Fragte man heute ein Paar, das in einer Online-Dating-Börse zueinander fand, wie es sich lieben lernte, so lautete eine gängige Antwort vielleicht: „Ich kann das gar nicht erklären, ich habe mich einfach verliebt.“ Die „unerwartete Epiphanie“ (Illouz 2016: 134) der romantischen Liebe widerspricht rationalen Überlegungen und impliziert ein Frei-Sein von Kalkül. Eva Illouz postuliert für die Suche nach einer Zweierbeziehung in Online-Dating-Börsen indes eine Marktstruktur, in der das Individuum ökonomische Überlegungen vornimmt, um aus den unzähligen potentiellen Partner*innen das Optimum zu finden (vgl. 2016: 133ff.). Trotzdem suchen Menschen nach romantischen, konventionellen Zweierbeziehungen im Internet.
Doch stehen Partnerbörsen nicht eigentlich vor einem ökonomischen Paradoxon? Sind sie erfolgreich, müssten sie sich abschaffen, denn Zweck einer Anmeldung in einer Online-Dating-Börse ist die Abmeldung. Diese Überlegung ist nicht lebensweltlicher Natur, denn natürlich gibt es jedes Jahr neue Singles im heiratsfähigen Alter, schließen Menschen Zweierbeziehungen und trennen sich. Es geht vielmehr um ein Dilemma, in dem sich viele Organisationen finden, deren Erhaltung sich aus einer einzigen kulturellen Kalamität speist: Transparency International wäre ohne Korruption genauso undenkbar wie der paritätische Wohlfahrtsverband ohne Armut.
In diesem Beitrag soll der Konflikt von romantischer Liebe und zielgerichteter, rationalisierter Suche nach der perfekten Zweierbeziehung in Online-Dating-Börsen untersucht werden. Die schier unendlichen Möglichkeiten der Wahl in Online-Dating-Börsen zwingen das Selbst, ökonomische Praktiken anzuwenden, die es in letzter Instanz zu einem Mikrounternehmen machen, das mit anderen Mikrounternehmen auf einem Markt konkurriert. Dafür werden die Arbeiten von Eva Illouz und Julia Dombrowski analysiert und Illouz‘ Metaphern des Produktes wie auch des Fließbandes reformuliert.
„Liebe ist kein Zufall“ – Das Narrativ der Online-Dating-Börsen
Die Wahl eines*einer Partners*Partnerin ist im romantischen Liebesideal davon geprägt, den*die „Richtige*n“ zu finden, der berühmten „Liebe auf den ersten Blick“. Sie ist gekennzeichnet ist durch Spontaneität, durch sexuelle Anziehung und durch Exklusivität. Sie setzt aber auch Absichtslosigkeit voraus, eine „Trennung der Sphäre instrumenteller Aktivität von der Sphäre der Empfindung“ (Illouz 2016: 134 f.). Online-Dating-Börsen stellen diesem Ideal das Narrativ der einfachen, aber vielversprechenden Suche entgegen, die das bestmögliche Gegenüber hervorbringt. So versichert die mitgliederstarke Online-Dating-Börse match:
Match puts you in control of your love life; meeting that special someone and forming a lasting relationship is as easy as clicking on any one of the photos and singles ads available online. (us.match.com)
Dieses Werbeversprechen kaschiert die Aufwendungen, die das Selbst während der Suche leisten muss. Wie Illouz herausarbeitet, muss man für die Konkurrenzseite eharmony nicht nur einen wissenschaftlichen Fragebogen über Interessen, Persönlichkeit, Aussehen, Lebensstil und Nahrungsgewohnheiten ausfüllen (vgl. 2016: 117f.), sondern auch die einem darauf basierenden Vorschläge anderer Profile evaluieren. Der Begriff des Profils, dem französischen entlehnt als Seitenansicht, verdeutlicht die Schwierigkeit.
Trotz aller Objektivierung betrachtet man die Profilvorschläge lediglich als das Ansehen einer Seite des anderen, die Individuen „erfassen erst in weiteren – langsam größer werdenden – Schritten die körperliche Präsenz des anderen“ (Illouz 2016: 120). Sukzessiv müssen die Stufen (1) Auswahl aus dem Kontingent potentieller Partner*innen, (2) Initiierung von Korrespondenz via Mail, (3) Telefonat und (4) Begegnung absolviert werden, um auf dem Markt der Zweierbeziehung reüssieren zu können (vgl. Illouz 2016: 142f.). Auch wenn der Modus mittlerweile variieren kann – so ist ein Telefonat vor einem persönlichen Treffen vermutlich keine unabdingbare Voraussetzung mehr – bleibt das schrittweise Enthüllen, das Vervollständigen der Seitenansicht konstitutiv für das Online-Dating.
Jene Arbeit am Selbst, aber auch der Wunsch, den*die Richtige*n zu finden, läuft in Illouz’ Analyse auf den Zwang zu ökonomischen Überlegungen hinaus: auf Effizienzberechnungen, die Abwägung von Kosten und Nutzen und die Bewertung der Optionen (vgl. 2016: 128). So muss man in Online-Dating-Börsen wirtschaften, um die bestmögliche Zweierbeziehung einzugehen: Wen finde ich attraktiv? Lohnt sich die Kontaktaufnahme? Gibt es eine bessere Alternative? Welche Opportunitätskosten entstehen, wenn ich in jene Anbahnung Zeit, Geld und Selbstoffenbarung investiere? Nicht nur sind viele Börsen zahlungspflichtig (vgl. Dombrowski 2011: 163), auch die Kosten für Reisen zu Rendezvous müssen aufgewendet werden (vgl. ebd. 2011: 171). Der Faktor Zeit ist besonders relevant für die Opportunitätskosten, wie eine Interviewpartnerin zugibt: „Zeit ist Geld. In der Zeit, die ich hier drin hänge, könnt ich auch arbeiten (bin selbstständig)“ (ebd. 2011: 165).
Die Notwendigkeit zu wirtschaften konfligiert mit dem romantischen Liebesideal, entspricht aber dem meritokratischen Narrativ der Marktwirtschaft: wer viel leistet, wird mit einer erfüllenden Zweierbeziehung belohnt. Partnerbörsen müssen deshalb Rationalisierungstechniken bieten, damit die Mitglieder ihre Suche nach einer Zweierbeziehung effizient strukturieren können.
Rationalisierungsmaßnahmen wider die Fülle
Legt man das Motiv der Rationalisierung an die Untersuchung von Online-Dating-Börsen an, offenbart sich der Grund für ihre spezielle Konstruktion, für die Momente der Standardisierung und der Vergleichbarkeit. Selbst wenn nicht, wie bei der von Illouz beleuchteten Börse ein umfassender Fragekatalog auszufüllen ist, so ist die Präsentation beinahe allen Börsen gemein (vgl. Bruschewski: 15ff.): ein standardisiertes Profil, das Foto, Interessen und Lebensvorstellungen sowie eine Selbstpräsentation preisgibt. Bei eharmony ist außerdem noch ein Reduktionsmechanismus bei der Präsentation des Selbst zu beobachten: So ist aus acht Möglichkeiten zu wählen, welche Beschreibung der eigenen Augenfarbe am besten gerecht wird, gleiches gilt für Haare (vgl. Illouz 2016: 117f.). Selbst bei Fragen, bei denen Freitext eingegeben werden kann, implizieren die für alle Profile gleichen, verbindlichen Fragen ein enormes Maß an Komplexitätsreduktion. Der Grund dafür liegt in der Effizienznot der Suchenden, die mithilfe von Standardisierung gelindert werden kann:
Nehmen wir Artemis […]. Ihre Karte ist 26 347 Mal besucht worden. […] Um diesen enormen Fluß virtueller Begegnungen zu bearbeiten, hat sie für die Männer Dateien angefertigt und verschiedene Ordner für jeden von ihnen erstellt, denn sonst, sagt sie, ‚kann man kaum folgen‘. (Illouz 2016: 126)
Hier offenbart sich ein zweites soziales Phänomen, nämlich dass die Rationalisierungslogik der Online-Dating-Börse nicht ausreicht, um das eigene Angebot zu bewältigen. Mag dies auch ein Extremfall sein, exemplifiziert er doch das Dilemma, dass das Überangebot die Wahl nicht etwa erleichtert, sondern verkomplizieren kann.
Online-Dating-Börsen verdichten die Suche nach einer Zweierbeziehung auf zwei Ebenen: Erstens sind sie – im Unterschied zu Bars, Tanzstunden, Seminaren oder Arbeitsplätzen – genuine Orte der Anbahnung von Zweierbeziehungen und zweitens ist durch die Virtualität, der physischen Ortsunabhängigkeit ein ungleich größerer Kreis an anderen Suchenden verfügbar. Um dieser „Ökonomie der Fülle“ (Illouz 2016: 128) Herr zu werden, müssen Individuen die erwähnten Rationalisierungen vornehmen, damit sie ihre*n Idealpartner*in finden, die ihrerseits aber das genaue Gegenteil bewirken können. Illouz führt aus, wie dieser Mechanismus die Ansprüche bei der Suche durch die Fülle und die Simplizität, mit der Vergleiche angestellt und bewertet werden, exorbitant steigen lässt (vgl. 2011: 329).
So ist der*die Suchende fortwährend mit der Tatsache konfrontiert, jemanden finden zu können, der*die noch besser passt, aber auch, von jemandem gefunden zu werden. Dies evoziert ein Moment der Konkurrenz, die die Suche als Markt strukturiert (vgl. Illouz 2016: 131f.). Für Illouz bedeutet das in Konsequenz für das Online-Dating: „Es verwandelt das Selbst in ein verpacktes Produkt, das mit anderen auf einem offenen Markt konkurriert, der nur durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage reguliert wird.“ (2016: 132). Diese Analogie ließe sich schärfen, offenbart sie doch folgende Schwäche: Die Konnotation des Selbst als Produkt ist eine objektbezogene; ein Produkt agiert nicht selber, es konkurriert genau genommen auch nicht auf dem Markt – das tun vielmehr die Unternehmen, die diese Produkte herstellen.
Das Selbst als Mikrounternehmen produziert Möglichkeiten zu Zweierbeziehungen
Es sei hier dafür plädiert, vom suchenden Selbst als Mikrounternehmen zu sprechen, das sich auf dem Markt der Zweierbeziehungen behaupten muss. Zu Beginn stehen dabei geschäftsstrategische Überlegungen: Was ist der basale Anspruch an den*die Partner*in? In welcher Börse melde ich mich deshalb an? Hernach steht die Introspektionsleistung, die ein Individuum vornehmen muss, was sich durchaus als Arbeit einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung für das Selbst deuten lässt; im Fall der von Illouz beleuchteten Partnerbörse tritt dies durch den wissenschaftlich-objektiven, knapp 500 Fragen umfassenden Katalog besonders zutage (vgl. 2016: 117). Die Vermarktungsleistung, die durch die Wahl eines gut getroffenen Fotos (vgl. 2016: 122) und ansprechende Darstellung in Bezug auf Textualität (vgl. 2016: 124) vollzogen wird, ist bereits eine Referenz auf das Marketing. Dessen Terminologie ist Illouz bei ihrer Untersuchung immer wieder begegnet, wenn es um die Präsentation des Selbst geht (vgl. 2011: 331).
Ein Unternehmen kann – im Unterschied zum Produkt – weiterhin die herausgearbeiteten Techniken der Rationalisierung, Kosten-Nutzen-Berechnungen und Effizienzsteigerungen anwenden. Schließlich muss ein Unternehmen auch Produkte herstellen; wie am Fließband – auch diesen Begriff erwähnt Illouz, jedoch ausschließlich in Bezug auf die Produktion romantischer Beziehungen (vgl. 2016: 135). Stattdessen sei dafür optiert, dass die Mikrounternehmen keine Zweierbeziehungen am Fließband produzieren, sondern Möglichkeiten von Zweierbeziehungen. Das löst das Problem, das Illouz skizziert, als sie die Ansprüche der Suchenden dem Angebot gegenüberstellt, denn durch die Konsumkultur steigt die Lust an der Verfeinerung des eigenen Geschmacks:
Im Bereich der Partnersuche hat der Prozeß der Verfeinerung eine wichtige Implikation: Die Suche nach dem anderen wird instabil; etwas zu verfeinern heißt ja, nach Wegen der Verbesserung der eigenen Marktposition zu suchen. (2016: 130)
Weiterhin hilft das Konzept des Mikrounternehmens, das Phänomen des Weitersuchens ob des Findens zu erklären. Dombrowski beschreibt die „Tendenz, immer weiter nach einem ‚Idealpartner‘ zu suchen, obwohl man bereits eine (oder mehrere) vielversprechende Bekanntschaften gemacht hat.“ (2011: 225). Das eingangs beschriebene Paradoxon von sich selbst abschaffenden Börsen löst sich nun auf, überträgt man es in kleinerer Form auf ihre Mitglieder: In dem Moment, in dem keine Möglichkeiten zur Zweierbeziehung mehr produziert werden müssen, weil eine Zweierbeziehung erfolgreich geschaffen wurde, schafft sich das Mikrounternehmen ab. Die Motivation, ein Mikrounternehmen zu gründen und der Zweck der Mikroorganisation sind nicht disjunkt, aber ebenso wenig kongruent: Online-Dating-Börsen können sich also durch den selbstreferentiellen Charakter der Mikrounternehmen ihrer Mitglieder erhalten.
Tinder als Verdinglichung der Fließbandmetapher
Die hier zitierten Schriften entstanden, bevor Tinder mit – im Jahr 2015 – weltweit 30 Millionen Nutzer*innen zur beliebtesten Mobile-Dating-App avancierte (vgl. Aretz 2015: 41). Tinder zeigt das Profil eines anderen Mitglieds in der Nähe auf dem Display des Smartphones und erlaubt das „Swipen“, also eine wischende Touchscreen-Geste entweder nach links, womit der Vorschlag gelöscht und ein neuer unterbreitet wird, oder nach rechts: Damit bekundet das Mitglied Interesse an dem Profil. Das Gegenüber weiß dies jedoch nicht und die Kontaktaufnahme wird nur dann ermöglicht, wenn es gleichsam nach rechts wischt – das Hauptkriterium ist das Foto (vgl. Aretz 2015: 41f.). Dieser Mechanismus nun materialisiert die Metapher des Fließbandes: Läuft das Fließband, werden Möglichkeiten produziert, bereits im Begriff des Verwerfens wird eine neue offeriert.
Die Befunde der Studie von Aretz, die zu ergründen versucht, warum Menschen Tinder nutzen, zeigen: Mehr als 40% der Nutzer*innen leben in einer Partnerschaft. Die App dient ihnen zur Bestätigung, zum Zeitvertreib und zum Amüsement (vgl. 2015: 47f.). Dies unterstützt die These, dass Online-Dating selbstreferentiell als Produktion von Möglichkeiten funktioniert: Die Verlockung von Tinder besteht nicht im Anhalten des Fließbandes, sondern im Weiterlaufenlassen.
Ein Versprechen zum Geben, eines zum Halten
Dass mit höherer Flexibilität der Lebensmodelle, sich ändernden Rollenbildern und fortschreitender Technologie ein Phänomen wie das Online-Dating aufkommen konnte, verwundert nicht. Kapitalistische Praktiken bei der Partnerwahl existieren auch nicht nur dort; doch die Mechanismen bis hin zur Konstitution von Individuen als Mikrounternehmen wirken besonders mächtig. Die Mikrounternehmen produzieren fortwährend Möglichkeiten der Anbahnung und animieren zur Suche, auch wenn bereits vielversprechende Anbahnungen stattgefunden haben.
Es liegt mir freilich fern, jene Mechanismen normativ zu bewerten oder die vielen Beispiele erfolgreicher Zweierbeziehungen, die durch Online-Dating entstanden sind, infrage zu stellen. Vielmehr geht es darum, die Konflikte aufzuzeigen, in denen die modernen Suchenden sich bewegen müssen, zwischen dem bestmöglich kalkulierten match und Romantik. Die Online-Dating-Börsen reagieren darauf, indem sie ein Versprechen geben, nämlich die Produktion von Zweierbeziehungen und ein anderes halten, nämlich die Produktion von Möglichkeiten zur Zweierbeziehung.
Literatur
Aretz, Wera (2015): Match me if you can: Eine explorative Studie zur Beschreibung der Nutzung von Tinder. In: Journal of Business and Media Psychology (1), S. 41–51.
Bruschewski, Michaela (2007): Partnervermittlung im Internet. Soziale und ökonomische Bedeutung von Online-Dating. Saarbrücken: VDM, Müller.
Dombrowski, Julia (2011): Die Suche nach der Liebe im Netz. Eine Ethnographie des Online-Datings. Berlin: De Gruyter.
Illouz, Eva (2016): Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Adorno-Vorlesungen 2004. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Illouz, Eva (2011): Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung. Berlin: Suhrkamp.
Match, unter: us.match.com (abgerufen am 27.07.2018).