Weshalb sachlich, wenn es auch persönlich geht

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Über Gefühle in Organisationen

Interview von Peter Laudenbach mit Stefan Kühl

Eine ausführliche Fassung des Interviews ist im Heft 4/2019 von Brandeins erschienen und wird ab Mai 2019 online zugänglich gemacht. Diese Fassung auf den Sozialtheoristen soll aber jetzt schon ermöglichen, die teilweise sicherlich provokanten Thesen zu diskutieren

– Herr Kühl, müssen sich Unternehmen für die Gefühle ihrer Mitarbeiter interessieren?

Stefan Kühl: Aus Sicht der Organisation ist das Gefühlsleben ihrer Mitglieder eine Störung, zumindest wenn es sich deutlich äußert. Wenn ein Untergebener im Gespräch mit seiner Vorgesetzten anfängt zu weinen oder wütend wird, ist das in der direkten Interaktion belastend. Für beide Beteiligten sind solche Situationen peinlich, weil sie gegen Verhaltenserwartungen in der Organisation verstoßen. Das gilt für überschießende positive Gefühle genau so wie für Ärger oder Enttäuschung. Es ist im Interesse der Organisationen, sich davor zu schützen. Wenn sich solche unterkontrollierten Gefühlsausbrüche wiederholen kann das Unternehmen versuchen, sich vom Mitarbeiter zu trennen. Wenn das nicht möglich ist, bilden Organisationen Spezialeinheiten für psychosoziale Betreuung aus. Dort wird versucht, eskalierendes Gefühlsleben zu bearbeiten und zu isolieren. Die Störung wird an Spezialisten für Gefühlsausbrüche verwiesen, um die Funktionsfähigkeit der Organisation zu sichern.

– Ist es nicht zu viel verlangt, alle Emotionen im Interesse der reinen Funktionsfähigkeit zu kontrollieren?

K: Zumindest kann man beobachten, dass in formalen Organisationen ein Management von Gefühlen stattfindet, das viele Gefühlsäußerungen nicht zulässt. Das entlastet die Organisation, sie kann sich bei den Mitarbeitern auf die Aspekte konzentrieren, die für sie funktional sind – zum Beispiel Kompetenz, Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit. Damit ist sie für vieles andere nicht zuständig, von Selbstverwirklichungswünschen bis zur Frustration über den Zustand der Ehe. Unter Umständen bemerkt sie es, wenn der Mitarbeiter außerhalb der Arbeit Probleme hat, aber sie bleibt dagegen indifferent, solange es die Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Diese funktionale Trennung kann für den Betreffenden selbst entlastend sein. Es ist hilfreich, in Organisationen nicht in allen Aspekten des persönlichen Lebens angesprochen zu werden, etwa bei Beziehungsproblemen oder psychischen Erkrankungen.

– In den alten, starr hierarchisch gegliederten Organisationen, hat schon der enge Spielraum des Einzelnen dafür gesorgt, dass keine großen Gefühlsäußerungen aufgekommen sind. Muss man in Unternehmen mit flachen Hierarchien und größeren Freiheitsgraden stärker darauf achten, sich selbst zu kontrollieren?

K: Das ist so. Das kann für den Einzelnen durchaus anstrengend und konfliktreich werden. Er muss die Unterscheidung zwischen Privatperson und Mitglied einer Organisation mit bestimmten Verhaltenserwartungen selbst herstellen. Noch komplizierter wird es in Organisationen, die erwarten oder zumindest behaupten, dass der Mitarbeiter sich als ganze Person einbringen kann. Dann ist nicht mehr die Person allein für ihr Gefühlsmanagement zuständig, sondern die Organisation nimmt für sich in Anspruch, die Mitarbeiter in allen Bedürfnissen, Wünschen, Gefühlszuständen wahrzunehmen. Das ist in vielen Fällen eine Überbeanspruchung sowohl der Organisation als auch der Personen.

– Haben Sie ein Beispiel für solche Überforderungen?

K: In den 1980er Jahren konnte man das beobachten, wenn Mitarbeiter mit Kollegen aus der gleichen Firma in gruppendynamische Trainings geschickt wurden. Die Gruppendynamik verlangt, dass man sich dabei rückhaltlos emotional öffnet. Das ist im beruflichen Umfeld eine hochgradige Anmaßung. Weil solche Trainings bevorzugt bei der Auswahl neuer Führungskräfte eingesetzt wurde, konnte man sich der Teilnahme jedoch schlecht entziehen, wenn man eine Karriere machen wollte.

– Muss man in so einer Situation Theater spielen und bei aller professionellen Selbstkontrolle völlige Offenheit zelebrieren.

K: Das lässt sich in gruppendynamischen Trainings kaum durchhalten. Überspitzt ausgedrückt: Das Erfolgskriterium eines gruppendynamischen Trainings ist die persönliche Öffnung bis hin zum Zusammenbruch: Der Schutzpanzer kollabiert, der Betreffende kommt in anderen Kontakt mit seinen Gefühlen und den anderen Teilnehmern. Das kann in therapeutischen Situationen unbedingt notwendig sein und auch in einer Ausbildung zur Beraterin oder Berater enorm helfen, aber im Kontext der eigenen Organisation ist es eine Grenzverletzung. Wenn Großunternehmen solche Trainings einsetzten, ist das eine Vermischung beruflicher und privater Ebenen, die ich für illegitim halte. Ich vermute, dass sich da Programme in Unternehmen verselbstständigt haben, weil Personaler in ihrer Beraterausbildung diese gruppendynamischen Trainings als so bereichernd empfunden hatten und den Rest der Organisation damit beglücken wollten.

– Haben Sie solche Situationen erlebt?

K: Ich war vor Jahrzehnten einmal als Berater zu einem Training im HR-Bereich bei einem großen Automobilkonzern eingeladen. Der Auftrag sah eigentlich nur einen Vortrag über neue Organisationsformen vor. Die Veranstaltung ging jedoch den ganzen Tag, man musste sich im Kreis aufstellen, singen und klatschen. In eine Runde sollte man sich gegenseitig massieren. Ich kannte einige Übungen und Singspiele aus meiner Arbeit mit geistig behinderten Jugendlichen während meines Zivildienstes. Irgendwann wurde mir das zuviel, ich habe den Ingenieur, der neben mir saß und deutlich angewidert wirkte, gefragt, ob er mir das Werk zeigen kann. Die Pointe war, dass mein Auftraggeber hinterher geschrieben hat, dass sie mein Honorar halbieren müssten, weil ich mich den gruppendynamischen Prozessen entzogen hätte. Bisher die teuerste Betriebsführung meines Lebens, aber sie hat sich gelohnt.

– Wollen nicht auch Mitarbeiter selbst vom Unternehmen als ganzer Mensch gesehen werden, statt nur regelkonform zu funktionieren?

K: Ich war vor einigen Wochen zu einem Ausbildungsworkshop für Psychodynamiker eingeladen. Der Versuch scheint zu sein, Psychoanalyse auf das Feld der Organisationsberatung auszuweiten. Das war interessant, weil da von Teilnehmern recht offensiv eingeklagt wurde, auch in der Organisation als Mensch mit all seinen Gefühlen ernst genommen zu werden. Dahinter liegt nicht selten die eigene Frustration in Großorganisationen, die man in solchen Ausbildungen reflektieren und verarbeiten kann. Absolut nachvollziehbar. Als Antwort auf diese Frustration droht dann jedoch im eigenen Beratungsansatz die Differenz zwischen Privatperson und Organisationsmitglied verwischt zu werden.  Die Schutzfunktion, die diese Unterscheidung für die Mitarbeiter hat, wird übersehen.
– Und wenn Emotion zum Beruf gehört, etwa bei Krankenschwestern, Altenpflegern oder Sonderschulpädagogen?

K: Man muss zwischen dem Gefühlsmanagement innerhalb der Organisation und der Gefühlsarbeit im Umgang mit ihren Klienten unterscheiden. Gerade in Krankenhäusern, Jugendhilfeeinrichtungen oder Psychiatrien entstehen zwangsläufig bei den Mitarbeitern teilweise heftige Gefühle.  An diesen Grenzstellen der Organisation ist die professionelle Distanz besonders notwendig. Die Unterscheidung zwischen Privatperson und professioneller Rolle wird dabei gerade nicht verwischt, sondern in vielen Einrichtungen systematisch reflektiert und verarbeitet, etwa in der Supervisionen.

– Aber bei allem Gefühlsmanagement lassen sich doch Emotionen nicht komplett unterdrücken. Entwickeln Beschäftigte Strategien, ihren Gefühlen Luft zu machen?

K: Das Leben in der Organisation ist ja nicht immer lustig. Man braucht Ventile für die Frustration, etwa indem man mit Kollegen über den Unsinn lästert, den die Chefin, der Chef einem zumutet. Die Gefühle, die sich in der Formalstruktur aufbauen, werden im Informalen aufgefangen. Weil das im informalen Raum stattfindet, also in der Teeküche und nicht in einer Konferenz, gefährdet das die Formalstruktur nicht, sondern stützt sie unter umständen sogar. Die Informalität dient als Reparaturwerkstatt für die Gefühlsschäden, die die Formalität anrichtet. In der Formalität gilt Gefühlsmanagement, und in der Informalität schaffen sich die Mitarbeiter bestimmte Inseln, wo ihre Gefühle Raum haben. Deshalb ist es auch sinnvoll, das auseinander zu halten. Man weiß als Organisationsmitglied sehr genau, in welchen Situationen es angemessen ist, Gefühle zu zeigen, und in welchen nicht. Das fällt umso leichter, je deutlicher formaler und informaler Rahmen voneinander unterschieden sind.

– Welche Folgen hat es, wenn diese Unterscheidung aufgeweicht wird?

K: Viele Organisationen haben zunehmend den Anspruch, die Trennung zwischen Formalität und Informalität aufzuheben. Sie erwarten, dass Mitarbeiter sich als ganze Person einbringen. Persönliche Bindungen sind nicht mehr Privatsache der Mitarbeiter, sondern ein Unternehmensziel. Das gab es früher auch: Auch Kumpel im Bergbau oder Soldaten in Kampftruppen haben starke emotionale Bindungen. Aber die Formalstruktur arbeitet davon unabhängig. Die Pointe der Organisation ist ja gerade, dass sie in der Formalstruktur nicht auf persönlichen Vertrauensverhältnissen angewiesen ist. Das unterscheidet sie von Familien, der Mafia oder altgermanischen Stämmen. Natürlich bilden sich im informellen Miteinander trotzdem Vertrauensverhältnisse. In neueren Organisationsmodellen sollen diese persönlichen Bindungen der Identität und dem Zusammenhalt der Organisation dienen. Aber im Informellen gedeiht nicht nur Personenvertrauen, sondern zum Beispiel auch Mobbing. Wenn in einer teilautonomen Arbeitsgruppe jemand, der nicht genug Leistung bringt, gemobbt wird, ist das für den Betreffenden heftiger als die Kritik durch eine Chefin. Aber für die Organisation kann es im Sinne der Leistungssteigerung funktional sein. Wenn in neueren Organisationsmodellen persönliche Bindungen nicht mehr Privatsache sind, sondern dem Unternehmensziel dienen sollen, könnte man zugespitzt sagen, es wird zur Managementaufgabe, dass das Unternehmen auch als Kontaktbörse für Freundschaften und Partnervermittlung funktioniert.  

– Was ist der Unterschied zu konventionellen Unternehmen, in denen ja auch Paare zueinander finden.

K: Sicherlich – die eigene Arbeitsstelle ist für Paaranbahnungen ideal geeignet. Aber in konventionellen Organisationen, die großen Wert auf Formalität legen, gilt Paarbildung als Problem. Da kollidiert Formalität mit Informalität. Man wird unter Umständen einen der Partner in eine andere Abteilung versetzen oder ihm sogar die Kündigung nahelegen. Für gierige Organisation kann eine vielfältige interne Paarbildung dagegen geradezu ein Erfolgskriterium sein. Für sie ist der externe Lebensgefährte eines Organisationsmitglieds potentiell ein Störfaktor. Das ist der Grund dafür, dass Soldaten sehr lange die Erlaubnis ihrer Vorgesetzten brauchten, wenn sie heiraten wollten.

– Was sind „gierige Organisationen“?

K: Der Begriff der „gierigen Organisation“ stammt von dem amerikanischen Soziologen Lewis A. Coser. Gierige Organisationen sind darauf ausgerichtet, Personen mit all ihrer Emotionalität und sämtlichen sozialen Bezügen aufzunehmen. Das gilt bei Erziehungsheimen oder der Psychiatrie für die Insassen. Bei Sekten, Guerilla-Verbänden, Jesuiten oder leninistische Kader-Parteien gilt es für alle Beteiligten. In Abstufungen kann man das ähnlich bei Theatern, Investmentbanken oder Werbeagenturen beobachten, die von ihren Mitarbeitern 14-Stunden-Tage und ständige Kreativität erwarten. Von einem Schauspieler wird verlangt, dass er sich als ganze Person mit seinen Gefühlen in die Rollengestaltung einbringt. Die zumindest temporäre Auflösung der Grenzen zwischen Privatperson und Berufsausübung ist Programm.

– Werden Unternehmen und andere Organisationen im Zugriff auf ihre Mitglieder derzeit gieriger?

K: Interessant ist, dass sich traditionell gierige Institutionen wie die Bundeswehr, vielleicht auch klug geführte Werbeagenturen von solchen Praktiken zunehmend distanzieren – vermutlich weil sie sonst als Arbeitgeber nicht mehr attraktiv sind. Viele der Reformen der derzeitigen Verteidigungsministerin zielen genau darauf ab. Ich habe mir vor einiger Zeit einen Bundeswehrstandort angesehen, an dem Soldaten für Spezialkräfte ausgebildet werden. Die Soldaten dürfen an freien Wochenenden nach hause fahren, man achtet nach Möglichkeit auf familienfreundliche Dienstzeiten, in der Kaserne haben sie Einzelzimmer und Internetzugang. Die Organisation signalisiert, dass sie die Privatsphäre respektiert. Umgekehrt entdecken andere Organisationen, dass Gier im Zugriff auf ihre Mitglieder funktional sein kann. Das sieht man nicht nur bei Start-Ups oder in der Kreativwirtschaft. Etwas überspitzt gesagt, propagieren New-Work-Konzepte tendenziell gierige Organisationsvorstellungen. Man will auf alle Ressourcen des Mitarbeiters zugreifen, Kreativität, Eigenverantwortung, Identifikation mit dem Unternehmen. Deshalb besetzen New Work-Konzepte Emotionalität positiv. 

– Wird da Emotion im Interesse des Unternehmens ausgebeutet?

K: Zumindest propagieren bestimmte Management-Moden, die Emotion als Ressource zu entdecken. Da wird stark mit Ich-Botschaften, persönlicher Betroffenheit und etwas Esoterik gearbeitet. Das ist die Aufladung der Organisation mit Emotionalität. Sie wird vom Mitarbeiter regelrecht eingefordert. Sachargumente genügen nicht, man muss über sich selbst und seine Gefühle sprechen. Das wird spätestens dann problematisch, wenn die Behauptung, persönlich etwa durch ein Argument oder eine Tatsachenbeschreibung verletzt worden zu sein, als Erpressungsinstrument in einer Debatte benutzt wird. Man kann deutlich beobachte, dass sich diese Vermischung von Sachargument und Gefühl von kirchlichen und pädagogischen Milieus in Universitäten und auch in der Wirtschaft ausbreitet. In Unternehmen spielt dabei sicher der ganze New Work-Diskurs eine wichtige Rolle.

– Inwiefern?

K:  Die Diskussion um Purpose Driven Organizations etwa geht davon aus, dass die Organisation nur machen sollte, womit sich ihre Angehörigen mit allen Aspekten ihrer Persönlichkeit voll und ganz identifizieren können. So ein Anspruch perlt auch an den Organisationsmitgliedern nicht ab. Wenn man im Arbeitsumfeld dauernd die emotionale Identifikation mit dem Unternehmen demonstrieren soll, wirkt das irgendwann persönlichkeitsdeformierend. Wenn ein Flugbegleiter den ganzen Tag möglichst authentisch lächelt, hat das Folgen für sein privates Lächeln, vielleicht auch für sein Gefühlsleben, das ist eine professionelle Deformation. Anders als in Krankenhäusern, Altersheimen oder psychiatrischen Anstalten wird in gierigen Organisationen die Unterscheidung zwischen beruflicher Rolle und privaten Gefühlen eben nicht systematisch in Supervisionen kritisch reflektiert. Die ideale New-Work-Organisation war vielleicht die Bhagwan-Sekte. Da ist es hervorragend gelungen, bei einem hohen Maß an Freiwilligkeit und Identifikation mit der Organisation den ganzen Menschen mit aller Emotionalität zu integrieren. Das Musterbeispiel einer gierigen Organisation. Und das bei hoher Effizienz, wenn die Mitglieder weit über die gesetzlichen Arbeitszeiten hinaus gearbeitet und dafür auch noch Geld gezahlt haben. Die Entgrenzung zwischen Person und Organisation war Programm. Das ist nicht weit entfernt von dem, was sich einige New-Work-Organisationen vorstellen.



Stefan Kühl ist Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld. Er arbeitet als Senior Consultant der Firma Metaplan für eine Vielzahl deutscher Unternehmen. Seine Bücher „Wenn die Affen den Zoo regieren. Die Tücken der flachen Hierarchien“ und „Das Regenmacher-Phänomen. Widersprüche der lernenden Organisation“ sind Standardwerke der Managementliteratur.

14 Kommentare

  1. Könnte man es auch charismatische Führung bzw Organisation nennen?

  2. Albert Decker sagt:

    Schade, dass hier mit einem alten, behavioristisch anmutendem Emotinsbegriff argumentiert wird. Es handelt sich nicht um Dichotome. Hier könnten die Arbeiten von Antonio Damasio, Jaak Panksepp und Ledoux ggf. weiterführen.

  3. Virtus in medio. Die Wahrheit liegt in der Mitte: Weder eisige Verschlossenheit noch gruppendynamisch getriggerte Selbstentblößung kann das Ziel sein. Fakt ist aber, dass Mitarbeiter ihre Emotionen mit in die Unternehmen nehmen und auch wieder hinaus. In der Mitte der Extreme befindet sich die „Meinung“: Man findet etwas gut oder weniger gut, manches gefällt oder stört, usw. – Bewertungen sind von ihrem emotionalen Impetus getragen. Gelänge es, damit respektvoller umzugehen, bräuchte man weder esoterische Massagen noch Schluckbeschwerden durch Runterschlucken. Ich halte das für lehrbar und lernbar.

  4. Vielen Dank, wieder mal sehr inspirierend!!

    Ich sehe das allerdings ähnlich wie Albert Decker und Heinz Jiranek. Ich glaube auch nicht, dass Organisationen prinzipiell nach emotionaler Neutralität streben. Wenn Stefan Kühl antwortet, dass in der Formalität Gefühlsmanagement gelte und in der Informalität Inseln für Gefühle existierten, dann klingt das so. Ich verstehe Emotionen nicht als (rein) irrationales Element, das beseitigt werden kann oder müsste, sondern als konstitutive Komponente aller organisierten Sozialsysteme, die dazu beiträgt, dass sich Systeme aufbauen und erhalten.

    Ich möchte an dieser Stelle Andreas Reckwitz‘ Aufsatz „Praktiken und ihre Affekte“ empfehlen (Mittelweg 36 Jg. 24, H. 1-2, 2015).

  5. […] Wie ist das eigentlich mit den Gefühlen am Arbeitsplatz? Gut, dass wir aus Effizienzerwägungen heraus diese ausklammern. […]

  6. Virtus in medio – ist für mich eine sehr nützliche Resonanz. Oder in meinen Vorstellungen geht es um ein „Sowohl-als.auch“, welches jedoch neu zu entwicklen und im Organisationskontext mit den Betroffenen, der Aufgabe der Organisation, ihrem Sinn und deren Kontext zu reflektieren ist. Die Vereinfachung und die Lust an vereinfachenden Provokationen von Stefan Kühl regt zwar zum Denken an, blendet aber neue Organisationswirklichkeiten und Lösungen aus. SChade, die hätten mich besonders interessiert.

  7. Philipp Ziegler-Rehak sagt:

    Aus meiner Sicht leistet Stefan Kühl – zugegebenermaßen auf die ihm provokante Art – auch in diesem Interview einen wertvollen Beitrag zur Debatte, ob ganzheitliches, das heißt auch das eigene Gefühlsleben einschließende, Handeln von Organisationsmitgliedern in Organisationen zur Erreichung der organisationalen Zwecke funktional oder dysfunktional ist. Man muss seine Positionen sicherlich nicht teilen, doch sie leiten sich schlüssig aus der systemtheoretisch informierten auf Organisationen ab. Die analytische Klarheit und sprachliche Präzision des Ansatzes machen es meines Erachtens einfacher, im Diskurs Gegenpositionen zu formulieren, die sich in Zukunft idealerweise im Sinne einer Synthese verschiedener konstruktiver Zugänge zu Organisationen sogar auflösen lassen könnten. Als einer der Teilnehmer des von Stefan Kühl genannten Studiengangs („Vollversion“ bei Brandeins) fühle ich mich jedoch herausgefordert, zu seiner Position im Interview Stellung zu beziehen: Ich bin davon überzeugt, dass es nicht „die eine wahre“ Sicht auf Organisationen gibt, sondern gerade die Fähigkeit systemtheoretische, psychodynamische und weitere Phänomene in Organisationen zu erfassen und in das eigene Handeln einzubeziehen ein Erfolg versprechender Weg zu wirksamem Beraten und Managen von Organisationen ist. In diesem Sinn wird in unserem Studiengang großer Wert auf Theorie- und Methodenpluralität gelegt, um uns als angehende Berater*innen genau zu diesen differenzierten Sichtweisen zu befähigen und nicht die „blinden Flecken“, die den jeweiligen Ansätzen bei aller Erklärungsmächtigkeit immanent sind, zu reproduzieren. Obwohl die von Stefan Kühl entwickelte Strukturmatrix (3 Seiten x 3 Strukturtypen von Organisationen) aus meiner Sicht mit der „Informalen Seite“ einen „Container“ für Phänomene, die doch auch wesentlich aus dem subjektiven Gefühlsleben der Organisationsmitglieder emergieren, bereitstellt, steht sie durch ihre strikt rationalitätsorientierte Grundhaltung dem Verständnis und erst recht der Erklärung dieser Phänomene einigermaßen hilflos gegenüber – was in unserem Seminar Anlass für eine lebhafte Debatte zwischen Student*innen und Dozent war. Dabei ist eine radikale Positionierung a la „entweder systemtheoretisch informiert – Gefühle als dysfunktional für die Zweckerreichung vom Organisationen ansehend“ oder „psychodynamisch – Organisationen als affektiven Entfaltungsraum ansehend“ (die einseitige Zuspitzung der Foki habe ich an dieser Stelle bewusst vorgenommen) aus meiner Sicht weder notwendig noch zielführend. Für mich reicht ein Blick auf die Entwicklung, die der Diskurs um Führungstheorien als „Mikrofolien“ zum gleichen Thema, jedoch im dyadischen Setting „Geführte*r Führungskraft“ über die Zeit genommen hat: Kontingenztheoretische, situative und transformationale Ansätze vermitteln doch gerade, dass es weder die Aufgabenorientierung (=Zwecke) noch die Beziehungsorientierung (=Gefühle) „alleine bringt“, wenn Führung wirksam sein soll. In diesem Sinn wünsche ich mir, dass sich die Vertreter*innen der systemtheoretisch informierten Organisationsforschung aus einer Haltung der Bewusstheit über die Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Ansatzes für einen Dialog mit anderen wissenschaftlich fundierten Zugängen zu organisationalen Phänomenen öffnen, um gemeinsam zu einem vertieften Verständnis des komplexen Phänomens „Organisation“ zu kommen, der keine der phänomenrelevanten Dimensionen leugnet oder gar aus der eigenen Argumentationslogik heraus delegitimiert. Vor diesem Hintergrund ist aus meiner Sicht weder ein Funktions- noch ein Gefühlstotalitarismus geeignet, Beratungs- und Managementhandeln zu verbessern. Es geht viel mehr darum, in der jeweiligen Rolle immer wieder eine angemessene Balance zwischen beiden Dimensionen herzustellen.

  8. Niels Anhalt sagt:

    Eine zu starke Vermischung der privaten und geschäftlichen Rolle halte ich auch für gefährlich. Die Firma ist nicht die Familie und nicht alle Kollegen müssen beste Freunde sein – können es aber, wenn es sich ergibt.

    Allerdings kann ich nicht nachvollziehen, warum die Mitarbeiter-Rolle eine rein sachliche, emotionsfreie sein sollte. Zitat: „Man will auf alle Ressourcen des Mitarbeiters zugreifen, Kreativität, Eigenverantwortung, Identifikation mit dem Unternehmen.“ Ja, genau! Wenn ein Großteil der Wertschöpfung nicht auf hoch-standardisierten Arbeitsprozessen beruht – und wie wir wissen, wird sie das in der VUCA-Welt immer weniger sein – sind Eigenverantwortung und Kreativität der Kern der Wertschöpfung.

    Es sind meine schönsten Arbeitsmomente, wenn wir im Team kreative Lösungen für komplexe Probleme finden und dabei eine ganze Menge unserer Emotionen und Leidenschaft einbringen. Das ist aus meiner Sicht sogar die Grundbedingung für eine erfüllte und erfolgreiche Arbeit.

    Herr Kühl, wollen Sie hier nur provozieren oder erbringen Sie Ihre Beratungsleistung ohne jegliche Emotion, ohne Eigenverantwortung und vollständig unkreativ? Ich hoffe auf Erstes. Wie sieht es in ihrem Arbeitsalltag aus, Herr Kühl?

  9. Es geht für mich um das alte Transmissionsproblem, also wie kann ich als Arbeitgeber das meiste aus der mir geschuldeten Arbeitszeit des Arbeitnehmers herausholen? Und da scheint die externe Sinngebung, die geforderte Identifikation, teilweise auch New Work ein billiges und einfaches Mittel zum Erfolg zu sein. Es gibt sicher auch Menschen, die da gerne mitmachen, aber für mich ist dies nur Manager-BlaBla und zwingt mich zu Lügen, Theater zu spielen, aber dies nur solange die Vorteile überwiegen oder ich keine Alternative habe.

    Was ich brauche sind familien-freundliche Arbeitszeiten, gerechte Entlohnung, faire Aufstiegsmöglichkeiten, usw., also handfeste Dinge, die meinen persönlichen Zielen dienlich sind und wenn dies dann für mich Sinn macht, werde ich mich höchstwahrscheinlich mehr einbringen, mehr identifiziere.

    Also bitte weniger Sinn, dafür mehr Handfestes

  10. […] wird. Diese Zusammenhänge hat Stefan Kühl exzellent in einem Interview mit dem Titel „Weshalb sachlich, wenn es auch persönlich geht“ zusammengefasst, in dem er den Begriff der „gierigen Organisation“ einführt […]

  11. Stefan Kühl sagt:

    In Anschluss an mein kontrovers diskutiertes Brandeins Interview über Gefühle in Organisationen https://sozialtheoristen.de/2019/03/29/weshalb-sachlich-wenn-es-auch-persoenlich-geht/ hat meine Kollegin Charlotte Renda von der Uni Bielefeld dem Hessischen Rundfunk ein interessantes Interview gegen https://www.hr-inforadio.de/podcast/job/index.html

    Eine ausführliche Reaktion von mir zum Thema folgt noch.

  12. Frank Druhm sagt:

    Erstens: Man wird wahrscheinlich Organisationstypen (Apelt/Tacke, 2012), Organisationen nach gesellschaftlichen Sektoren und darin Professionen unterscheiden müssen, um erörtern zu können, wieviel innere Beteiligung, wieviel Glaube an die Aufgabe den Menschen und der Organisation förderlich ist. Der strikte esprit de corps zum Beispiel macht alles persönlich und individuell, Erfolg wie Niederlage.(vgl. P.Brandt, Mayday aus der Chefetage). Eine besondere Disziplin wird eingefordert. Wohin führt das?: Illegalität! – Oder ist das alles nur ein deutsches Problem: die Verlängerung oder Wiederbelebung der „Nibelungentreue“ des Berufenen im Ausleben seiner Berufung im Beruf?
    Zweitens: Die emotionale Überforderung gieriger ‚Organisationen‘ führt zum Verlust der Glaubwürdigkeit von Management und Führung (Achtung: 2 Seiten in der Arbeitsorganisation), Verlust der für Entscheidungen notwendigen Autonomie und damit zum Verlust der Erfahrung von Leistung.
    Und daher wichtig: Welch Form der Inklusion will, soll, kann Organisation vermitteln?

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