Unverstandene Union: Über unlösbare Organisationsprobleme eines politischen Dachverbands

14473724517_20f621d512_kEin Ausfall der Übersetzungsanlage ist hier wohl noch das geringste Problem: Sitzung des Straßburger EU-Parlaments. Bild/Rechte: Europäische Union.

Die „Brexit“-Debatte beschäftigt die Medien. Was dem Austrittsbegehren der Briten folgt, ist ein reger Wettbewerb um Reformideen zur Struktur der EU.1 Die Stärke dieser Reaktionen liegt in ihrer leicht zugänglichen, sehr emotionalisierten Betrachtungsweise. Folglich liegt ihre Schwäche zugleich darin, dass spezifische Voraussetzungen und Bedingungen der Organisation EU als Organisation nur rudimentär und normativ in Augenschein genommen werden. Eine dagegen womöglich instruktivere Problembeschreibung bietet der Ansatz der „Meta-organizations“ der schwedischen Organisations- und Wirtschaftswissenschaftler Göran Ahrne und Nils Brunsson2, dessen Relevanz ich zunächst punktuell skizzieren werde und anschließend auf zwei umfangreiche Organisationsprobleme der EU eingehe.

Meta-Organisationen3 sind solche Fälle formaler Organisation, die nicht primär Individuen, sondern eben Organisationen zu ihren Mitgliedern zählen. Man denke an Krankenkassen- und Kirchenverbände, Handwerks-, Industrie- und Handelskammern, an Gewerkschaftszentralen oder eben als besonderen Fall die EU. Alle Meta-Organisationen verbindet ihre markante Abweichung von „normalen“ Organisationen, wie sie als Unternehmen, Krankenhäuser, Vereine, Schulen oder Verwaltungen vertraut sind. Meta-Organisationen beruhen auf einem relativ exklusiv gebildeten Mitgliederkreis. Überhaupt werden neue Mitglieder eher „erkoren“ als rekrutiert. Relativ übergreifend definierte Aspekte entscheiden über den Zutritt von Organisationen, welche für die Verbundorganisation Passung versprechen. Die Mitgliedsorganisationen können aber nicht über Weisungen koordiniert werden, da aufgrund gleichberechtigter Zugehörigkeit keine formale Hierarchie gebildet wird. Dies wiederum ermöglicht die Schaffung informeller Allianzen und Koalitionen, die wahrscheinlich werden, da es an formalen Sicherheiten und Schranken in den Mitgliedschaftsbeziehungen mangelt. Diese Konstitution hat markante Folgen: Erstens können Mitgliedschaftsregeln nur äußerst deutungsflexibel, z. B. über rechtlich bereits geteilte oder künftig als teilbar deklarierte Werte, formalisiert werden. Die meisten Meta-Organisationen sind daher auch sehr bemüht, Eintrittskriterien an relativ überschaubaren Normen zu fixieren. In der Folge können Mitglieder in aller Regel auch nicht ausgeschlossen werden; ein folgenreiches Schutzprinzip, das typischerweise für „typische“ Organisationen untypisch ist. Zweitens fehlt es der Meta-Organisation – die ja vergleichsweise abstrakt bleibt – an Mitteln, Kontrolle über ihre Mitglieder auszuüben, da dies die Gefahr von innerer Opposition verstärken und Selbstselektion wahrscheinlich machen würde.4

Konsens als Prinzip

Einen diesbezüglich besonderen Fall stellt das Gebilde der EU dar, da man deren Mitglieder üblicherweise gar nicht als Organisationen wahrnimmt. Mitglieder dieses Verbundes sind „ganze“ Staaten – eine auf den ersten Blick ausgesprochen gewöhnungsbedürftige Konstruktion.5 Müssen „Meta“-Mitglieder bei Aufnahme eine prinzipielle Vereinbarkeit mit dem allgemein definierten Zweck sowie den wirtschaftlichen und politischen Standards des Bündnisses aufweisen6, so beruht ihre Mitgliedschaft in aller Regel auf dem Konsensprinzip, das unvermeidlich zu erheblichen Entscheidungsschwächen der Dachorganisation beiträgt. Umgekehrt ist ein Ausschluss unmöglich, schließlich hat die EU wie jede Meta-Organisation ein Interesse daran, keine Teilorganisation zu verlieren und damit Nachahmung und Schwächung des Bundes zu riskieren. Mitgliedsstaaten können somit faktisch ihre Meta-Organisation offensiv behindern, ja gar in Misskredit bringen (wie im Fall der EU fortlaufend gesehen werden kann).7

Meta-Organisationen können gerade aufgrund der Unbestimmtheit eines Austritts diesen langwierig gestalten, mit einem umfangreichen Verwaltungsverfahren belegen oder mithilfe juristischen Feinwerks regelrecht erschweren.8 Die derzeitige Debatte, in der man sich sehr auf das Verfahren und die Konditionen des Austritts Großbritanniens fokussiert, spricht diesbezüglich Bände. Schon im Vorfeld – wie geschehen – werden trennungswillige Mitgliedsorganisationen mit Aussichten auf Vergünstigungen (siehe „Briten-Rabatt“ und Zugeständnisse in der „Griechenland-Krise“) bedacht, um Austrittsszenarien unwahrscheinlich zu halten. Diese riskanten Sonderleistungen der Meta-Organisation EU führen aber bei allem Erfolg (Besänftigung bzw. vergleichsweise Einigung) zugleich zu neuen Schwierigkeiten, da Vorteilsgewährung durch andere Mitglieder beobachtet und früher oder später mit eigenen Aushandlungen (richtiger: Drohpotenzialen) gegen die Dachorganisation beantwortet wird. Für einen einmal gewährten Mitgliedsstatus besteht damit ein genereller „Kündigungsschutz“. Hier unterscheiden sich Meta-Organisationen erheblich von „normalen“ Organisationen, die alltäglich Mitgliedschaften eröffnen und auch wieder beenden, da der Eintritt in eine Vereins- oder Arbeits-Organisation relativ zügig erfolgt und es viele Möglichkeiten des Wechsels in eine andere, ähnliche Organisation für bisherige Organisationsmitglieder bzw. Interessenten gibt.9 Und da politische Konstellationen wie jene der EU sich monopolhaft entwickeln, müssen selbstinitiierte Trennungen für die Mitglieder überhaupt mit einem hohen Maß an Unsicherheit und drohendem Einflussverlust kalkuliert werden.10

EU-Bürger als „Schattenmitglieder“

Erscheint die Meta-Organisationsstruktur hinsichtlich Entscheidungsfragen problematisch, so zeigt das Beispiel der EU eine besonders spezielle Variante. Der Grund dafür liegt in ihrer politischen Rahmung, die eine eigentümliche Doppelbindung zwischen Organisation und Staatlichkeit aufweist. Eigentümlich ist diese Doppelbindung, da einerseits versucht wird, formale Organisation so weit wie möglich dezent zu halten, wiewohl doch nur über Organisation politische Kooperation organisierbar ist; und andererseits, da Staatlichkeit ausschließlich multipel in Form von Nationalpolitiken in Erscheinung tritt, obschon doch gerade über Organisation der Versuch unternommen wird, regelrecht „vereinigte“ Staatlichkeit zu präsentieren. Eine weitere, leicht übersehene, Problematik ergibt sich aus der vielfach beschworenen „Unionsbürgerschaft“ der tatsächlichen Bevölkerung der Mitgliedsstaaten, die sachlich richtiger vielmehr als „Schattenmitgliedschaft“ zu bezeichnen wäre. Individuen können nach dem Konzept der Meta-Organisation keinen direkten Mitgliedsstatus beanspruchen, sie gehören zum Publikum (Wähler, Bürger)11, werden jedoch – der Selbstbeschreibung des EU-Konstrukts folgend – konsequent als relevante Mitgliedergruppe fingiert. Ausgleichsweise wird man von „mittelbaren“ und „unmittelbaren“ oder „originären“ und „derivativen “ Mitgliedschaften ausgehen müssen, wenngleich damit die Frage der Statuspriorität aufgeworfen wird, die in der Organisationsforschung klar zugunsten der Organisation (und nicht des derivativen, ja „unsichtbaren“ Individuums) entschieden werden kann. Dieser Punkt macht deutlich, wie implizit konfliktreich die Mitgliedschaftsbeziehungen einer an politische Legitimation rückgebundenen Meta-Organisation angelegt sind.

Die Beschreibung der EU als Meta-Organisation vermag in der Organisationsforschung Interesse auf sich zu ziehen. Dennoch scheint sie nicht eben leicht mit den gegenwärtigen Strukturdiskussionen um die Zukunft der EU kompatibel. Schließlich liegt die Stärke dieses Ansatzes gerade darin, eingedenk der widerspruchsvollen und entscheidungsproblematischen Organisationsstruktur voreilige Erwartungen (und: Entscheidungen) hinsichtlich „richtiger“ Reformen zu dämpfen, die im Übrigen in Endlosschleife Gefahr laufen, wiederum noch richtigere Reformen aus (noch zu) unrichtigen zu erzeugen.12

Demokratie im Überschuss

Aus der Vielzahl der Organisationsprobleme, die sich für nähere Analysen fruchtbar machen lassen, sollen zwei aktuell diskutierte knapp umrissen werden: die Bemängelung von „Detailregulierung“ und jene Kritik, die sich unter der Behauptung von „Demokratiedefiziten“ sammelt. Zunächst zu letztem Punkt: Organisationstheoretisch reflektiert erscheinen Defizite an Demokratie der EU-Organisation nur schwer nachvollziehbar. Viel eher besticht die umgekehrte These. Nicht Defizite an Demokratie machen den EU-Betrieb problematisch, sondern ein Demokratieüberschuss, da demokratiestaatliche und organisatorische Belange der EU unvermeidbar miteinander konfligieren. Während auf nationalstaatlicher Ebene Zwischenschaltung von Organisationsstruktur ausgeschlossen und gerade Unmittelbarkeit demokratischer Willensbildung als Merkmal „funktionierender“ Rechtsstaatlichkeit zu werten ist, wird im Gebilde der EU Organisation umfassend präsent. Dabei ist es unmöglich, Organisation lediglich organisatorisch zu begreifen, was indes gerade eingedenk der Rücksichtnahme auf nationalpolitische Willensbildung geschieht. Mit anderen Worten soll (politische) Organisation zwar funktionieren, aber offensichtlich gerade nicht als Organisation („Apparat“) institutionell hervortreten. Solche Erwartungsdifferenz bleibt fiktiv, da keine Formalorganisation bekannt ist, die eine lediglich instrumentelle Verwirklichung ihres Betriebs ermöglichen würde (vulgo: nur dafür sorgte, dass der „Laden läuft“).13 Dies gilt auch für all jene Organisationen, die über ihre „Schauseite“14 offensiv mit einer reduzierten, wenn nicht bescheidenen Organisation aufwarten; wie es bei staatlichen, gemeinnützigen und mildtätigen Einrichtungen zu sehen ist, die sehr bemüht sind, institutionelle Facetten der Organisation aufgrund gerade daraus drohender oder bereits verfestigter Legitimationsprobleme (eben der Organisation als Organisation) dezent zu halten. Das strukturelle Problem einer „organisierten“ EU besteht also darin, auf institutionelle Präsentation, ja „Ornamente“ ihrer Organisation schon aufgrund der repräsentativen, völkerrechtlichen Stellung angewiesen und (doch) zugleich „genötigt“ zu sein, die institutionelle Eigendynamik ihres Instanzenzugs möglichst hintergründig zu halten. Das „Institutionelle“ der Organisation muss gegenüber dem Publikum, den Bürgern, verdeckt, mithin sekundär präsentiert werden,15 gerade um so die Organisation als Institution zu bewahren, stabil bzw. zustimmungsfähig zu halten.16

Regulierung als Ausweichpolitik

Eine weitere, im politischen Apparat und dessen Publikum viel diskutierte, Kritik bündelt sich im Punkt der (überhöhten) „Detailregulierung“ und insofern einer (zu) starken Intervention in nationalstaatliche Belange.17 Dass dieser Pauschalverdacht in Angelegenheiten der EU derart konfliktreich im Raum steht, ist nicht allein aus dem zeitlosen Phänomen der Bürokratie-Debatten an sich zu erklären, sondern gerade aus dem zweckdiffusen und daher unvermeidbar problematischen Organisationsbau der EU.18 Vor allem scheint es so zu sein, dass so genannte hohe Detailregulierung eine Reaktion der Ausweichpolitik darstellt. Mit anderen Worten, um überhaupt etwas mit/in dieser Organisation erreichen zu können, bedarf es taktischer Verschiebung der Handlungsstruktur; im Ganzen: der Zweckorientierung der Organisation. In der Konsequenz beschäftigt man sich mit dem (vermeintlich) Nebensächlichen und überbrückt routinebildend Mangel an Tätigkeiten von größerem politischem Umfang.19 Im Übrigen wird der unaufhörliche Zustrom inkonsistenter Entscheidungsbedarfe im politischen System üblicherweise mit – so der Luhmannsche Begriff – „Darüberreden“ beantwortet: „Die Probleme werden als Probleme behandelt mit einer Präferenz für unlösbare Probleme (…), über die man folgenlos reden kann, weil ohnehin nichts Effektives geschehen kann“ (z. B. EU-Steuerpolitik) oder es werden Probleme erfunden „um Problemlösungen zu vermeiden und andere damit zu beschäftigen“20.

Organisationsentscheidungen müssen demnach wesentlich anders erwartet werden, als es in größeren Organisationsgebilden ohne politische Rahmung zu sehen ist. Wo der Konsens der Instanzen die Voraussetzung für Entscheidungsfähigkeit darstellt und Nicht- bzw. Ausweichentscheidungen diesen Mangel kompensieren, wird aber – und darin liegt eine Pointe – „Grobregulierung“ nur weiter erschwert und unwahrscheinlich. Was also soll man richtigerweise in und mit solchen Polit-Betrieben anfangen? Die Organisation schafft sich eigene Reserven der Selbstbeschäftigung. Die Routinen und Prozeduren zeigen zwar Tätigkeit an sich, doch bleibt dabei sehr unklar und in der Zuordnung arbiträr, was alles Getane für die Nationalstaaten abwirft oder eben dadurch für die Staaten wieder verloren geht. Diese Überbrückung ist nicht eigentlich als Unterbeschäftigung zu verstehen, sondern dem Umstand geschuldet, dass es sich um eine Programmierung in der Organisation handelt, mit der man permanent an einer noch unfertigen, an „prozessierter“ Zweckbestimmung zu tun hat (was ihr merklich selbst zu schaffen macht). Was die EU einmal sein kann, ist Angelegenheit eines hypothetischen, zukünftigen Gebildes. Es ist ja nicht eben organisationstypisch, Zwecke derart prozessual über Wohl und Wehe der Mitgliedschaften auszurichten, also die Organisationsexistenz in die Hände der Mitglieder zu legen. Aber paradox wird es, wenn Organisationen permanent im zeitlich-sachlichen so-als-ob-Modus agieren müssen, zukünftige Szenarien voraussetzen und kalkulieren, über deren Verwirklichung man heute – im Voraus – wenig sagen (vor allem wenig dafür, wohl aber dagegen: boykottieren oder austreten) kann.21 Dass sich solche Organisationsgebilde, die auf künftige, noch „werdende“ Zwecke hinauslaufen, mit verselbstständigten Abläufen, eigendynamisch widerstrebender Aktivität und provisorischer Herstellung von Doppelstrukturen zu befassen suchen, liegt auf der Hand. Letztlich kommt man ja mit Meldungen über die routiniert gefürchteten „Diktate aus Brüssel“ über die Schwelle der Aufmerksamkeit des relevanten Publikums.

Diese Perspektive dürfte die Provokation beinhalten, dass die Ausbildung einer politischen Meta-Organisation vor allem dann Stabilität unter Beweis stellt, wenn sie sich nicht an staatsträchtigen „Mega-Meta“-Lösungen, sondern in möglichst ausgetüfteltem Detailwerk (wozu das inzwischen geschaffene, nach Juristenmeinung hochkomplexe EU-Recht hinlänglich Gelegenheiten bieten dürfte) versucht. Der öffentliche Ärger, der aus alledem herrührt, ist nicht Ausdruck von Dysfunktionalität, sondern Beleg, dass dieses Gebilde so funktioniert, wie es gerade funktionieren kann. Man muss daher eigentlich dahin kommen, die Organisation der EU nicht primär nach Qualitäten ihrer Tätigkeit zu diskutieren, sondern anzusehen, welche Aufgaben wahrscheinlicher sind als andere und inwiefern Tätigwerden (für oder gegen was auch immer) an sich schon Eigenwert – allem daraus resultierenden Ungemach zum Trotz – besitzt. Dahinter offenbart sich der Konflikt von Staatlichkeit und Organisation: Es soll einesteils Staatlichkeit „organisiert“ werden, aber andernteils nur in den Grenzen einer nicht-staatlich fixierten Organisation, obschon doch gerade die Selbstbeschreibung der Organisation konsequent darauf hinausläuft, sich selbst, den Betrieb, gegenüber Staatlichkeit dezent zu halten. Die Frage ist dann, wie groß die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbeschreibung werden kann, wenn man fürs (Wähler-)Publikum noch als das erscheinen will, was man zu verkörpern (zu organisieren oder genau umgekehrt: zu entorganisieren) sucht.

Reform welcher Form?

Eine jetzt wieder neu befeuerte „Reformdiskussion“ um „die“ Veränderung „der“ EU scheint schon aus Gründen der gewissermaßen politischen Impulskontrolle die erwartbar alternativlose Reaktion nach dem Referendum zu sein. Die Tücken des Reformeifers sind – mit Bezug auf Brunsson – absehbar. Gerade im Bemühen um „neue Wege“, „Zäsuren“ und „deutliche Signale“ wird eine Dynamik erzeugt, mit der man die besonderen Voraussetzungen, Bindungen und Steuerungsformen und deren Folgen innerhalb der EU weiter ignoriert. Das mag abstrakt erscheinen, doch wird vorausgesetzt, dass gerade konsensuelle Stabilität zum Erfolg und Überleben von Meta-Organiationen besonderen Beitrag leistet, dann wird sich die Frage aufdrängen, wie sehr Reformdruck und Reformallianzen unter dem Eindruck zunehmend disparater Interessenlagen und deren Durchsetzung jene Wirkungen entfalten können, die mit ihnen erwartet werden. Daneben lässt sich sagen, dass ein Reformprozess für die EU-Organisation ohnehin problematisch ist, da er ja zu neuen Formalstrukturen motiviert, die zulasten des spezifischen Gebildes Meta-Organisation gehen, weil diese womöglich gar nicht als solche verstanden wird und sich Reformmaßnahmen auf eine weitere Ausprägung von staatlichem Gebilde richten – und damit die Grenzen eines zweckdiffusen Zweckverbandes übersteigen. Die Unklarheit all dessen bietet Vorzüge. Kontroverser: Die unterstellte „Wertegemeinschaft“ funktioniert ja gerade deshalb in bester Weise erfolgreich erfolgsschwach, da man es sich vielmals erlauben kann, nicht über Imagination hinauszugehen und nicht zu konkret in eigenen Angelegenheiten werden zu müssen.22 Die widersprüchliche, interessendifferente, sozusagen „zweckinterpretative“ Gestalt droht ausgerechnet im Bemühen um Stabilisierung der Organisation limitiert und rechtfertigungsbedürftig zu werden.

Dass daraus neue Stabilität für die Organisation gewonnen werden kann, ist schwer zu sehen, wenn man sich der symbolischen Relevanz von Organisationsreformen vergewissert, deren Kraft schnell an ihre Grenzen kommt und nichts anderes erforderlich macht als – natürlich – neue Reformen in Gang zu setzen. Eben das führt in Lagen, in denen Organisationen nicht mit und nicht ohne Reformversprechen auskommen (deren Folgen nicht kommen können, wie sie erwartet werden, doch dafür „unterwegs“ einfach wieder vergessen, verdrängt oder umintendiert werden), weil Reformen permanent variable Ausweichimpulse initiieren. Ohnehin intensiv irritierte Organisationen wie die EU geraten genau dadurch in rekursive „Verstrickungen“, weil alles immer gleichermaßen zu früh und zu spät geschieht und Argwohn und Opportunismus der Beteiligten mit wechselnden Mehrheiten forciert werden. Wiederum mit Brunsson gesprochen, liegt hinsichtlich Fällen wie jenem der EU „die Schwierigkeit nicht darin, Großorganisationen zu Reformen zu überreden, sondern gerade darin, diese davon abzubringen“23. Das eigentlich Riskante besteht dann in dem Umstand, dass im Aufstauen und Überbieten der Reform(-Reformen) Erzählungen mit Garantien verwechselt werden, die quasi-evident eine „eindeutige Richtung zum Besseren“ suggerieren, wie Luhmann hervorhebt. Auch für die Reformversprechen (in) der Organisation (der) EU wird man hinsichtlich aller Weissagungen und Deutungen im Ungefähren gewiss nicht viel Neues über (bestehende) Stabilität und Grenzen dieser Organisation – um es noch einmal zu positionieren: höchst besonderer Art – erwarten dürfen, dafür aber erahnen, dass Besserung durch Reformen gerade deshalb so beschworen wird, „weil dafür die Beweise fehlen“24.

Eine Entscheidung darüber, was die EU-Organisation dereinst sein kann oder nicht, ist letztlich nur gegen sie selbst oder ihre Mitgliedsstaaten und sodann gegen Souveränität und Nationalität zu treffen.25 Dass beide Szenarien („Vereinigte“-Staaten-Lösung vs. Nationalsouveränität) gerade nicht in Mixtur zusammengehen und im einen wie im anderen Mischungsverhältnis Probleme über Probleme erzeugen, scheint wenig Bereitschaft zur Einsicht zu finden. Doch wie so oft in den Beobachtungen der Organisationssoziologie, so gilt auch hier: Funktionen von Organisation sind das eine, Fiktionen (und ihre Unverwüstlichkeit) das andere26; ein guter Grund also für die nächsten Reformen – und deren Reformen. Das elementare Problem bleibt bei alledem, dass zwar viel über Politik durch Organisation gesprochen, aber nur wenig über Politik in Organisation gesagt wird.

Der Text geht zurück auf einen Beitrag für das Kolloquium Organisationsforschung an der Soziologischen Fakultät der Universität Bielefeld am 1. Juli 2016. Ebenfalls aus diesem Zusammenhang hervorgegangen ist eine Analyse von Finn-Rasmus Bull zur Funktionalität des Austrittsartikels im EU-Vertrag.

Anmerkungen

So bemängelt Helmut Willke ein „Durchwurschteln“ in Strukturdebatten um die EU. Gefordert werden „grundlegende Reformen“, eine neue Verfassung und die Bereitschaft der Staaten, mehr Souveränität abzugeben. Auch „weniger Zentralisierung, mehr Dezentralisierung, mehr verteilte Kompetenzen“ werden angeraten, „neue repräsentative Formen“ und dadurch mehr Bürgerbeteiligung; insgesamt ein Potpourri an Empfehlungen für die Politik. Bleibt nur die Frage: Was ist mit Zielkonflikten und Widersprüchen in Organisationsangelegenheiten? Siehe Willke, Helmut (2016): „Wir brauchen neue repräsentative Formen“, Interview, Deutschlandradio Kultur, Studio 9, 28.6.2016.

Ahrne, Göran/Brunsson, Nils (2005): Meta-organizations. Cheltenham: Edward Elgar; dies. (2005): Organizations and Meta-organizations, in: Scandinavian Journal of Management 21, S. 429-449.

Der Begriff Meta-Organisation erscheint bei näherem Hinsehen erklärungsbedürftig, da er Aspekte der strukturellen Anordnung weitgehend unbestimmt (man könnte auch sagen auf der berühmten „Meta-Ebene“) hält. Es handelt sich m. E. terminologisch um eine Behelfslösung.

Werden „Allianz“-Hierarchien unterstellt, die zeitlich und sachlich befristet sind, so beruhen diese auf Anerkennungs- und Beteiligungssettings bi- oder multinationaler, aber gerade nicht eigentlich organisationaler Art (die „Gruppe“, die „Gesandten“, der „Gipfel“, der „Kreis“ etc. der EU haben entschieden…). Es werden „Sondertreffen“ arrangiert, es kommt zur Herausbildung von de luxe-Mitgliedschaften, die sich wirtschaftliche oder politische Vorrechte erstreiten (oder diese ihnen eingedenk partiell geeigneter Zweckverschiebungen beinahe zufallen) oder es gibt verlässliche und weniger verlässliche Mitglieder (ohne, dass hieraus Sanktionsmöglichkeiten begründet werden könnten) oder es erscheinen Führungsrollen opportun und Untertänigkeiten lukrativ, die wiederum nicht grenzenlos ausreizbar sind, aber eine Dynamik erzeugen, die strukturell nicht vor(her)gesehen ist und auf die sich niemand über Mitgliedschaftsregeln und -rechte berufen kann. All dies ist wiederum gekoppelt an eigen- bzw. nationalstaatliche Interessen und Vollmachtgeber (nicht Wähler, sondern Regierungs- und Parlamentsapparate), die Hierarchiesierungswünsche der „Heimatorganisation“ in die Dachorganisation hineinzutragen versuchen, womit es auch geht um: Stile, Ideale, Prioritäten des Politischen, um die Präsentation eigener (national-)politischer Stärke. Ein Beispiel lieferte der jüngste Krisengipfel am 25.06.2016 in Berlin, mit den so genannten „Gründerstaaten“, die spontan und repräsentativ zur Schau gestellt wurden, und damit doch – im Bemühen um Konfliktberuhigung – symbolisch Anlass gaben für nächstes Konfliktpotenzial. Und man spricht in solchen Situationen besonders viel von der „Gemeinschaft“, was ganz nach dem Prinzip der „umgekehrten Kopplung“ – gemeint ist damit nach Nils Brunsson die gegenteilige Außendarstellung von Organisationen, die mit den internen Abläufen und Praktiken nicht übereinstimmt – nur erwartbar ist und wiederum jene provoziert, die sich dann doch eher in einem Zweckverband als einer Gemeinschaft sehen; etwa jene, die uneingeladen bleiben (und eben diese beispielsweise in Krakau, Prag oder Budapest demnächst ihren eigenen „Oststaaten“-Gipfel als interne Allianz und – wie schon in Flüchtlingsfragen ausgiebig erprobt – als informale „Schutz- und Trutz“-Gemeinschaft, gegen „Gemeinschaft“ der anderen veranstalten). Allianz- und Koalitionstendenzen zeigen sich letztlich im Konzept „Kerneuropa“, wie es gegenwärtig erneut diskutiert wird.

Obschon man recht pragmatisch Staat auch als „Riesenorganisation“ (Luhmann, Niklas (1998): Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M: suhrkamp, Bd. 2, S. 841) bezeichnen kann, wird man vielleicht nicht behaupten können, dass die Organisationsforschung Einigkeit über den Status von Staaten als organisationale Gebilde aufweist. Üblicherweise treten Staaten als Organisationen immer dann in Erscheinung, wenn von konkreten Behörden, Schulen, Gefängnissen etc., somit staatlichen Gliederungen und deren Relationen die Rede ist. Siehe zum Staat als politische Organisation Luhmann, Niklas (2002): Die Politik der Gesellschaft. Hgg. von Kieserling, A., Frankfurt/M.: suhrkamp, S. 243-253.

Anschaulich dazu die einleitenden Artikel der zwar ratifizierten, aber aufgrund ablehnender Referenden in den Niederlanden und Frankreich nicht in Kraft getretene EU-Verfassung. Explizit geht es darin um „Werte der Union“ (Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit etc.) die dann fließend übergehen in ihre Ziele. Artikel I-3 (1) betont das Ziel der Union, „den Frieden, ihre Werte und das Wohlergeben ihrer Völker zu fördern“. Artikel I-3 (2) erwähnt einen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (so, als sei dies vorangehend nicht schon betont worden). Folgend geht es dann u.a. um „unverfälschten Wettbewerb“, „nachhaltige Entwicklung“, „Preisstabilität“ usw. Siehe kommentierte Fassung von Siehe Läufer, Thomas/Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) (2005): Verfassung der Europäischen Union. Verfassungsvertrag vom 29. Oktober 2004. Protokolle und Erklärungen zum Vertragswerk, Bonn: o. V. Im Tenor findet sich vieles im Vertrag von Lissabon wieder. Dort heißt es in Artikel 3: „Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.“ (Amtsblatt der Europäischen Union, 30.3.2010, C 83/17). Der werthaltige Charakter und die Chancen auf hohe Zustimmungsfähigkeit dürften anhand der verschiedenen Ausführungen deutlich werden. Passend bringt es Edmund Stoiber auf den Punkt, wenn er bei „Maybrit Illner“ bei alledem vom (seinerseits natürlich rein optimistisch gedeuteten) „alten Narrativ“ spricht.

Dagegen zur (typischen) Bestimmtheit der Mitgliedschaftsregel Luhmann, Niklas (1964): Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin: Duncker und Humblot, S. 38.

8 Zur Funktionalität des unbestimmten Austrittsparagraphen im EU-Vertrag Bull, Finn-Rasmus (2016): Die Funktionalität von Unsicherheit in der EU – oder: Warum Artikel 50 tatsächlich „wunderbar formuliert“ ist, in: Sozialtheoristen, 8.7.2016.

9 Eben deshalb sind Mitgliedschaftsbedingungen innerhalb „normaler“ Formalorganisation überhaupt rigide organisierbar. Im Scheidungsfall wird Kompensation dann hilfsweise über Arbeitsmärkte, in der Umwelt der Organisation, geleistet; siehe dazu Luhmann (1964), S. 45 f.

10 Es ist zu sehen, dass Mitgliedschaften oder Beinahe-Assoziationen von Staaten für die EU selbst dann interessant sind, wenn vor dem Hintergrund der deklarierten Unionswerte eben diese Staaten problematisch, wenn nicht anti-demokratisch und anti-rechtsstaatlich hervortreten. Hier sind geopolitische respektive machtstrategische Erwägungen relevant, die mit Puffer- bzw. Kompensationsabsichten einhergehen. Siehe etwa die „Blocker“- bzw. „Türsteher“-Funktion der Türkei und Griechenlands hinsichtlich der Flüchtlingsströme. Es muss dann um alles mögliche gehandelt werden, um (paradoxerweise) gerade mit Verstoß gegen eigene Werte dieselbigen stabil zu halten bzw. zu verteidigen. Inkorporation ins EU-Gebilde oder in deren Rahmenstruktur (siehe die Option „privilegierter“ Partnerschaftsmodelle) wird hier zunächst rein instrumentell zu verstehen sein. Wiederum ist gerade das erst wegen der Werteflexibilität der Union möglich.

11 Hierzu Luhmann (2002, S. 253) prägnant: „Das Publikum ist überhaupt keine Organisation. (…) Jedenfalls wird die Stimmabgabe in der Wahl nicht als Mitgliederverhalten angesehen, also nicht über organisatorische Regeln oder Instanzen determiniert.“

12 Vgl. Brunsson, Nils (2006): Administrative reforms as routines, in: Scandinavien Journal of Management 22, S. 243-252.

13 Damit sind mikropolitische Taktiken und Spiele angesprochen, die üblicherweise umso mehr Wirkung entfalten, je mehr Größe Organisationen annehmen. Es stellt sich überhaupt die Frage, welche Potenzierung an politisch professionalisierten Rankünen und diplomatischem Geplänkel sich in Organisationsgebilden ereignet, die nahezu in Gänze von mehr oder weniger (oft wohl eher mehr als weniger) erfahrenen Diplomaten und Politikern bevölkert werden. Betrachtet man gegenwärtige Expertendiskussionen zum Thema, könnte man mit sehr wenigen Ausnahmen den Eindruck bekommen, dass in solchen Runden politischer Apparat allzu sehr in wohlorganisierter Form erwartet wird. Erstaunlicherweise scheinen die mikropolitischen Manöver des makropolitischen Milieus wenig beachtet (Alternativinterpretation: einfach unterschlagen) zu werden; abgesehen von etwaigen Stammtischtiraden. Rege nachgefragt sind in elaboriert dargebotenen Analysen so genannte „rationale“ Sichtweisen auf den „richtigen“, „vernünftigen“, „verantwortungsvollen“ Polit-Betrieb. Ein konsequenter Konsum von „House of Cards“-Folgen kann dagegen womöglich präzisere Einsichten in politische Großapparate bieten. Siehe zu Inkonsistenz und Heuchelei: Luhmann (2002), S. 247.

14 Siehe ausführlich Kühl, Stefan (2011): Organisationen. Eine sehr kurze Einführung, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 136-157.

15 Dieses Zurückhalten bzw. Zurückdrängen von Organisation (als Organisation) wird m. E. schon voller Verlegenheit in der Namensgebung „Union“ sichtbar; womit gerade durch den Versuch Organisation zu meiden selbige offensichtlich wird (eine in der Organisationsforschung sehr bekannte und durchschaubare Form der Schauseitenpflege). „Union“ ist wohl eine sehr geeignete Kategorie, um sich von Organisation semantisch different zu halten. Diesen Trick haben auch manche Parteien früh entdeckt, um nicht so ganz „nur“ als Parteien (und nichts sonst als: Organisationen), sondern ominöse Volksbewegungen oder gefühlte Mehrheiten (die nur als Wähler oder Parteimitglied brauchbar sind), eben als mehr als (nur) Partei und weniger als (schon) Bürokratie, wahrgenommen zu werden und Legitimation zu erfahren.

16 Wobei an dieser Stelle – einen Gedanken von Finn-Rasmus Bull aufgreifend – noch ausgespart bleibt, wie sehr Demokratie innerhalb einer politischen (!) Organisation zum Problem derselben wird, denkt man nur an Vielzahl und Verzahnung der EU-Organe und -Gremien, die wiederum eigene „Apparathaftigkeit“ hervorbringen. Zur gegenwärtig populär diskutierten „Demokratisierung“ von Organisationen instruktiv-illustrativ Kühl, Stefan (2015): Wie demokratisch können Unternehmen sein?, in: Wirtschaft + Weiterbildung 6, S. 18-23.

17 Dass genau dieser Punkt gegenwärtig wieder mit viel diskursivem Leben gefüllt werden wird, steht außer Frage. Und dass, wie die Bundeskanzlerin erwartbar auf einer Parteiwerbeveranstaltung erkennen lässt („Die EU muss weniger bürokratisch werden“), diesbezügliche Rufe ins Publikum der Politik nützlich erscheinen, bedarf kaum weiterer Kommentierung.

18 Zur hier sehr ausgeprägten, hintergründig wertenden Gegensetzung von Organisation und Bürokratie merkt Luhmann an, dass diese „Doppelbegrifflichkeit“ von Organisationen spricht, „wenn sie die Notwendigkeiten und die positiven Seiten des Phänomens bezeichnen will, und von Bürokratie, wenn es um die negativen Seiten geht“ (Luhmann (1998), S. 840, auch S. 844 f.).

19 Dagegen positioniert Udo Di Fabio: „Die EU muss helfen. Praktische Probleme sichtbar lösen“. Und daher müsse sie „mit kühlem Kopf (…) ein paar Träumereien über Bord“ werfen. Fehlende Praxisnähe der EU-Administration wird einmal wieder behauptet, und doch nicht – was ebenfalls die Lösung eines praktischen Problems darstellen könnte – gefragt, welche Funktionalität in den „Träumereien“ und nicht sichtbaren Lösungen liegen könnte. Di Fabio, Udo (2016): Kopf hoch!, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.7.2016.

20 Luhmann (2002), S. 247.

21 Zu Unsicherheitseffekten und Planungs- bzw. Reformproblemen: Esposito, Elena (2010): Die Zukunft der Futures. Die Zeit des Geldes in Finanzwelt und Gesellschaft, Heidelberg: Carl Auer.

22 Genau das wirkt problematisch. Der Apparat funktioniert (erfolgreich) über sein rechtliches Detailwerk, wird aber mit unbestimmten Etikettierungen wie „Visionen“, „Gedanken“ und „Projekte“ in/über/von Europa beschrieben; allesamt Aspekte, die fleißigen und eifrigen Verwaltungsjuristen und Ministerialbeamten eingeschränkt bearbeitbar erscheinen müssen. Die Organisation der Organisation und ihre äußere Darstellung passen nicht beieinander, was wiederum kommunikativ latent bleiben muss (oder: punktuell und wohldosiert für den Gebrauch von Ressentiments nutzbar wird).

23 Brunsson, Nils (2005): Reform als Routine, in: Corsi, G./Esposito, E. (Hrsg.): Reform und Innovation in einer unstabilen Gesellschaft. Stuttgart: Lucius & Lucius, S. 25.

24 Luhmann, Niklas (1971): Reform des öffentlichen Dienstes. Zum Problem ihrer Probleme, in: Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung: Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 203.

25 Zur Unbestimmtheit von Reformprojekten siehe die Position von Herfried Münkler, der „Reformen an Haupt und Gliedern der EU“ empfiehlt, um „eine größere Flexibilität und Elastizität“ für das Gebilde zu erreichen. Die Forderungen laufen dann auf das viel bemühte „Kerneuropa“ hinaus, „das so etwas wie ein Direktorium des verfassen Europas bilden würde, das in existenziellen Fragen auch entscheidungsfähig wäre“. Gerade die organisationale Unmöglichkeit einer solchen, gebrochenen Meta-Struktur bleibt dabei ohne Beachtung. Siehe Münkler, Herfried (2016): Wertegemeinschaft oder Interessenvereinigung?, in: NDR Kultur, Gedanken zur Zeit, 29.05.2016 (Manuskript).

26 Es bedarf keiner großen Fantasie, um vorherzusehen, dass soziologische Deskription organisationaler Widersprüche und Zielkonflikte rasche Kritik der politischen Praxis findet. Dass es sich weit mehr als mit meinem Beitrag angedeutet wird, auf den zweiten Blick aus sehr praktischen Gründen mit paradoxaler Prägung von Organisationen zu befassen lohnt, legt z. B. eine jüngere Untersuchung von Günther Ortmann zu zeitlicher Paradoxierung in Organisationen nahe. Den Praktikern der Organisation, Managern und Politikern, sind nicht selten jegliche Paradoxien der Organisation „ein Dorn im Auge, weil und insofern sie Unmöglichkeit implizieren, statt Handlungsmöglichkeit zu eröffnen“ (Ortmann, Günther (2013): Noch nicht/nicht mehr – Zur Temporalform von Paradoxien des Organisierens, in: Koch, J./Sydow, J. (Hrsg.): Managementforschung 23: Organisation von Temporalität und Temporärem, Wiesbaden: Springer, S. 37); ders. S. 12 zum Problem permanenter Verspätung von Reformen.

1 Kommentar

  1. mister-ede sagt:

    Die Organisationsprobleme der EU sind leider gravierend. Wenn seit Jahren Menschen an den EU-Außengrenzen ertrinken und es nicht möglich ist, mit den vorhandenen Organisationsstrukturen eine Lösung zu finden, kann man ja nicht einfach immer so weiter machen.

    Kerneuropa finde ich grundsätzlich einen guten Ansatz, allerdings nicht in der Form, wie es momentan von Schäuble oder auch von der EU selbst angedacht wird. Wenn wir schon einen Kern bilden, dann sollte der auch wirklich gut demokratisch legitimiert werden, u.a. mit einem Parlament, das nach dem Prinzip „one (wo)man one vote“ gewählt wird, oder einer gemeinsamen Verfassung. Insgesamt stelle ich mir eine vollwertige Europäische Föderation vor, die dann auch z.B. ein echtes gemeinsames Einwanderungs- bzw. Asylsystem hat, damit keine Menschen mehr an den Grenzen Europas ertrinken.

    http://www.mister-ede.de/politik/die-europaeische-foederation/5216

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