könnte, wenn behauptet wird, „Kunst sei immer auch ein Spiegel der Gesellschaft“. Die unkonkretisierte Feststellung allein sagt noch wenig aus, denn welche wie auch immer kommunizierte Erwartung an die Erwartungen Anderer wäre das nicht – wäre also nicht auch gleichzeitig Vollzug von Gesellschaft?
Beobachtung und Reflexion von Normierungsmoden
Auf einer zweiten Ebene kann man unterstellen, dass der Künstler außerdem erwartet, dass die Beobachter von Kunst, (ihre) Erwartungen an (seine) Kunst reflektieren. Dies geschieht nach ähnlichen Prinzipien, nach denen die Kreation von Mode funktioniert: Ein Teil des Werks – sei es Form oder Inhalt – wiederholt etwas Altes, Normales bzw. Bekanntes während der andere Teil etwas Neues, Irritierendes bzw. Erwartungsfremdes einführt. Form und Inhalt der Kunst ergeben dann ein jeweils vom Beobachter selbst zu bestimmendes Verhältnis von Imitation und Originalität[4] – sei es in Bezug auf Material, Technik oder Farbe (Form) oder in Bezug auf den Titel, das vermeintliche Motiv oder die Bildelemente und -kompositionen (Inhalt).
Und während historisch gesprochen noch bei gegenständlicher(er) Kunst versucht wurde, die alten Normalitätserwartungen der lokalen Oberschicht zu erfüllen, adressiert abstrakte Kunst eine internationale Weltgesellschaft, von dessen unterschiedlichen Normalerwartungsnormen versucht wird, ganz ungeniert und unvermittelt abzuweichen. Moderne Kunst ist damit auch immer eine visualisierte soziologische Beobachtungsart. Dies lässt sich zumindest für sozialkonstruktivistische Soziologien folgern. Der Kubismus wäre beispielsweise eine künstlerische Antwort auf dekonstruktivistische Sozialtheorien.
Kunst als soziale Täuschung von Normalerwartungen
Man kann aus dieser Perspektive nicht nur ausgestellte Kunstwerke beobachten, sondern auch zweitens wie Kunstwerke mit ihrer sozialen Umwelt kommunizieren, also wie Andere Kunst beobachten. Und drittens wie Kunst dabei nicht zuletzt in Dialog mit anderen Werken im Raum und mit der zeitlichen Erinnerung des Beobachters tritt. Dies ist derzeit eindrucksvoll im Frankfurter Liebieghaus zu sehen, in dem die ständigen Epochen-Exponate vergangener Kunstprofessionen im Wechselspiel mit temporären Auftragsskulpturen des gegenwärtigen Kunstunternehmers Jeff Koons stehen. Wer in diesem Ausstellungshaus die Besucherrolle einnimmt, der vermag in den Genuss von Kunst zu kommen, die ohne viel Erklärungskommunikation auskommt und gerade deshalb so reichhaltige Anschlüsse für die hier diskutierte Kommunikation durch und über Kunst in Museen gibt.
Kunst ist bei Koons im doppelten Sinne zum Anfassen nah. Sie täuscht den Betrachter mit der benannten Kraft des Kontra-Intuitiven. Man erwartet von billigen Plastikmotiven und Kunststoffformen zunächst Leichtigkeit und nicht die monumentalisierte Masse des schwer schwebenden Gegenteils. Man erwartet von Porzellan hässlichen Wohnzimmer-Kitsch und nicht perfekt harmonische Kunst-Kreationen für den Garten. Und man erwartet gemäß seinen Beobachtungsroutinen von einer Louis XIV Büste, dass sie in Marmor gefertigt ist und nicht in silbernen Ederstahl und daherkommt wie ein in Schokoladenpapier umhüllter Pinguin.
Derartige Erwartungsbrüche, die Koons mit seinen ungewöhnlichen-gewöhnlichen Verbindungen von Form, Material und Inhalt dem Betrachter aufdrängt, treten gerade in den ausgewählten und nach Epochen sortierten Räumen des Liebieghauses kontrastierend hervor. Ein von Engeln begleitetes und geschnitztes Hummel-Figuren-Schwein steht neben Holzschnitten des Mittelalters. Ein aus weniger-Spiegelglas-als-Gold gemachter Spiegel steht im Rokokosaal. Ein noblessenhaft, goldiger Michael Jackson mit Bubbles à la Meissen ziert den ägyptischen Raum. Und eine in violetter Weihnachtskugelform gebrachte Venus von Willendorf, die im Gegensatz zu ihrer minitiösen, matten Kalkstein-Vorlage übergroß glänzend anmutet, aber an einen Weihnachtsbaum hängend ihm sein Anlitz rauben würde, bildet das Zentrum der antiken Sammlung. Wenn man die Räume betritt, setzt augenblicklich ein Such- und Vergleichsprozess in Gang, der den Betrachter mit den eigenen Erwartungen und den Erwartungen an die Erwartungen des Künstlers konfrontiert: Welches Werk gehört wohl nicht zur ständigen, alten Ausstellung und was ist bei ihm neu bzw. ähnlich als bei den anderen. „Wo ist der Fehler“ könnte die Rätselfrage lauten, die Kunst hier völlig multimediationslos zum unterhaltsamen Erlebnis macht, denn selbst blitzloses Ablichten ist nicht erlaubt.
Reden und Schweigen über Kunstkommunikation
Dabei kann auch die Kommunikation des Nicht-Verstehens der Beginn von anschlussreichen Kommunikationen sein. Denn Schweigen im Museum – wo es zwar angeordnet, jedoch als leises Sprechen die Regel ist – kann selbst als Kommunikation verstanden werden. Das Bild sagt mir gar nichts ist immerhin eine kommunizierte Beobachtung, die weitergeführt werden kann. Sie ist noch dazu das Parade-Thema über die Moral von der Kunst schlechthin. Und Kunst, die beim Betrachter ungeahnte Pointen setzt, erlaubt nicht zuletzt die Erkenntnis, dass jede Kommunikation – wie eben auch die Kommunikation über und durch Kunst auch – nicht zugleich richtiges, psychisches Verstehen bedeutet. Mit anderen Worten: Man kann nicht wissen, was der Partner oder Kumpel neben einem im Museum gerade denkt. Genauso wenig kann man wissen, was der Künstler sich dabei gedacht hat. Aber man kann darüber kommunizieren, inwiefern er sich dabei etwas gedacht haben könnte. Auch wenn die Wahrheit oder Richtigkeit darüber dem Künstler wie dem Besucher verschlossen bleibt, gerade die psychische Unbestimmbarkeit ist Bedingung für Kommunikation und sie erlaubt das Werk und dessen Interpretation immer wieder neu bzw. anders sehen zu können. Das gilt auch für den Künstler selbst, wie uns beispielsweise Picasso mit seinen Variationen zu Velázquez‘ Las Meninas typisch-kontrafaktisch vor Augen führt. Und es gilt ebenso für theoriegeleitete Beobachter, die die (Un-)Sichtbarkeit des Betrachters in Velázquez (Spiegel-)bild zu soziologisieren oder politisieren suchen.[5]
Nichts ist so lehrreich wie der Vergleich von Darstellung und Herstellung?
Nichts ist so lehrreich wie das Lesen alter Lehrbücher, schreibt Judith Schalansky. Liest man ein deutsches Geschichtsbuch von 1935, und nimmt dann ein Exemplar aus dem Jahr 1998 zur Hand, und dann ein weiteres, noch zur Publikation ausstehendes, in dem dann vielleicht die von Schalansky vorgeschlagenen leeren Seiten zu sehen wären, dann lassen sich anhand der hier aufgriffenen Unterscheidung von Darstellung und Herstellung Verbindungen ziehen. Denn was sich über die Darstellung und Herstellung von Geschichte in Geschichtsbüchern beschreiben ließe, könnte man auch auf die Herstellung und Darstellung von Kunst in Museen übertragen. Als Heuristik eröffnet die Unterscheidung zumindest einen methodischen Blick für einen Vergleich von vergangenen und zeitgenössischen Ausstellungspraktiken von Kunst. Doch das Wie der Ausstellungsformen und -inhalte von Museen scheint derzeit kein künstlerisches Thema von Kunst, keine (organisations-)soziologisches und auch keines von Museumsaustellungen selbst zu sein. Aus der Ausstellungs-Perspektive stellt sich abschließend die Frage, wie wohl eine Kunst-Ausstellung aussehen würde, die sich einem sozialen Einzelphänomen, wie den genannten Ausstellungsnormen und -logiken von Kunst in Museumsorganisationen widmet?
Ausstellungen, die sich einem Thema – sei es in Bezug auf die Kunstform (Architektur, Plastik oder Gemälden), das Material (Bronze, Beton, oder Bitumen) oder die Kunstinhalte (Romantik, Moderne oder Zeitgenössische; bzw. alltagsfreundlicher: Teufel, Gesichter, Piraten, Frauen, Wissenschaft) zuwenden, gibt es vereinzelt. Aber auch dabei stehen eher der Künstler als Person und natürlich sein Werk im Vordergrund. Eine mögliche Frage an eine bislang unbeachtete Visuelle Soziologie lässt sich bereits stellen: Wie würden wohl Künstler technische, wirtschaftliche, künstlerische oder politische Ausstellungs-Normalerwartungen von Kunst beobachten?
[Bild] Flickr Youndoo Barnett Newman, Museum of Modern Art (Moma) NYC.
[1] Japp, K.P. / Kusche, I., 2004: Die Kommunikation des politischen Systems: Zur Differenz von Herstellung und Darstellung im politischen System. Zeitschrift für Soziologie 33 (6), S. 511-531.
[2] Becker, H.S. 1953: Becoming a Marihuana User. In: American Journal of Sociology, Vol. 59, No. 3 (Nov., 1953), pp. 235-242.
[3] Weick, Karl E. 1988: Enacted sensemaking in crisis situations. In: Journal of Management Studies, 25: pp. 305-317.
[4] Esposito, Elena 2003: Vom Modell zur Mode. Medien und Formen der Nachahmung. In: Soziale Systeme. Zeitschrift für Soziologische Theorie 9, Heft 1, S. 88-104.
[5] Baecker, Dirk / Bolz, Norbert / Fuchs, Peter / Gumbrecht, Hans Ulrich / Sloterdijk, Peter 2010: Luhmann Lektüren. Ableger Band 6. Berlin, S. 10.
es gibt keine überzeugende berechtigung für die kunst, da man sich heute für alles begeistern und sich gleichzeitig langweilen kann. doch so lange kunst noch nach kunst aussieht, gibt es wohl auch welche.
Solange ein wie oben beschriebener Kunst-Verweisungszusammenhang kommunikativ hergestellt ist, kann man soziologisch von Kunstkommunikation sprechen – ganz unabhängig davon, ob sich die Gedanken dabei langweilen oder begeistern.
Die letzte Frage dieses beachtenswerten Artikels ist durchaus pikant und m. E. bislang wenig behandelt worden.
Wie würden wohl Künstler technische, wirtschaftliche, künstlerische oder politische Ausstellungs-Normalerwartungen von Kunst beobachten?
Tatsächlich habe ich mich als Künstler (ausgehend von den Überlegungen Michael Lingners) dafür entschieden, keine Ausstellungen mehr zu machen.
Meine grundsätzlichen Überlegungen dazu hier:
http://blog.thing-frankfurt.de/artikel223.html
So beobachte ich bisweilen in meinem Blog die Problematik des Ausstellens. Es entstehen hin und wieder Postkarten:
http://www.thing-frankfurt.de/2009/stell-dir-vor-es-ist-kunst
oder
http://www.thing-frankfurt.de/2011/mehr-kuratoren-weniger-kunst
Herzliche Grüße
Stefan B.