Gehörst du zur Familie? – Intimität in der Firma

Unternehmen haben die Familie entdeckt: sie wollen selbst zur Familie werden. Kaum noch ein Konzern mag auf vertraulich-behagliche Töne verzichten. So sympathisch das erscheinen mag, so nützlich könnte es für Beschäftigte sein, doch lieber Distanz zu halten. Die sozialen Bedingungen von Firma und Familie sind vollkommen unterschiedlich.

Herrliche Eintracht: Mutters Geburtstag im Loriot-Film „Papa ante portas“ (1991) Bild: MDR/ARD

Es ist nicht ungewöhnlich, dass zur Beschreibung von Unter­nehmen einprägsame Bilder oder Vergleiche aus ganz anderen Bereichen herangezogen werden. Gerade in der Beratungs­literatur für Unternehmen sind illustrative Darstellungen ver­breitet. Diese sind nützlich, weil sich mit ihnen bestimmte Besonder­heiten von Betrieben pointiert herausstellen lassen (Kühl 2013, S. 87 ). Förmlich ausgepolstert mit bildhaften Deutungen des «guten», «richtigen» oder «authentischen» Unternehmens ist der Büchermarkt, auf dem alte Managementkonzepte in neuem Gewand an Frau und Mann der Praxis gebracht werden (Kieser 1997; Kühl 2015). Es gibt auch Beobachtungen dazu, dass diese Neuerungen als besonders charakteristisch präsentiert werden und man darum bemüht ist, sie von anderen, sehr vergleichba­ren als unvergleichlich abzuheben (Holmblad Brunsson 2010). 

Einige dieser Illustrationen haben in der Organisations­lehre und im Personalmanagement regelrecht «Karriere» ge­macht; sie genießen Popularität. Etwa die im Vergleich mit heutigen Bildern spröde «Maschinen»­-Metapher, mit der Or­ganisationen als funktionstüchtige, gut gesteuerte Gebilde der Leistungserstellung beschrieben werden. Es ist dies das nahe­liegende, da sehr ökonomische Bild von Organisationen. Spe­zieller sind Beschreibungen von Unternehmen als «Theater», die natürlich Bühnen haben und Schauspieler – das eigene Per­sonal – oder als «Orchester», die harmonische Symphonien erklingen lassen sollen. Etwas sportlicher werden «Wett­kämpfe» und «Arenen» angeführt, in denen zwar die politisch Talentierten und beim Erklimmen der Karriereleiter gut Trai­nierten gewinnen mögen, wenngleich deshalb nicht unbedingt fair gespielt wird. 

Wie auch immer was aus welcher Organisationsform ko­piert wurde: Zeitlos ist die Faszination, die in Vergleichen und Metaphern anderer Bereiche steckt (vgl. Morgan 1986). Die orga­nisatorische Veranschaulichung anhand der Abläufe anderer Strukturen hat dabei besondere Funktionen. Illustrative Dar­stellungen idealisieren erstens die Konzeptionen organisati­onsfremder Bereiche (der übliche Ausruf: «Sehr interessant!»), um sie zweitens für die eigene Organisation anschlussfähig zu machen. Zugleich pointiert man mit ihnen drittens bestimmte Vorgehensweisen, die auch für die eigene Organisation als zen­tral angesehen werden. Mit den entsprechenden Anpassun­gen wird viertens eine Selbstbeobachtung der Organisation betrieben, die letztlich zu Annahmen darüber führt, worauf es – Priorisierung – künftig besonders ankommen soll. Praktisch funktio­nieren diese Routinen in der Form, dass den «schlechteren» Bildern der Vergangenheit, «bessere» Bilder der Zukunft gegenübergestellt werden (Kieser 1997). 

Ein Familienbild der Organisation

Eine neuere Organisationsmetapher, speziell in Unternehmen, scheint sich gegenwärtig mit Konzepten von Familie zu etab­lieren – und all den positiven Eigenheiten, die dem Familiären zugeschrieben werden. Etwas ist anders an dieser Metapher gegenüber den klassisch bekannten. Statt größere Gruppen (wenn nicht gar ganz andere Organisationstypen und Kollektivapparate zur Beschreibung der eigenen betrieblichen Struktur heranzu­ziehen) beschreiben sich Unternehmen in Stellenanzeigen, Imagekampagnen und auf den vielen Change- oder Human Resource Management-Kongressen mit ihr als nahezu intime Gemeinschaften. Betont wird eine vertraute, höchstpersönli­che Nahewelt. So können Konzerne damit werben, ein «solide familiäres» Unternehmen zu sein. Man verweist auf die «wirk­lich noch familiäre Atmosphäre», was ja womöglich den Verdacht nahelegen soll, bei der Konkurrenz sehe es schon anders aus. 

Diese Selbstbeschreibungen mögen eine wichtige Funktion zur Außendarstellung erfüllen. Und es dürfte keine Kunst sein, Beispiele zu finden, die von den internen Abläufen differieren. Der schwedische Wirtschaftswissenschaftler Nils Brunsson hat darauf hingewiesen, dass Selbstbeschreibungen in Unterneh­men sich stets zwischen einer Fassadenpräsentation («Talk») und einer betrieblichen Hinterbühne («Action») ereignen (Bruns­son 1989). Brunsson hat dies u. a. an der Einführung «demokratischer» Führungsstrukturen in schwedischen Unternehmen beobachtet. Das Vorhaben wurde besonders dort populär, wo man großen Mangel an demokratischen Möglichkeiten emp­fand. Allerdings zeigte sich, dass in der Aktivitätsstruktur nur geringfügige Veränderungen eintreten, dafür aber in der Außen­darstellung – gerade weil sich wenig ändert – die Plädoyers für mehr Demokratie umso intensiver beteuert werden (Brunsson 2005, S. 21). Dafür wurde der Begriff der «umgekehrten Kopp­lung» entwickelt. Je weniger in Unternehmen verändert werden kann, desto mehr neigt man dazu, den Willen zur Veränderung zu beschwören (Brunsson 2003, S. 206). Brunsson, der als Entscheidungstheoretiker Organisationen und ihre gesellschaftli­che Bedeutung nüchtern einordnet, mahnt nicht zum Hand­lungsbedarf. Seine Analysen zeigen, dass Unternehmen sich regelmäßig mit Veränderungsroutinen überfordern. Und dass die Probleme, die daraus entstehen, in immer neue (alte) Ver­suche der Selbstbeobachtung und «Neuordnung» münden. 

Familien eignen sich zur organisatorischen «Bebilderung» wohl auch deshalb besonders, da sie gesellschaftlich ohnehin omnipräsent beobachtet werden. Nicht nur als tatsächliche soziale Gebilde, sondern in unzähligen medial dargebotenen Formaten und Praktiken – von der Vorabendserie bis zur Supermarktwerbung. Wo immer es darauf ankommt, Formen der Nähe, Verbundenheit und Fürsorge zu veranschaulichen, ist die Inszenierung familiärer (Ver­)Trautheit (und vor allem: sozialer Vorbildlichkeit) nicht weit. Es wundert nicht, dass die emotional positive Besetzung familiärer Bilder früh im Marketing erkannt wurde. Die Werbung liebt geradezu Familien. Bei genauem Hinsehen setzt sich dies selbst in einer Zeit fort, die längst durch hoch­gradige Pluralisierung des bürgerlichen Familienidylls geprägt ist. Konsequent werden weiterhin in medialen Darstellungen familiäre Merkmale in einer romantischen Tradition heraus­gestellt. Und vielleicht muss man vermuten: Je mehr dieses Bild Risse bekommen hat, desto beharrlicher wird es vertreten.

Doch familiäre Bindungen können abseits der Glättungen auch das Gegenteil all dessen darstellen: Repression, Missbrauch, häusliche Ge­walt, alle rhetorischen, symbolischen und tätlichen Vergehen, die gerade deshalb möglich sind, weil Individuen in familiäre Ordnungen weitgehend unfreiwillig «hineingeraten» und vielmals eher schwer daraus einen Ausweg finden. Über­haupt drängt das Familiäre in Bezug zu Unternehmen pro­blembeladene Assoziationen auf: Gibt es in Business­-Familien denn auch Ehekrisen, Scheidungsfälle, den berühmt-berüchtigten Dauer-Clinch mit dem Clan? Oder ist es nicht eher so gedacht, dass gerade hier ein Idyll ge­zeichnet werden soll; gerade in einer Umgebung, die hier und da für Minuten etwas (informell) Familiäres bieten mag, jedoch hingegen oft genug alles andere als gemütlich und vertrauenswürdig erscheint. Dass man Freunde (und Arbeitgeber) bekanntlich wählt, aber Familie einfach hat, ist – je nach Vorerfahrung – eine heilsame oder eine erschütternde Tatsache. 

Mitgliedschaften besonderer Art 

Was aber unterscheidet Familien von Unternehmen? Aus organisationssoziologischer Perspektive werden Mitgliedschaft und Vertrag eine zentrale Bedeutung bei der Analyse von Or­ ganisationen beigemessen. In Vertragsbeziehungen qua Mit­gliedschaft kommt es auf bestimmte Ausschnitte von Kom­munikation(en) an; nämlich solche, die mit der Leistungserfüllung verbunden sind. Mitglieder erscheinen hier in exklusiven und auch reduzierten Rollen. Sie haben das Recht und machen ab einem nicht näher bestimmbaren Grade davon Gebrauch, mit Verweis auf die Vertragsbeziehung an die Grenzen des Vereinbarten, des Zu­mutbaren zu erinnern. Kommunikation in Familien ist aus dem Blickwinkel der Systemtheorie Niklas Luhmanns betrach­tet nicht Entscheidungs-­, sondern Intimkommunikation (Luh­mann 1990b). Unternehmen kommunizieren in Form von Entscheidung, Familien in Form von Intimität. Unternehmen explizieren Rollen und deren Grenzen, Familien – genau um­ gekehrt – implizieren bzw. integrieren zugleich alle anderen Rollen ihrer Mitglieder mit. Unternehmen fordern und gewäh­ren Distanznahme, Familien limitieren Distanznahme qua Mitgliedschaft auf ein gewisses Minimum. Die Tochter als Bankauszubil­dende muss sich im morgendlichen Schalterdienst wichtiger Kommunikationsschranken bewusst sein. Sie kann hingegen in der Mittagpause am heimischen Küchentisch über die Zah­lungsengpässe der Dorfbewohner in andersartiger Weise kom­munizieren. Rücksichtnahmen werden reduziert, Wertungen sind vertretbar. Die elterliche Freude über die Indiskretion der Tochter kann folgenlos bleiben, wie auch die Mitteilung der Eltern, solche Kommunikation zu missbilligen. Ungewissheit und Willkür in Fragen der Zulässigkeit und hinsichtlich der Folgen von Handlungen charakterisieren Familien. 

In der Intimkommunikation geht es nicht um die roman­tische Überformung des Familiengeschehens, sondern die Unmöglichkeit von expliziten, isolierten Rollen, Distanznahme und Ge­heimhaltung persönlicher Information. Zwar gibt es die Kons­trukte Eltern und Kinder, es gibt Autoritäts­- und Respektgesten und auch mehr oder minder legitimierbare disziplinarische Maßnahmen. Es können Ehe, Partnerschaft und Erziehung mehr Geheimnisse als oben Gesagtes aufweisen. Gleichwohl sind kaum Situationen denkbar, die es erlaubten, von Geheim­nis und Distanz mit Bezug auf die Rechte familiärer Mitglied­schaft hinzuweisen. Nur Mitglieder von Organisationen kön­nen sich auf Rollengrenzen, auf Distanz berufen – und müssen diese selbst wahren. Ihnen kann mit Sanktion gedroht werden, überschreiten sie diese. Und sie selbst können die Organisa­tion ermahnen, Grenzen zu beachten. Mitgliedschaft in Fami­lien kann ferner nicht durch familiäre Ordnung begrenzt oder aufge­löst werden (Kühl 2012, S. 11–14; Luhmann 1990a). Wider­stand in der Familie bleibt ungeahndet oder wird mit ärgsten Mitteln verfolgt. Strafen entfallen oder werden hart vollstreckt. In der Familie kann alles möglich sein und unmöglich zu­ gleich. Organisationen müssen Widerstand ahnden und kön­nen Sanktionen nur in engen Grenzen ergreifen. In Familien wie in Organisationen gibt es freilich inoffizielle Wirklichkeit. Die entscheidende Differenz liegt in Fragen der Akzeptanz, der Zumutbarkeit und den Möglichkeiten des regulierten Wi­derspruchs durch die Mitglieder. 

Verwandtschaft der Familienmetapher mit anderen Bildern

Allem Anschein nach fügt sich das betrieblich Familiäre ideal in einen anderen populären Diskurs: die Demokratisierung der Arbeit, die Verschlankung der Hierarchie, das Verspre­chen, mehr Partizipation zu ermöglichen (Sattelberger 2015, zur Kritik Kühl 2015). Diese Erneuerungsbotschaften finden üblicherweise eine ausgesprochen positive Erwähnung. Die Arbeit soll «anständiger» werden und man betont den An­spruch persönlicher Verbindlichkeit und Authentizität. Ein Vorteil dieser Kon­zepte ist, dass man sie rein persönlich gesehen kaum ablehnen kann, sie erscheinen sympathisch, positiv, zugewandt. Schon sind ja erste Großunternehmen dazu übergegangen, das in Kleinst­betrieben übliche «Duzen» zwischen Führungskräften und Angestellten nicht nur zu gestatten oder anzuregen, sondern offizielle Einführungsprogramme zur Umstellung der Sie­ auf die «Duz-­Kultur» aufzulegen. – Um wenige Monate später, wie auf Nachfrage zu erfahren ist, die Abschaffung dieser Praxis per Rundmail mitzuteilen oder op­tional zu stellen; und damit jede Freiwilligkeit und Vermeidung von Nähe wie­der zuzulassen, die ja vielleicht gerade dann bestens funktioniert, wenn sich die Organisation dafür nicht offiziell zuständig sieht.

Ebenso wie bei der Inszenierung familiärer Verhältnisse wird in Konzepten zur Partizipation und Demokratisierung nur eine bestimmte, also die besonders attraktiv erscheinende Seite di­rekter, vertrauter, letztlich distanzloser Beziehungen in höchst distanzierten Organisationsabläufen akzentuiert. Spannend ist, was dabei unerwähnt bleibt: dass Enthierarchisierung der Hierarchie notwendigerweise den Abbau formaler Rechte im­pliziert; dass man ohne Sie und Ihnen mental noch lange nicht zu einem Du­-auf­-Du gelangt. Die Familie, die hier erfunden wird, führt konsequenterweise dazu, dass die Dinge nicht mehr selbstverständlich zu beanspruchen und zu erstreiten sind, wie freiwillige Mitgliedschaft es voraussetzte. Familiarität in Firmen bedeutet in erster Hinsicht dies: die Fiktion der unfrei­willigen Clangemeinschaft in einer eigentlich auf Freiwilligkeit basieren­den Organisation. Eine schleichende Relativierung von Rechten dürfte aber den Wenigsten recht sein. Was die blumigen Plädoyers für die neuen, anständigen, ehrlichen, gemeinschaftlichen und erst recht «familiären» Unternehmen allesamt eint, ist ein gerüttelt Maß fehlender Sensibilität gegenüber dem Nutzen markanter Schutzzonen im Arbeitsalltag; die gerade den elementaren Ef­fekt für Organisationen mit sich bringen, ihre Mitglieder von allzu hohen Erwartungslasten verschont zu halten. 

Die familiäre Erweiterung der Mitgliedschaft 

Noch eine weitere Dimension des «Firmenfamiliären» sei erwähnt: die ideologische Überformung. Wo Familiarität erwünscht ist, können regelrecht eingeschworene Gemeinschaften prächtig gedeihen. Vielleicht geht es nämlich in sol­chen Fällen darum, die Konformität der Mitarbeiter zu stärken. Üblicherweise wünschen sich Organisationen, auf ihre Mitglie­der auch als positive Sender und Makler nach außen setzen zu können. Es ist davon auszugehen, dass viele Beschäftigte da­mit kein Problem haben. Etwas ganz anderes ist es, wenn der Eindruck aufkommt, die Organisation ähnele einer Glaubensgemeinschaft. So erwähnte die Leiterin einer Personalabteilung eines Traditionsunternehmens ganz und gar unbefangen in einem Meeting gegenüber externen Beratern, ihr Unternehmen sei «eine Art gute Sekte». Es ist nützlich, gerade in informellen Abläufen Konformitätszwänge aufzubauen, um (typisch in Fa­milien) auf persönliche Ressourcen der Mitglieder zugreifen zu können. Man spricht vom psychologischen Kontrakt, den Beschäftigte neben dem Arbeitsvertrag eingehen. Dabei ist der Arbeitsvertrag nicht nur Hinweis auf das, was das Mitglied der Organisation schuldet. Mehr noch geben Arbeitsverträge Aus­kunft darüber, was Mitglied und Organisation voneinander ge­trennt hält. 

Vor diesem Hintergrund sind familiäre Organisationsbe­schreibungen merklich fehl am Platz. Denn Familienmitglie­der treten überhaupt nicht in Vertragsbeziehungen ein, die Rollen voneinander getrennt hielten und Pficht- und Schutz­rechte bedingten. Das wird auch dadurch nicht anders, dass es mancherorts Vorstellungen gibt, Prinzipien der Organisation – genau umgekehrt – nun im Familienleben einzuführen, etwa über «Familienkonferenzen», die vertragsmäßig gestaltet wer­den (Bröckling 2007, S. 130f.). Und wenn in «echten» Familien Verträge erforderlich werden, um Rechte und Pflichten regeln und Zugehörigkeiten bzw. Zugriffsoptionen klären zu müssen, ist ohnehin ein Zustand erreicht, der kaum mehr als bürger­liches Ideal von Familie taugt. Die einzigen Organisationen, die sich sodann wirklich intensiv mit Familien beschäftigen, sind: Fa­miliengerichte. 

Der Unwille der Unternehmen, doch „nur“ ein Unternehmen zu sein

Die Frage ist also, was Unternehmen zu gewinnen suchen, wenn sie höchst kontrastive, problematische Beschreibungen zur eigenen Darstellung wählen. Eine Beobachtung in der Organisationsforschung ist jene, wonach Unternehmen (zunehmend?) einige Schwierig­keiten haben, schlicht zu akzeptieren, was sie sind: nämlich einzig Unternehmen – Wirtschaftsbetriebe, die auf Gewinnstre­ben ausgerichtet werden. Alle möglichen Bilder und Umschreibungen, die das zu mildern oder umzuinterpretieren suchen, erscheinen eigentlich als Ausflüchte und Verdrängungstaktiken. Sie wer­den gebraucht, um Unternehmen als etwas zu charakterisieren, das immer als etwas mehr oder anderes etc. erscheinen soll, als es tatsächlich sein/werden kann. Vielleicht liegt es an der Situation heutiger, von Legitimationszwängen beeinflusster Unternehmen, dass sie sich so bemühen, gerade nicht als typisches Unternehmen zu erscheinen. Warum eigentlich nicht? Wäre diese Klarheit nicht sympathisch? Vielleicht scheuen sich Personalmanager und Organisationsentwickler vor dieser Darstellung, weil sie zugestehen müssten, dass ihr Unternehmen eigentlich ziem­lich «normal» funktioniert, der Büroalltag wie in jeder anderen Verwaltung bewältigt wird und man es mit Familie und Demokratie nicht ganz so konsequent ernst meinen kann. Was wäre dann noch an diesen Unternehmen wirklich beson­ders erwähnenswert? Ehrlicherweise doch der Umstand, dass im Prinzip nichts im eigenen Unternehmen so viel mehr besonders ist als bei anderen. 

Wie zu erwarten ist, kann Skepsis gegenüber familiären Kon­zepten in Unternehmen nicht zugleich auf «echte» Familien­unternehmen übertragen werden. Es ist aber fadenscheinig, mit dem Reiz und den Besonderheiten von klassischen Familienunternehmen in Großorganisationen wuchern zu wollen. Der junge Bewerber einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mag im Assessment Center an die freundlichsten Menschen gera­ten, die ihm ausgiebig den «sehr familiären Charakter» des Hauses schmackhaft machen. Es dürfte allerdings gerade für betriebliche Neuankömmlinge grundverkehrt sein, sich auf solche Sicherheiten im Konfliktfall zu verlassen. Werden ent­sprechende Annahmen über die Vorzüge der «familiären Fa­milienunternehmen» kopiert, so kann es sich dabei nur um Banalitäten und Gemeinplätze handeln. Freundlichkeit, Rück­sichtnahme und Vertrauen mögen in der Tat sehr wichtige, positive Eindrücke bei Beschäftigten sein. All das bedarf kaum der Erwähnung. Und selbst in klassischen Familienunternehmen muss die Darstellung von Nähe und Vertrauen viel komplexer gesehen werden, als es wiederum mit deren Selbstzuschreibungen ge­schieht (Geramanis & Hermann 2014; Grossmann & v. Schlippe 2015; Vallejo 2008). 

Metaphern erfassen eine bestimmte Seite von Organisationen. Man reduziert mit ihnen zu großen Teilen all das, was nicht zur Metapher passt und betont einzelne Facetten über Ge­bühr. Das ist auch der Grund, warum die Bilder des Managens sich als ein Auf und Ab darstellen. Das eine Credo geht, das ande­re kommt. Nichts ist gänzlich vorüber, unter neuen Labeln tre­ten alte Inspirationen wieder hervor. Wo immer von ihnen die Rede ist, und man mit ihnen zu punkten versucht: Familien sind zumutungsreich. Das muss auch jemand gewusst haben, der sich immer wieder als ein wahrer Meister zahlreicher Kari­katuren des Intimen und Familiären hervorgetan hat: Vicco von Bülow, ali­as Loriot. Besonders in seinem Film Papa ante Portas. Darin fragt Loriot auf einer intrigant eingestimmten Sippschaftsfeier – in seiner markanten („Gast“)-Rolle als Opa Hoppenstedt – einen ihm unbekannt Anwesenden ganz und gar plump: «Gehörst du zur Familie?» Dieser muss verneinen, was Hoppenstedt ver­lässlich zur Antwort führt: «Schwein gehabt!» Bei aller Famili­enferne gilt dann doch die Einschränkung, dass manche Fami­lienszenen selbst in Unternehmen nicht gänzlich unbekannt sein dürften. Und vielleicht ist noch etwas zwischen Familien und Firmen ähnlich ausgeprägt: Dass man zwar sehr bedacht ist darauf, sich in einer bestimmten, einer glatten Art und Weise zu präsentieren, dass man aber auch sehr gut damit zu leben versteht, den eigenen Ansprüchen zuweilen etwas mehr auf der Ebene des Talks statt auf jener der Handlung gerecht zu werden. Doch, wie weiß schon der Volksmund: So etwas kommt nun wirklich selbst in den «besten Familien» vor.

Dieser Beitrag ist in anderer Fassung zuerst in der Zeitschrift „Organisationsentwicklung“ erschienen.

Marcel Schütz ist Research Fellow an der Northern Business School Hamburg. Er unterrichtet daneben Soziologie an der Universität Bielefeld.

Literatur

Bröckling, U. (2007): Das unternehmerische Selbst. Suhrkamp. 

Brunsson, N. (1989): The Organization of Hypocrisy: Talk, Decisions and Actions in Organizations. 1. Aufl., John Wiley & Sons. 

Brunsson, N. (2003): Organized Hypocrisy, in: Czarniawska, B. & Sevön, G. (Hrsg.): The Northern Lights. Organization Theory in Scandinavia, Abstrakt Liber Copenhagen Business Press, S. 201—222

Brunsson, N. (2005): Reform als Routine, in: Corsi, E .& Esposito, E. (Hrsg.): Reform und Innovation in einer unstabilen Gesellschaft. Lucius & Lucius, S. 9—25. 

Geramanis, O. & Hermann, K. (2014): Organisation und Intimität:
Der Umgang mit Nähe im organisationalen Alltag — zwischen Vertrauensbildung und Manipulation, Carl Auer. 

Grossmann, S. & Schlippe, A. v. (2015): Family Businesses: Fertile Environments for Conflict, in: Journal of Family Business Management 5, S. 294—314. 

Holmblad Brunsson, K. (2010): What’s in a name? Benämning som management-metod, in: Scandinavian Journal of Public Administration 14, S. 51—67. 

Kieser, A. (1997): Rhetoric and Myth in Management Fashion, in: Organization 4, S. 49—74. 

Kühl, S. (2012):  Gruppen, Organisationen, Familien und Bewegungen, Working Paper (Abruf 12.12.2016). 

Kühl, S. (2013): Organizations: A Systems Approach, Routledge.

Kühl, S. (2015): Wie demokratisch können Unternehmen sein?, in: Wirtschaft +Weiterbildung, 28, S. 20—21. 

Morgan, G. (1986): Images of Organization, Sage. 

Luhmann, N. (1990a): Sozialsystem Familie, in: ders. (Hrsg.): Soziologische Aufklärung 5, 1. Aufl., Westdeutscher Verlag, S. 196—217. 

Luhmann, N. (1990b): Glück und Unglück der Kommunikation in Familien: Zur Genese von Pathologien, in: ders. (Hrsg.): Soziologische Aufklärung 5, 1. Aufl., Westdeutscher Verlag, S. 218—227. 

Sattelberger, T. et al. (Hrsg.) (2015): Das demokratische Unternehmen. Neue Arbeits- und Führungskulturen im Zeitalter digitaler Wirtschaft, Haufe Lexware. 

Vallejo, M. C.(2008): Is the Culture of Family Firms Really Different? A Value-based Model for Its Survival through Generations, in: Journal of Business Ethics 81, S. 261—279. 

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