Create your Campus – Die Eventisierung der Hochschule

An der Universität Bayreuth ist ein Ideenwettbewerb mit dem Titel „Create your Campus“ ausgeschrieben. Geworben wird mit folgendem Pressetext: „Was brauchst du, damit dein Lern- und Lebensumfeld optimal ist? Wenn du deine Universität neu erfinden und gestalten dürftest, was würde auf keinen Fall fehlen? Überzeuge uns von deiner Vision und gemeinsam erwecken wir sie zum Leben.“ Diese und andere Aktionen und Events – wie der „Bayreuther Ökonomiekongress“, die „Bayreuther Debatten reloaded“, die Ausrichtung des „DLD Campus“ oder  der „Unistrand“ – sollen das universitäre Leben bereichern und eine Brücke zur Welt außerhalb des Campus bauen. „Partizipation“, „Innovation“, „Wettbewerb“, „Kreativität“, „Demokratie“ und „Meinungspluralismus“ sind Stichworte der Diskussion.[1]

Wer könnte allen Ernstes etwas gegen einen positiven, optimistischen, der Zukunft zugewandten, kommunikativen und transparenten Campus haben? Nur wer zwanghaft das Haar in der Suppe sucht. Nur wer aus Prinzip das Geschäft der Negation betreibt. Oder, um ein Diktum der „Bayreuther Debatten reloaded“ aufzugreifen, nur der, der nicht an die Idee von „Demokratie“ und „Meinungspluralismus“ glaubt. Doch so einfach ist es nicht. Die Eventisierung der Universitäten hat Konsequenzen für das Denken. Mit ihr geht eine Sprache einher, die letztlich alles Geistige in der Warenförmigkeit auflöst. Statt „Pluralität“ und „Weltzugewandtheit“ zu fördern, untergräbt die Eventisierung jeden ernsthaften Austausch. Das Ergebnis ist das genaue Gegenteil von „Offenheit“ oder „Debattenfreudigkeit“ und „Streitkultur“. Um sich greift ein Opportunismus im Kostüm der Ideologiefreiheit. Ein Relativismus im Gewand der Gleichheit. Und eine Instrumentalität im Namen der Freiheit.

Bedienen wir uns des allgemein akzeptieren Sprachgebrauchs und fragen nach Gemeinsamkeiten von Hochschul-Events: Erstens bauen Events Brücken. Die Brücken-Funktion ist eine doppelte: Events bauen Brücken zwischen der Universität und der gesellschaftlichen Umwelt; Events, die statusübergreifend und Disziplinen überschreitend ausgelegt sind, bauen Brücken innerhalb der „Campus-Community“. Zweitens öffnen Events Türen. Die Türöffner-Funktion ermöglicht Studierenden, die Events (mit-)organisieren, „Praxiserfahrung“ zu sammeln und sie bietet „Chancen“ des „Networking“ Drittens stiften Events Zugehörigkeit. Die Zugehörigkeits-Funktion sagt: „Du-bist-Universität!“

Doch was steckt hinter der Fassade? Events haben ein strukturelles Problem. Da sie Anschlussfähigkeit in alle Richtungen herzustellen beabsichtigen, müssen sie inhaltlich offen, also unterkomplex, bleiben. Zugleich ist das aber schlecht zu kommunizieren, behauptet werden muss das Gegenteil: ihr „Potential“. Dieser Spagat wird durch Großbegriffe gemeistert, die sich von selbst verstehen und damit der Kritik entziehen. Die „Bayreuther Debatten reloaded“, die zur Kritikfähigkeit ermutigen sollten, zerstörten sie dabei dialektisch. Der Tenor der „Debatte“ war: Es muss doch möglich sein „Fakten“ zu diskutieren und „Ideologie“ beiseite zu lassen. Die Grundstimmung auf dem Podium war gut. Der Ball wurde hin und her gespielt. Der Abend war ein voller Erfolg. Doch nirgends ein Gespür für die Vor-Strukturiertheit sozialer Situationen, für Mächtigkeit und Eigenmacht von Diskursen, für Hegemonie und Exklusionsprozesse. Aber auch keines für die Eigenlogiken massenmedialer Kommunikation. Der Eventcharakter prädisponiert „the Outcome“. Der „Bayreuther Ökonomiekongress“ wirbt damit, dass dort „von den Besten [gelernt werden kann].“ Die Frage, warum sich die Kategorie „die Besten“ nahezu ausschließlich aus CEOs, Heads of…, Directors of … und Bergsteigern zusammensetzt, muss an einer Hochschule gestellt werden dürfen, gerade (!) weil es sich um einen „Ökonomiekongress“ handelt. Auch hier gilt: Ansprache und Auftritt, personale Zusammensetzung und die Wahl der Kooperationspartner – der Eventcharakter prädisponiert „the Outcome“. Gleiches ist für das Event „DLD Campus“ zu erwarten, bei dem „Vordenker“, „Lenker“ und „Entscheider“ zusammentreffen und „eine Menge kurzer, knackiger Vorträge und Diskussionen zu Themen wie Fintech & Blockchain, Biofabrication &  neue Materialien, VR, AR & Storytelling, Digitale Transformation und Future of Work, Märkte & Businessmodell der Zukunft, Chatbots & AI, Startups & Funding [geboten werden].“ Und schließlich lohnt ein Blick in das aktuelle Kursangebot des Netzwerks ProfiLehrePlus der bayerischen Universitäten, das die „Qualität“ der Lehre steigern und die „Kompetenzen“ der Lehrenden erweitern soll. Die Titel der Seminare (Auswahl) sprechen für sich selbst: „An Herausforderungen wachsen und das persönliche Wohlbefinden steigern“, „Konstruktiver Umgang mit blockierten Denk- und Arbeitsprozessen“, „Spontaneität und Kreativität in der Lehre – Grundstufe“, „Führen leicht gemacht – Tutor/innen und Hilfskräfte authentisch, motivierend und erfolgreich anleiten und begleiten“, „Körpersprache und Kommunikation“…

Bereits die kurze, zugegebenermaßen polemische Darstellung verweist auf das zentrale Problem: An deutschen Hochschulen zieht über die Eventisierung eine Sprache ein, wie sie heute auch an Theatern, Museen und der Kulturindustrie insgesamt gesprochen wird, eine Sprache, derer sich Politiker und Politikerinnen seit längerem bedienen. Es ist eine Sprache ohne überprüfbare Kriterien. Eine Sprache, die den „gesunden Menschenverstand“ voraussetzt. Ob dieser Menschenverstand gottgegeben („du sollst nicht“), von Seehofer („bis zur letzten Patrone“) oder Schulz („soziale Gerechtigkeit“) eingeflüstert oder von Werbesprüchen über die Einzigartigkeit des Individuums („everything is possible“, „just do it“, „be yourself“) ins Hirn gebrannt ist, ist gleichgültig.

Ein Ergebnis ist, dass wir verlernen zu streiten – und damit die Suche nach Wahrheit aufgeben. Wenn Streit überhaupt etwas bedeuten soll, dann muss er zuallererst als Streit über Prämissen und Bedingungen geführt werden. Der Einsatz von Plastikwörtern und leeren Signifikanten verhindert jedoch Prämissenkritik. Präferiert werden Antworten, keine Fragen. Nichts ist für das akademische Leben problematischer als die mit der Eventisierung einhergehende Entleerung der Sprache und des Denkens. Entleerte Begriffe immunisieren gegen das Argument. Wie kann von Studentinnen und Studenten erwartet werden, Unterscheidungen zu treffen und Begriffsarbeit zu leisten, wenn der Ort, an dem sie denken sollen, kritische Reflexionsfähigkeit „outsourct“. Wenn Begriffe nicht als immer unzulänglicher Versuch verstanden werden, die Wirklichkeit zu begreifen, sondern Wirklichkeit setzen.

Kritik lebendig werden zu lassen, wäre die Aufgabe von Veranstaltungen auf dem Gelände der Universität. Niemand will politische, kulturelle oder wirtschaftliche Themen vom Campus fernhalten. Die Universität ist aber ein besonderer Raum, ein Raum, in dem sich das Denken jenseits von Instrumentalität entfalten können muss. Ein Denken, das gerade nicht zielgerichtet, anwendungsbezogen oder gar sozialpädagogisch wertvoll ist.

[1] Der Text ist vom Juni 2017 und wurde vom „Falter“ – der Zeitung für Campuskultur der Universität Bayreuth mit dem Hinweis auf argumentative Schwächen abgelehnt. Einige Bezüge sind demnach veraltet, das Argument bleibt und reicht über das Beispiel Bayreuth hinaus. 

(Bild: privat)

Veröffentlicht von Tobias Hauffe

Hat während seiner Zeit in Bielefeld mehr Bolaño als Luhmann gelesen. Arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Soziologie an der Universität Bayreuth. Denkt über Umbruchzeiten nach.

1 Kommentar

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