Ohne Limitierung ist alles nichts. Schon im Kindergarten werden die Kleinsten beim Basteln mit der Weisheit genervt, dass der Kreativität so gar keine Grenzen gesetzt seien. Doch die erwachsenen Naseweise haben alle unrecht. Wozu Kreativität, wenn es keine Hindernisse gibt? Nur Einstein lag richtig: Das Einzige, was wirklich unendlich ist, ist die menschliche Dummheit. Heute, einhundert Jahre später wissen wir, das Internet ist es auch. Und so wurde es zum Sammelbecken. Endlich ward ein Ort gefunden, für die gesamte menschliche Dummheit.
Tim Pritlove nennt die Wikipedia (liebevoll) „allwissende Müllhalde“. Die Piraten brauchen keine politischen Gegner, sondern nur das Internet, um sich bis zur Bedeutungslosigkeit zu zerfleischen und Sascha Lobo hat heute, nicht als Erster, aber als einer der wenigen unter allen Autoren, die sich schon mal am „Shitstorm“ versucht haben, zielsicher über den Phänotyp geschrieben: den unentrinnbaren Hass in der digitalen Gesellschaft.
Nun meint Kathrin Passig daraufhin aber: Nicht Pistolen erschießen Menschen, sondern Menschen erschießen Menschen (oder so ähnlich). Na, wenn sie meint! Im Internet ist noch viiiel Platz für Weisheiten. Bleiben wir lieber bei Sascha Lobo. Denn in seinem Text findet sich witziger Weise ein Halbsatz zum Halbsatz, der vom Phänotyp auf den Genotyp des Hasses in der digitalen Gesellschaft verweist: „Diese Komik lässt erahnen, was der Halbsatz voraussetzt.“
Es ist interessant, was ist; was wir sehen; wofür wir ein Schulfach einrichten können. Interessanter aber ist, wie sein kann, was ist, was wir sehen, … . Es geht um die Bedingungen der Möglichkeiten des Hasses in der digitalen Gesellschaft. Ja, in jedem von uns schlummert ein „kleines Hassmonster“. Bei der Erörterung der Bedingungen sozialer Phänomene spielt die Psychologie des Einzelnen aber in der Größenordnung kaum eine Rolle, weil eine ebenso individuelle Therapie nie über die Beachtung der Wirkungen hinaus käme.
Man könnte natürlich trotzdem anfangen zu therapieren, aber unendlich bleibt nur das Internet, nicht auch die Tatkraft der Therapeuten. Stattdessen: Die „Hasshornhaut“, von der Lobo als individuelle Lösung spricht, gibt es auch für die Gesellschaft. Sie wächst von ganz allein. „Das Internet“ entledigt sich derzeit rasant seiner eigenen Bedeutung. Vielleicht erinnert sich noch jemand an 2006 und die „Klowände-Diskussion„. Das Internet steht kurz davor, aus der ersten Bundesliga der Bedeutungsträger, die von pferdehaarigem Papiergeld über bedruckte Buchdeckel bis zu Werbeaufklebern reicht in die zweite Liga abzusteigen, sich mit Klowänden, Hochhausflurpinwänden und Einkaufszetteln um die letzten Plätze zu streiten. Wer vom Internet nur Facebook und Amazon kennt, winkt heute schon müde ab. Die restlichen 0.003 Prozent* argumentieren autosuggestiv und wirr.
2008, als wir beispielsweise mit den Sozialtheoristen anfingen, war WordPress gerade soweit, benutzbar zu sein, man hatte die Technologie durchschaut, doch wozu man sie benutzen konnte, darum rankten sich überall noch Wille, Wünsche und Vorstellungen. Heute ist das Internet fast ausschließlich zum Sprungbrett der Möchtegerne verkümmert. Fast jedes Engagement, das auf es angewendet wird, ist ein durchschaubarer Exitversuch, hin zu Institutionen. Sei es als etablierte Medieneinrichtung mit Werbekunden und strammer Leserschaft, hin zu Partei und Parlament, hin auf die größere Bühne. Da verfängt sich viel Enttäuschung.
Die ganzen Flüssigkeits- und Schwarmanalogien haben sich nur in einem Sinne bewahrheitet: Hass, Lustlosigkeit und Langeweile. Die wenigen Ecken, in denen konstruktiv, lebensfroh und lustig agiert wird, werden kaum noch beachtet. Sie werden einfach überspült. Mit persönlichem Erschrecken musste ich feststellen, dass nicht einmal Max Winde noch bei klarem Verstand ist. Er behauptet jetzt einfach: „Twitter war nie eine Witzemaschine.“
Diese fremde Einsicht zerstört sogar die Pointe dieses Textes. Denn mit einem Blick auf den Anfang, hätte ich dafür plädiert, von Twitter zu lernen, und zwar die einfache Wahrheit: Dass Limitierungen, als Herausforderungen, zu Anderem, Neuem, Besserem führen und sei es zu Beginn schlicht ein Maximum von 140 Zeichen das selbst Klugscheißer zur Witzigkeit zwingt. Aber nicht einmal das schein im Internet zu gelten.
Also schließt der Text statt mit einem hoffnungsvollem Witz, mit einer für wenige Hoffnungsvolle bitteren Wahrheit: Ohne Twitter, läge die Piratenpartei jetzt noch bei 10%.
(Bild: Rafe Blandford)
*0.003 Prozent ist natürlich kühn kalkuliert. Aber solange ich (per Rivva.de) nicht erleben, dass auch nur ein Blogtext mal mehr als 1000 Mal getwittert wird, ist die Angabe sogar noch hoch gegriffen.
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